Ingolstadt
Die interessanteste zweite Liga der Welt

Der kritische Blick

24.04.2019 | Stand 23.09.2023, 6:45 Uhr

−Foto: Ralf Lueger

Punkten will jeder – doch so einfach ist es nicht, wie man aktuell wieder im Aufstiegskampf der Zweiten Liga und dem Abstiegskampf in der Fußball-Bundesliga sieht. Kein Team kommt richtig vom Fleck. Eine Analyse zum Schneckenrennen in den beiden höchsten deutschen Spielklassen.

Die Große Weinbergschnecke ist eigentlich gar nicht so groß. Zehn bis zwölf Zentimeter werden die Weichtiere im Schnitt groß. Aktuell ist die Schnecke in aller Munde, und das nicht einmal bei französischen Schleckermäulchen. Besonders in der Sportberichterstattung hat die Schnecke aktuell Hochkonjunktur, denn im Abstiegskampf der Bundesliga und im Aufstiegsrennen der Zweiten Liga ist vom Schneckenrennen die Rede. Da muss man aber eingreifen, denn: Das ist eine Beleidigung für die Schnecke! Denn jede Schnecke bewegt sich. Langsam, aber es ist da immer Bewegung im Spiel. 

Mit Rennen hat das Ganze an der – man traut sich eigentlich nicht, es so zu nennen – Spitze der 2. Bundesliga nämlich schon mal gar nichts zu tun. Es ist eher ein Aufstiegsschleichen. Vor der Saison wurde von „der besten Zweiten Liga der Welt“ gesprochen. Das ist ein altbekanntes, gerngepflegtes Ritual im deutschen Fußballsommer, 2018 waren sich alle einig: Diesmal aber wirklich! Große Teams wie der 1. FC Köln und  Hamburger SV, ambitionierte Zweitligisten wie Union Berlin und – zumindest im Sommer 2018 noch – der FC Ingolstadt, dazu Rückkehrer wie der 1. FC Magdeburg und SC Paderborn. Die beste beste Zweite Liga aller Zeiten. Wirklich. Dass es überhaupt ein Aufstiegsrennen gibt, ist an sich ja schon eine Farce – Köln und Hamburg sollten den anderen Teams eigentlich meilenweit voraus sein. Besonders im Fall der Hamburger zeigt sich: Sind sie nicht. Der HSV spielt keine gute Runde. Das ist an sich jetzt nichts Neues. Nur heuer droht der Relegationsrang, in den vergangenen Jahren war dieser das Ziel. Auch Köln müsste mit seinem Bundesliga-reifen Sturm alles kurz und klein schießen. Müsste ist aber auch ein großes Wort. Weil die Teams dahinter wie Union, Holstein Kiel, Paderborn, der 1. FC Heidenheim und weitere Konsorten ebenfalls regelmäßig punkten wie Pleiten kassieren, könnte man meinen: Im Endeffekt will doch keiner in das Fußball-Oberhaus, alle wollen in der Zweiten Liga bleiben.


Und auch in der  Bundesliga zeigt sich: Die Zweite Liga scheint die wahrlich interessantere zu sein. Da gibt es vier Teams, die nach 30 Spielen keine 30 Punkte haben. Tatsächlich könnten erstmals 27 Punkte für den direkten Klassenerhalt reichen. Eine erschreckende Bilanz und das eigentliche Zeichen für die Schwäche der Bundesliga. Abstiegskrampf statt Kampf. Der 1. FC Nürnberg gewinnt ein halbes Jahr kein Spiel, um mit dem ersten Sieg dann auch direkt die Rote Laterne abzugeben. Beeindruckend schlecht. Als hätte der Rest der Liga Mitleid. Die Spiele von Nürnberg, Hannover 96, dem FC Schalke 04 und VfB Stuttgart haben ein wenig etwas vom Dschungelcamp: Eigentlich möchte man nicht hinsehen, aber der innere Voyeurist freut sich  und kann nicht wegschauen. Dazu kommen Trainerentscheidungen, die Fragen aufwerfen: Warum überhaupt (Tedesco/Stevens), warum erst jetzt (Weinzierl), warum den (Doll) und warum den nicht (Neururer)? Auch hier beschleicht einen so langsam aber sicher das Gefühl: Alle Teams wollen in die Zweite Liga.


Dem Fußball-Romantiker macht das  Hoffnung. Geht es doch nicht allen um das große Geld? Wollen die Vereine ihren Fans noch weitere Stadien der Republik schmackhaft machen? Geht es den Teams doch nur um den Spaß? Macht ja auch mehr Freude, in der Zweiten  Liga (wahrscheinlich) mehr Spiele zu gewinnen, als sich regelmäßig von den Bayern den Hosenboden versohlen zu lassen. Wer auch am Ende absteigt – die Zweite  Liga bleibt die interessanteste der Welt. Und nächste Saison wird es auch mit Sicherheit die beste  zweite Liga der Welt. Diesmal aber wirklich wirklich. Bis dahin: Guten Rutsch, liebe Schnecken. 

 

Kevin Reichelt