"Die Kirche kreist zu viel um ihre Probleme"

25.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:23 Uhr
Das Werk Christus II des Künstlers Peter Wittmann ist eines von nur zwei Bildern, die das spartanisch eingerichtete Regensburger Büro von Weihbischof Josef Graf schmücken. −Foto: Rast

Pondorf (DK) Einer Abschaffung des Zölibats und der Priesterweihe für Frauen erteilt der
Regensburger Weihbischof Josef Graf eine Absage. Der aus Pondorf stammende Geistliche setzt für die Zukunft auf die Kraft der christlichen Botschaft.

Wo steht die katholische Kirche in zehn Jahren? Die Antwort des Regensburger Weihbischofs Josef Graf fällt verblüffend aus: „Hoffentlich sehr nah bei ihrem Herrn Jesus Christus.“ Das sei der Auftrag, den Papst Franziskus seiner Kirche erteilt hat. Natürlich ist der aus Pondorf stammende Josef Graf besorgt wegen der leeren Kirchen und des Mangels an Gläubigen. „Aber noch erschreckender ist der Glaubensschwund“, sagt er. „Bei diesem Problem muss man ansetzen.“

Der 59-jährige promovierte Theologe ist keineswegs ein weltfremder Theoretiker. Ihn deprimiert, dass so viele Menschen seiner Kirche den Rücken kehren. Ihn schmerzt, dass der geistliche Nachwuchs in Deutschland fast ausbleibt, dass immer mehr Pfarreien zusammengelegt werden und jeder Priester immer mehr Gläubige betreuen muss. Auch Graf kennt dagegen kein Patentrezept. „Ich befürchte, die katholische Kirche in Deutschland wird im Jahr 2025 kleiner sein als heute.“ Das sei aber nicht nur den Austritten, sondern auch dem demografischen Wandel geschuldet. Doch Graf denkt längst in den Strukturen der Weltkirche. Global sei ein Zuwachs an Katholiken zu verzeichnen, betont er und sieht seine Kirche grundsätzlich auf dem richtigen Weg in die Zukunft. Auch der ständig beklagte Priestermangel werde auf anderen Erdteilen als weniger gravierend empfunden als bei uns.

Eine unmissverständliche Absage erteilt der Weihbischof deshalb den ständigen Forderungen nach dem Ende des Zölibats und der Weihe von Frauen zu Priestern. „Ich bin dagegen und das wird auch nicht kommen“, prophezeit Graf und wendet sich gegen die Klagen über den angeblichen Reformstau in seiner Institution. Stattdessen verweist er auf die Situation in der evangelischen Kirche, von der sich die Gläubigen ebenfalls abwenden. „Ich sage das völlig ohne Häme“, betont er, „aber wenn die Abschaffung des Zölibats die Lösung wäre, dann müsste in der evangelischen Kirche das blühende Leben herrschen.“ Natürlich sei der Priestermangel gravierend. Aber die Abschaffung des Zölibats würde keinen Durchbruch bedeuten. Leider sei der Beruf des Pfarrers auch nicht mehr so hoch angesehen wie früher. Die frei werdenden Pfarrstellen mit Geistlichen aus aller Welt zu besetzen, sei ebenfalls „keine ideale Lösung“. Graf weist aber darauf hin, dass beispielsweise die Priester aus Afrika oder Indien Teile ihres Gehalts an ihre Heimatdiözesen oder Ordensgemeinschaften überweisen würden. Mit diesem Geld werde die Kirche in diesen Ländern unterstützt.

Für Graf liegen die Probleme nicht in den Strukturen der katholischen Kirche begründet, sondern viel tiefer. „Die Menschen haben sich Ersatzreligionen gezimmert“, bedauert er und nennt als ein Beispiel die Gesundheit. Früher sei die Lebenserwartung viel kürzer gewesen, aber dafür hätten die Gläubigen für das ewige Leben gebetet. Heute wolle jeder 90 bis 100 Jahre alt werden, negiere aber das Leben nach dem Tod. Dass die Abwendung von der Kirche und letztlich von Gott mit dem wachsenden Wohlstand zusammenhängen könnte, mag Graf so pauschal nicht gelten lassen: „Der Satz ,Not lehrt beten‘ gefällt mir nicht.“ Denn man sollte Gott in jeder Lebenslage anrufen. Generell würden die Menschen ja nach Antworten auf die Fragen nach dem Sinn des Lebens suchen, doch leider würden sie bei der Kirche oft nicht fündig. Nachdenklich meint Graf: „Manchmal habe ich die Sorge, dass unsere Kirche zu viel um ihre eigenen Probleme kreist.“ Der unstillbare Erlebnishunger vieler Menschen erfüllt Graf ebenfalls mit Bitterkeit. „Ein Leben ist doch auch sinnvoll, wenn man nicht alles erlebt hat“, betont er und verweist auf Anna Schäffer, die er sehr verehrt. „Sie war ein Sozial- und Pflegefall.“ Aber weil sie ihr Leiden von ihrem Glauben her zu deuten vermochte, werde Anna Schäffer heute als Heilige angebetet.

Die Erhebung einer Kirchensteuer in Deutschland sieht Graf ebenfalls nicht als Ursache für die Krise der Kirche. Der Weihbischof ist kein Gegner dieser Abgabe und listet deren positive Auswirkungen auf. Das seien nicht nur die im Gegensatz zu vielen Nachbarländern hervorragend restaurierten Kirchen, sondern auch die zahlreichen Dienste der Kirche im sozialen Bereich und im Bildungswesen. „Ich bin dankbar für dieses System und ich bin den Gläubigen dankbar, die ihre Kirchensteuer bezahlen.“ Denn ohne die Kirchensteuer müsste der Staat viele soziale Aufgaben übernehmen, was dann wiederum jeder Steuerbürger mittragen müsste. Graf räumt ein, dass es der katholischen Kirche in Deutschland verglichen mit der Weltkirche finanziell gut geht. Das treffe aber auch auf den Durchschnitt der hiesigen Bevölkerung zu.

Graf ist sich bewusst, dass die Kirchen in der modernen Gesellschaft nur ein Wettbewerber unter vielen sind. „Wir haben Konkurrenten auf dem Markt der weltanschaulichen Möglichkeiten“, sagt er. Deshalb gelte es in den kommenden Jahren, die christliche Botschaft herauszustellen und zwei Dinge herauszuarbeiten: „Was ist spezifisch christlich? Und was ist spezifisch katholisch?“ Für den Weihbischof ist deshalb vor allem wichtig, den Menschen niemals hochmütig zu begegnen. „Denn schließlich vertreten wir Jesus Christus, der für uns alle am Kreuz gestorben ist.“