Ingolstadt
Die Helfer in der blauen Weste

Muskelkraft und Einfühlsamkeit sind bei einem Arbeitseinsatz bei der Bahnhofsmission gefragt

22.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:19 Uhr

Mit dem Rollstuhl verreisen ist gar nicht so leicht. Jörn Renzmann, ein Ehrenamtlicher der Bahnhofsmission, und seine DK-Aushilfe können weiterhelfen - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK)

Ingolstadt (DK) Ferienzeit – Reisezeit. Am Ingolstädter Hauptbahnhof ist derzeit viel los. Ein perfekter Zeitpunkt also, um als Volontärin des DONAUKURIER in eine der leuchtend blauen – und viel zu großen – Westen der Bahnhofsmission zu schlüpfen, um den diensthabenden Ehrenamtlichen, Jörn Renzmann, für einige Stunden zu unterstützen.

Bahnhofsmissionen sind Einrichtungen der evangelischen und katholischen Kirchen. „Am Hauptbahnhof gibt es 13 Ehrenamtliche“, sagt Heike Bergmann, die Leiterin der Ingolstädter Mission. Sie helfen älteren Menschen mit Rollator oder Müttern mit Kinderwagen, ihr Gepäck von Bahnsteig zu Bahnsteig zu tragen oder passen auf den Koffer auf, wenn der Reisende mal kurz wohin muss.

Auch seelischer Beistand fällt unter die Aufgaben der Ehrenamtlichen. „Zwei- bis dreimal am Tag kommt jemand zum Büro, der mit uns reden möchte“, erzählt Bergmann. Wichtig sei es, für diese Menschen da zu sein – ob das nun der fast blinde Mann ist, der einen Brief vorgelesen haben will, die arbeitslose Schauspielerin, die auf der Durchreise Gesellschaft sucht, oder der Obdachlose, der eine Jacke braucht und von der Bahnhofsmission an die Kleiderkammer weitergeleitet wird.

Die erste Aufgabe für die Aushilfs-Ehrenamtliche steht gleich bei Dienstbeginn an. Vor dem Büro an Gleis 1 wartet eine Frau im Rollstuhl und fragt nach einem Kaffee. Sie ist bei Renzmann und Bergmann bereits bekannt. „Sie hat psychische Probleme, will aber keine Hilfe annehmen“, erklärt Renzmann, während seine Helferin den Kaffee kocht und zwei Leberwurstbrote zubereitet. Die Seniorin, die mit dem Zug jeden Tag von Bahnhof zu Bahnhof reist, erzählt von ihren Problemen. Der Mann sei verschwunden, aus der Wohnung sei sie rausgeworfen worden und in Pflegeheimen wolle man sie einsperren. Tröstende Worte reichen hier wohl nicht, plötzlich fängt die Frau zu weinen an.

Heike Bergmann nimmt sich ihrer an, denn laut Renzmanns Spickzettel fährt jeden Moment der nächste Zug ein und ein guter Bahnhofsmissionar muss dann natürlich zur Stelle sein. „Solche Fälle darf man nicht so an sich ranlassen“, sagt der 63-Jährige, der sich als „Unruheständler“ bezeichnet. Seit über einem Jahr ist Renzmann als einer von vier Männern bei der Bahnhofsmission dabei. „Um mich geistig fit zu halten, unter Leuten zu sein und in Bewegung zu bleiben.“

Bewegung kommt bei der Bahnhofsmission tatsächlich nicht zu kurz. Von Gleis zu Gleis geht es treppauf, treppab – doch heute benötigt kaum jemand Hilfe beim Koffertragen. Nur ein junger Mann, der mit seinem vollbepackten Fahrrad vor der Treppe steht und zweifelnd nach unten sieht, wird auf den Lift aufmerksam gemacht. „Man sollte sich nicht aufdrängen, aber manchmal sehe ich, wo ich helfen kann“, sagt Renzmann.

Dann gibt es doch etwas zu tun: An Gleis 2 steht ein Rollstuhlfahrer und wartet auf den 12.05-Uhr-Zug Richtung München. Gern nimmt er Hilfe beim Einsteigen an und erzählt aus seinem Leben, bis der Zug einfährt. „Durchblutungsstörung, hab’ ich geerbt“, sagt der Mann, der nach Rohrbach will. „Meinem Onkel haben sie beide Beine abgenommen, ich hab’ nur am Unterschenkel eine Prothese – bis jetzt.“

Als der Zug steht, muss er bis zum letzten Waggon fahren, wo Platz für den Rollstuhl ist. Schon springt ihm ein Schaffner entgegen. Die schwache Volontärin würde sich über männliche Unterstützung beim Rollstuhlheben freuen. Doch es kommt anders. „Sind Sie angemeldet“, ruft der Schaffner in – milde ausgedrückt – ungeduldigem Ton. Wenn der Rollstuhlfahrer nicht angemeldet sei, dürfe er ihm nicht helfen. „Ist das eine dienstliche Anordnung“, fragt Jörn Renzmann, während er den Rollstuhl selbst die Stufen hochhebt. Der Schaffner bleibt eisern. Auch beim Aussteigen könne er dem Mann nicht helfen. „Wenn er nicht angemeldet ist, darf ich nicht“, sagt er. „Wenn er Pech hat, fährt er dann halt bis München.“

Der Rollstuhlfahrer regt sich gar nicht auf – Unfreundlichkeiten gehören offenbar zu seinem Alltag. Jörn Renzmann und seine Aushilfe bleiben empört zurück. „So was hab’ ich noch nie erlebt“, sagt Renzmann. Der Vorfall sei ein gutes Beispiel, warum die Bahnhofsmission gebraucht wird. Also auf zum nächsten Gleis, die Augen stets offen gehalten nach hilfesuchenden Blicken.