Berlin
Die Hoffnungen ruhen auf einem Europäer

Der ehemalige EU-Parlamentspräsident Martin Schulz soll die SPD zurück ins Kanzleramt führen

24.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:45 Uhr

Vorläufiger Höhepunkt seiner Karriere: Martin Schulz wird wohl neuer SPD-Chef und Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten. ‹ŒArch - foto: Imago

Berlin (DK) Martin Schulz, beherzter Vorkämpfer für die EU, aber ohne jede Regierungserfahrung, soll Kanzlerkandidat und Parteichef der SPD werden. Der Mann, der mehr als zwei Jahrzehnte im EU-Parlament die Fäden zog, könnte antreten, um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Bundestagswahl im September vom Thron zu stoßen.

Ist der 61-Jährige vom Niederrhein ein Notkandidat? Ein zweiter Peer Steinbrück, der nach dem Verzicht von Sigmar Gabriel in den Ring muss, weil es keine Alternative gibt? Oder ist Schulz ein Hoffnungsträger, der mit seiner Energie und Erfahrung das Ruder in nur neun Monaten noch herumreißen kann?

In den Umfragen - und das gab wohl auch den Ausschlag für Gabriels Rückzug - halten auch die SPD-Mitglieder Schulz für den besseren Kandidaten. Es könnte mehr Ausdruck von Gabriels Schwäche sein als von Schulz' Stärke. Denn innenpolitisch ist er ein unbeschriebenes Blatt, unter den zehn beliebtesten Politikern ist er bislang nicht aufgetaucht.

Für Schulz wären Kanzlerkandidatur und SPD-Vorsitz die vorläufige Krönung einer beachtlichen Laufbahn. Als junger Mann träumte er noch von einer Karriere als Fußballspieler. Nach einer schwerwiegenden Verletzung stürzt er ab, trinkt zu viel. Er besiegt die Alkoholsucht, wird Buchhändler. 1974 tritt er in die SPD ein. Und schon mit 31 Jahren erobert er das Rathaus von Würselen, wird jüngster Bürgermeister in NRW. 1999 ist er Mitglied der SPD-Führung. Seine Qualitäten als Wahlkämpfer stellte Schulz 2014 unter Beweis. Sein Ziel damals: Als Spitzenkandidat der Europäischen Sozialdemokraten den Sprung an die Spitze der EU-Kommission zu schaffen. Am Ende schlägt er ein beachtliches Ergebnis heraus, 27,3 Prozent. Das Ziel verpasst er trotzdem, muss sich Jean-Claude Juncker von den Konservativen geschlagen und mit der Präsidentschaft des EU-Parlaments zufriedengeben.

In der SPD ist Schulz bestens vernetzt, auch wenn er wegen seiner mehr als zwei Jahrzehnte in Straßburg und Brüssel über keine Hausmacht verfügt. Seitdem im November klar war, dass Schulz das Feld in Brüssel räumen muss und er seinen Wechsel nach Berlin verkündete, meldete er sich häufiger als sonst in Interviews und bei öffentlichen Auftritten zu Wort, zeigte seine Ambitionen. Nun muss er aus dem Nichts ein Wahlkampfteam aufstellen. Es wird seine bislang größte Herausforderung - baldiger Absturz nicht ausgeschlossen.