Nürnberg
Die halbierten Genossen

Wahldesaster in der einstigen Hochburg wird die Nürnberger SPD noch lange beschäftigen - Fingerzeig nach Berlin

22.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:45 Uhr
Nur Stefan Schuster und Arif Tasdelen (2.v.l.) haben die Wiederwahl über die Landesliste geschafft. Claudia Arabackyj (links) und Kerstin Gardill sind dagegen gescheitert. −Foto: Knoll

Nürnberg (HK) Die bayerische SPD hat am Wochenende beschlossen, ihren Parteitag vorzuziehen. Dazu tagte der Landesvorstand in Nürnberg, der Stadt, die lange als Hochburg der Sozialdemokraten galt. Wovon aber so gut wie nichts mehr übrig ist. So schafften nur zwei der vier Nürnberger Kandidaten den Einzug ins Parlament. Der Schock sitzt immer noch tief.

Bis zuletzt hatten die vier SPD-Kandidaten in Nürnberg noch gehofft, den Einzug in den Landtag zu schaffen. Doch lediglich Stefan Schuster und Arif Tasdelen haben die Wiederwahl über die Landesliste geschafft. Die weiblichen Landtagskandidaten der Nürnberger SPD, Claudia Arabackyj und Kerstin Gardill, haben den Sprung ins Parlament verpasst, da künftig aus ganz Mittelfranken nur noch vier SPD-ler im Maximilianeum sitzen dürfen. Neben den beiden Nürnbergern sind das Listenführer Horst Arnold aus Fürth und Alexandra Hiersemann aus Erlangen.

Sie haben sich an den Herd gestellt. Sie haben Prominente eingeladen. Sie haben sich gemeinsam an den Händen gefasst und im Wahlkampf gegenseitig Mut zugesprochen. Es hat nicht geholfen. 2013 erreichten die Sozialdemokraten in ihrer fränkischen Hochburg noch 29,7 Prozent der Stimmen. Aktuell votierten nur noch 14,6 Prozent für die Nürnberger Genossen. Worin liegen die Gründe für diesen Absturz?

An den kreativen Ideen im Wahlkampf kann die Halbierung in der Wählergunst kaum gelegen haben. Stefan Schuster stellte sich gar als Koch zur Verfügung, um die Bürger für sich zu gewinnen. Unter dem Motto "Nichts anbrennen lassen" stellte der gelernte Feuerwehrmann in den letzten zehn Wochen jeden Freitag ein neues Rezept vor. Sogar am Freitag vor der Wahl hat Schuster noch zum Kochlöffel gegriffen und dem potenziellen Wähler zum krönenden Höhepunkt eine knusprige Schweineschulter serviert.

Von politischen Fragen ließ sich Schuster im Übrigen bei seiner Kocherei nicht ablenken. Stattdessen konzentrierte er sich in seinen "Kochsendungen" auf Gewürzfragen und Beilagentipps. Dabei versteht sich Stefan Schuster als "Sicherheitsexperte" seiner Partei. Wenn er also nicht Kräuter schneidet oder Schuppen entfernt, kümmert sich der Sozialdemokrat als Politikprofi um Themen wie Polizei und Feuerwehr.

Beinahe hätte der 59-jährige Schuster nach der Wahl noch mehr Zeit zum Kochen gehabt. Früher hätte Schuster, der seit 2002 im Landtag sitzt, mit Platz fünf einen bombensicheren SPD-Listenplatz in Mittelfranken gehabt. Nach dem desaströsen - weil einstelligen Ergebnis - hatte Schuster zittern müssen. Nach dem Auszählen der Stimmen konnte er sich aber gerade noch knapp auf den dritten Platz vorschieben. Direkt dahinter folgt Arif Tasdelen, der einen Platz nach hinten gerutscht ist. Aus seiner Erleichterung hat Schuster keinen Hehl gemacht, als er von seinem knappen Wiedereinzug erfahren hat. Eine "herbe Enttäuschung" sei das Wahlergebnis trotzdem.

Sorgen um seine Zukunft hätte sich Schuster nicht machen brauchen. Nach 20 Arbeitsjahren bei der städtischen Berufsfeuerwehr hätte er mit 60 Jahren in Pension gehen können. Arbeiten hätte Schuster auch dann nicht mehr müssen, wenn der Einzug gescheitert wäre. In diesem Fall hätte der 59-jährige Feuerwehrler vom Freistaat ein Übergangsgeld bekommen.

Arif Tasdelen vertraute in seinem Wahlkampf eher auf Prominente statt auf Kochkünste. Mit der ehemaligen Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf besuchte er ein Kinderfest und sprach dabei über Herausforderungen in der Integrationspolitik. Auch mit dem Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (ebenfalls SPD) trat Tasdelen, der in der Türkei geboren worden ist, auf. "Ohne Maly im Rücken hätte die SPD in Nürnberg noch mehr Stimmen verloren", sagt Tasdelen unserer Zeitung. Erst kürzlich wurde im Übrigen der sozialdemokratische Oberbürgermeister Ulrich Maly zum beliebtesten Rathauschef in Deutschland gekürt.

Im Wahlkampf hatte sich Tasdelen nicht nur als Integrationsexperte präsentiert. Er versuchte auch, mit lokalen Themen in seinem Stimmkreis zu punkten. 2013 hatte Tasdelen im Nürnberger-Norden nur knapp das Direktmandat verpasst. Jetzt waren es nur noch 15,5 Prozent.

"Vielleicht liegt es am Rechtsruck in der Gesellschaft", sucht Tasdelen am Telefon nach einer Erklärung und verweist auf seinen Migrationshintergrund. Auch mit sozialen Themen habe die SPD nicht mehr punkten können. Die Menschen würden den Genossen "einfach nicht mehr abnehmen", dass man mit sozialem Wohnungsbau steigende Mieten bekämpfen könne, sagt er und verlangt eine schonungslose Analyse des Wahldebakels.

Die SPD in Nürnberg wird das wohl noch länger beschäftigen. "Der Wahlausgang ist ein bitterer Einschnitt für die Sozialdemokratie in Bayern. Das landesweite Ergebnis ist desaströs - in Nürnberg konnten wir uns leider nur bedingt von diesem Gesamttrend absetzen", sagt der Nürnberger SPD-Chef Thorsten Brehm. "Wir werden das Wahlergebnis nun auf allen Ebenen nachbereiten und unsere Konsequenzen daraus ziehen müssen. Insbesondere muss sich das Auftreten der großen Koalition in Berlin ändern."

Nikolas Pelke