Unterbrunnenreuth
Die Krautmacher

Seit 95 Jahren stellt eine kleine Fabrik in Ingolstadt-Unterbrunnenreuth nach traditionellem Rezept Sauerkraut her. In diesen Wochen herrscht Hochbetrieb in dem Betrieb rund 150 Tonnen Kohl gehen täglich in den Gärbottich.

08.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:05 Uhr

Foto: DK

Unterbrunnenreuth (DK) Seit 95 Jahren stellt eine kleine Fabrik in Ingolstadt-Unterbrunnenreuth nach traditionellem Rezept Sauerkraut her. In diesen Wochen herrscht Hochbetrieb in dem Betrieb rund 150 Tonnen Kohl gehen täglich in den Gärbottich.

Dichte Dampfschwaden ziehen um das Gebäude, drinnen herrscht geschäftiges Treiben. Vor der Halle stehen Traktoren, einer hinter dem anderen. Ihre Anhänger sind bis oben gefüllt mit Kohlköpfen - Grundlage des Sauerkrauts, das hier in Unterbrunnenreuth entsteht. Die kleine Fabrik gehört zu dem Ingolstädter Stadtteil wie der Christbaum zu Weihnachten. 95 Jahre schon wird hier produziert, mittlerweile in vierter Generation. Was bescheiden begann, kann sich heutzutage durchaus sehen lassen: Gut 150 Tonnen Weißkohl gehen Tag für Tag in die Gärung. Die Produktion läuft seit Mitte September. "Heuer war die Rohware erst etwas später reif, sodass sich die Verarbeitung etwas verzögert hat. Dafür dauert sie bis in den Dezember hinein, sonst ist im November Schluss", sagt Simon Landes. Der 34-Jährige ist seit 2007 in der Geschäftsführung des Familienunternehmens, wie es seinesgleichen in der Ingolstädter Region sucht.

Diese großen Durchlaufmengen setzen ein flottes Tempo bei der Verwertung voraus, je schneller es geht, desto besser. Rund 15 Saisonkräfte verstärken ab Herbstbeginn die gerade mal ein halbes Dutzend Köpfe zählende Stammbelegschaft bei der Landes GmbH. Jeder weiß, was er zu tun hat: Ein Arbeiter steht bei den Schleppern unter den alten Eichen und kippt deren Ladung auf ein Förderband. Der Anhänger steht auf einer Plattform, die ihn so weit nach rechts neigt, bis der Kohl herabfällt. Ein paar widerspenstige Stücke wollen nicht herabkullern, der Mann an der Kippeinrichtung hilft mit einer Heugabel nach.

Das Förderband schafft die Feldfrüchte in die Halle direkt zum "Einschneidebereich". Vier Männer bedienen die Strunkbohrer und entfernen das unerwünschte Mittelstück mechanisch, so flink, dass die Köpfe nur so rollen. Der Kohl endet kurz darauf im Hobel. Ruckzuck ist er geschnitten. Auf dem Weg zu den großen Bottichen rieselt unter einem Streudosierer genau die richtige Menge Salz über den Kohl, um die Gärung durch natürliche Milchsäurebakterien anzustoßen. Jetzt, im Spätherbst, wo die Köpfe ausgekühlt vom Acker eintreffen, hilft ein wenig Dampf, um den Gärprozess im Bottich zu beschleunigen. Die meterhohen Behälter - die vier großen fassen jeweils 150 Tonnen, die drei kleineren jeweils 80 Tonnen - bestehen ganz aus Holz. Sie stehen überdimensionierten Badezubern gleich in der Halle. "Es dauert sieben bis zehn Tage, bis das Kraut fertig ist", sagt Simon Landes. Am Schluss geht es ab in die Dose. "Das ist ein Naturprodukt, hergestellt wie nach einem zweiten Reinheitsgebot", sagt der Juniorchef stolz. "Da kommen gar keine Zusätze rein. Das Sauerkraut ist ein durch und durch ehrliches und gesundes Lebensmittel."

Der 34-Jährige kennt die Fabrik seit seiner Kindheit, er ist mit ihr aufgewachsen. "Trotzdem haben meine Eltern mich nie bedrängt, die Nachfolge zu übernehmen." So hatte der Juniorchef zunächst Mechatroniker gelernt, Technik interessiert ihn seit jeher. Später wandte er sich der Lebensmitteltechnik zu und ist seit 2011 Meister dieses Fachs. Schon vier Jahre vorher war er neben seinem Vater Roland Landes in die Geschäftsführung der Krautfabrik eingestiegen, nachdem sein Onkel Artur Landes als Mitbetreiber aufgehört hatte. Simon kann seine Technikaffinität aber weiter ausleben. Im Betrieb baut er schon mal eine eigene Maschine und legt auch bei Reparaturen selbst Hand an.

Ganze Schulklassen pilgerten früher im Heimatkundeunterricht hinaus zur Fabrikbesichtigung, zum Abschied gab es für jeden eine Handvoll frisches Kraut aus dem Fass. Viele Alteingesessene im Ort sprechen noch von der Heiß-Fabrik. So lautete der Name des Firmengründers, genauer gesagt Georg Heiß. 1921 hatte er den Betrieb gegründet, der Absatz und damit die Kapazitäten wuchsen rasch. Schon kurz danach galt Heiß als größter Arbeitgeber im Dorf, zumindest in der Herbstzeit. Vieles, was heute automatisiert abläuft, bedeutete damals beschwerliche Handarbeit. Zumindest das mühsame Schneiden des Kohls von Hand entfiel bald: Ein Pferd trottete um eine Drehvorrichtung herum und trieb eine Welle mit einem Hobel an. Eine Konservierung des Krauts fand nicht statt. Es kam frisch ins Fass und per Ochsengespann oder Pferdefuhrwerk zum Verkauf in die Stadt.

Georg Heiß galt als überaus beliebter Chef, als einer, der an den Sorgen und Nöten seiner Belegschaft teilhatte und durch Beihilfen die Not armer Familien linderte. Er übernahm ab 1930 für sechs Jahre das Bürgermeisteramt im Dorf. Ein Schicksalsschlag zwang den Firmengründer zum Verkauf seines Unternehmens. Sein Sohn war im Zweiten Weltkrieg bei Partisanenkämpfen im damaligen Jugoslawien ums Leben gekommen, dem Fabrikanten fehlte der Nachfolger. "Nach dem Krieg ist mein Großvater Adolf Landes ins Spiel gekommen", erzählt der jetzige Juniorchef. "Er hat damals mit einem Lanz-Bulldog ein Fuhrunternehmen betrieben. Die Zusammenarbeit mit Herrn Heiß hat sich sehr positiv entwickelt, und so hat er die Fabrik 1949 übernommen - erst in Pacht und dann ganz."

Der 1957 gestorbene Gründer lebt indes nicht nur im Straßennamen der Ortsdurchfahrt, sondern auch in der Bezeichnung der Landes-Produkte fort, wenn auch mit einer leicht modifizierten Schreibweise. Simon und Roland Landes vermarkten ihre Ware als "Feinsaure Heiss-Delikatessen". Adolf Landes hatte das Sortiment nämlich erweitert und ab 1953 mit der Konservierung der Produkte begonnen - er baute neue Fabrikationsräume und stellte neben dem Sauerkraut unter anderem Blaukraut, Essiggurken oder Silberzwiebeln her. Viele Jugendliche im südlichen Ingolstadt verdienten sich in den 1960er- und 1970er-Jahren ihr erstes Geld beim "Gurkenbrocken" auf den Feldern rund um Unterbrunnenreuth und Unsernherrn. Inzwischen ist das Bezugsgebiet größer geworden, die Gurken stammen etwa aus dem Raum Niederbayern.

Zwischendurch hatte Adolf Landes sogar Getränke produziert, um neben dem Saisongeschäft mit dem Kraut ein zweites Standbein zu haben. "Juwela"-Limonade und "Santa"-Cola hießen die Produkte. "Das ist aber Mitte der 1960er-Jahre zunehmend schlechter gelaufen, als die Brauereien immer mehr in den Markt der nichtalkoholischen Getränke eingestiegen sind", sagt Adolfs Sohn Artur Landes (72), der die Fabrik ab 1973 zusammen mit seinem Bruder Roland übernahm. Die beiden hielten das kleine Unternehmen aber trotz der Konkurrenz großer Hersteller gut im Geschäft. "Je älter ich werde, desto mehr freut mich meine Arbeit", sagt Roland Landes (68) heute. "Wenn ich sonntags mal im Betrieb unterwegs bin, höre ich manchmal die Milchsäurebakterien in den Bottichen blubbern." Er liebt dieses Geräusch wie auch den Geruch, der mit den Dampfschwaden aus dem Gebäude weicht. "Daran erkenne ich schon, ob die Qualität unseres Krauts stimmt", sagt der studierte Lebensmitteltechniker. "Ich bin froh, dass mein Sohn Simon das übernimmt." Roland Landes' Bruder Artur kann da nur zustimmen: "Ich finde, dass Simon das wirklich gut macht."

Der Juniorchef weiß, dass "wir mit unseren Kapazitäten die Grenzen erreicht haben". Aus 8000 bis 10 000 Tonnen Weißkohl produziert er rund 5000 Tonnen Kraut pro Saison. Er kennt zudem die Widrigkeiten des Marktes. Mit einem neuen Zweig als Lohnabfüller für Sirup, Gewürze, aber auch für Pflanzensamen, Cremes und einiges mehr hat er seine Palette erweitert, um nicht allein von Konserven abhängig zu sein.

Die Zukunft des kleinen Familienunternehmens betrachtet der 34-Jährige optimistisch. "Die regionale Vermarktung ist dabei ein wichtiges Thema." Er liefert seine Waren nicht nur an Edeka, Rewe und andere Supermärkte, sondern darüber hinaus an Hofläden, Metzgereien und Kantinen. Die ganze Familie packt mit an, darunter seine Frau Marina und seine Mutter Inge Landes. "Sie kümmern sich um unseren Krautwagen. Er ist auf vielen Märkten unterwegs, in Eichstätt, Ingolstadt, Kösching, Pfaffenhofen und Schrobenhausen. Und die Nachfrage ist überall noch sehr gut."