Berlin
"Die Liebe ist immer extrem"

Sophie Hunger im Interview über das Leben, Fußball und ihr neues Album - Tourneestart in München

22.08.2018 | Stand 02.12.2020, 15:49 Uhr
Kommt im September nach München: Emilie Jeanne-Sophie Welti alias Sophie Hunger bei einem Auftritt in St. Gallen 2016. Die Schweizerin veröffentlicht am 31. August ihr sechstes Album. −Foto: Ehrenzeller/dpa

Berlin (DK) Seit zehn Jahren veröffentlicht die Berner Diplomatentochter Sophie Hunger kluge, geschmackvolle Alben, mit denen sie ihren ganz eigenen Klangkosmos aus Folk, Jazz, Soul und Pop geschaffen hat.

2011 war die Ausnahmekünstlerin auch im Diagonal in Ingolstadt zu einem großartigen Clubkonzert. Nun jedoch, auf ihrem sechsten Album "Molecules" ist vieles anders geworden, Hunger (35), die seit drei Jahren überwiegend in Berlin lebt, hat den Sound des Synthesizers und überhaupt die elektronische Musik für sich entdeckt. Als "minimalistischen elektronischen Folk" bezeichnet sie den neuen Stil des zusammen mit dem Produzenten Dan Carey aufgenommen Albums, statt sich auf vier Sprachen auszubreiten, singt sie dieses Mal durchweg auf Englisch. Auch ihre wie stets originellen Texte, die sich auf "Molecules" vorrangig um eine gescheiterte Liebesbeziehung drehen, sind weniger verschroben, sondern klarer und direkter als bisher. Wir unterhielten uns mit Sophie Hunger, die im September drei Konzerte in München gibt.

Frau Hunger, haben Sie sich mit "Molecules", wie man so schön sagt, neu erfunden?
Sophie Hunger: Ja, ich habe soundmäßig ganz was anderes gemacht als vorher. Ich bin nach dem letzten Album "Supermoon" nach Los Angeles gegangen und habe dort Kurse an einer Schule für Software und Aufnahmetechnik belegt. Und habe das neue Album fast ausschließlich am Computer erarbeitet, während ich vorher eher so klassisches Songwriting mit Klavier und Gitarre gemacht habe. Ich hatte bei "Molecules" einfach total große Lust, mir konzeptmäßig neue Regeln zu setzen.

Welche?
Hunger: Dass ich nur vier Elemente benutze: Synthesizer, Drum-Computer, Stimme und Gitarre. Und dass ich nur Englisch singe. Ich habe mir eigentlich so ein kleines eigenes Gefängnis gebaut.

Brauchen Sie das?
Hunger: Ja, das war für mich notwendig und gut. Ich neigte ja immer dazu, ein Hans Dampf in allen Gassen zu sein, mal Jazz, mal Chanson, mal Pop, das war ein bisschen zerstreut. Wenn man böse ist, kann man sagen, mein Stil war ein bisschen unverbindlich. Also habe ich klare Anweisungen an mich selbst gegeben, so richtig kommandomäßig (lacht).

War es schwer, sich selbst zu gehorchen?
Hunger: Nein. Ich habe einen großen Spieltrieb, und für mich war dies ein Spiel. Ich habe vier Farben, eine Sprache, so und so viel Zeit, los geht's.

Das Unverbindliche war auch immer sehr charmant. Fiel es Ihnen nicht schwer, diese Qualität aufzugeben?
Hunger: Nein. Denn, ob man will oder nicht: Man muss sich über die Länge eines Lebens auch irgendwie bei Laune halten (lacht laut). Veränderungen oder Brüche sind nicht immer etwas, was man sucht. Aber wenn sie dann passieren, kann man ja auch damit spielen. Du kannst ja auch nicht immer nur Spaghetti Bolognese essen, selbst wenn dir das super schmeckt.

Gilt Ihre Flexibilität in allen Lebenslagen?
Hunger: Nee, ich habe ein paar Veranlagungen, die ich nicht mehr loswerde. Zum Beispiel meine protestantische, calvinistische Arbeitsethik. Wenn ich drei Tage nichts mache, bekomme ich sofort Schuldgefühle. Das ist schon ein bisschen gestört. Aber kommt halt von der Erziehung. Gerade in Berlin, wo Scheitern ja schon fast Programm ist, denke ich oft: "Was ist los mit dir? Guck dir doch die Anderen an, denen ist es doch auch egal, dass sie schon wieder drei Jahre nichts gemacht haben. " Aber man kann nicht alles an sich ändern.

Sie haben auch eine Wohnung in Paris und ein Zimmer in Zürich, leben aber seit drei Jahren hauptsächlich in Berlin. Was hat die Stadt mit Ihnen gemacht?
Hunger: Berlin hat ganz sicher meine Musik beeinflusst. Ich glaube nicht, dass "Molecules" so geworden wäre, wenn ich nicht in Berlin, sondern zum Beispiel in Lissabon leben würde. Es ist ein Klischee, aber auch eine Tatsache, dass Berlin praktisch nur elektronische Musik hervorbringt. Die Bandszene ist quasi nicht existent. Und früher oder später färbt das ab. Was ich ansonsten an Berlin sehr liebe, ist der subversive, geistige Widerstand, der hier immer noch herrscht. Mir fällt auf, wie viele Leute hier gegen den Trend leben und eben nicht versuchen, schneller, stärker, effizienter, besser zu sein als die anderen. Sich diesem Diktat zu widersetzen, das finde ich richtig gut. Auch das Schnoddrige der Berliner mag ich sehr.

Machen Sie in Berlin Dinge, die Sie vorher nicht getan haben?
Hunger: Ich habe hier das Theater für mich entdeckt. Vor allem die Volksbühne war fantastisch, bis sie vor einem Jahr sozusagen zugemacht hat. Das Sprechtheater ist mein neues Hobby. Aber ich verbringe auch viel Zeit im Park beim Fußballspielen und mit viel zu viel Alkohol trinken. Ich mache gerne Sachen mit meinen Freunden. Einfach rumliegen ist auch schön.

Die Texte sind recht traurig. Zum Beispiel "That Man" oder "There Is Still Pain Left". Ist "Molecules" ein Trennungsalbum?
Hunger: Ja, das muss ich zugeben. Das Songschreiben war schon sehr stark verknüpft mit einer biografischen Situation. Wenn ich die Lieder jetzt höre, denke ich manchmal, dass es ein bisschen sehr pathetisch klingt. Es ist halt aus einer Extremsituation heraus entstanden.

War die ganze Beziehung extrem?
Hunger: Ja. Ich weiß nicht, wie andere Leute das machen, für mich ist Liebe immer etwas Extremes. Es gibt nichts an der Liebe, das irgendwie sachlich wäre.

Was bricht in dem Song "Let It Come Down" zusammen?
Hunger: Das Leben. Ich wollte das Gefühl einfangen, wie es ist, wenn das ganze System zusammenfällt. Und du anschließend auf den Ruinen etwas Neues aufbaust. Fall und Erhebung, mich fasziniert beides. Nach jedem Album oder jeder Tournee ist dieses Gefühl im Kleinen da. Die Zukunft ist offen, und du fragst dich, ob du das wirklich alles nochmal machen willst. Und dann machst du es nochmal.

Die Fragen stellte Steffen Rüth.

Das neue Album "Molecules" erscheint am 31. August.