Köln (DK
Die Angst stoppt den "Charlie-Hebdo"-Wagen

Viele Kritiker bewerten den Rückzieher der Kölner Karnevalisten als Niederlage für die Meinungsfreiheit

29.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:42 Uhr

Köln (DK) Beim Rosenmontagszug feiern die Kölner Jecken, sie lachen, sie spotten über alles, was den Leuten gerade auf den Nägeln brennt. Aber es gibt auch Themen, bei denen einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Der 11. September 2001 in New York zum Beispiel oder der Kindesmissbrauch in der Kirche. Beides blieb ausgespart in Köln. Das Folterlager Guantanamo und der Volksaufstand in Libyen dagegen fuhren mit auf den Karnevalswagen.

Und auch nach dem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris schien es, als könnte man die Mörder verspotten, ohne gegen die Opfer pietätlos zu wirken. Ein Mann mit Pappnase sollte das schaffen – um die Hüfte Zeichenstifte gebunden, wo Terroristen Sprengstoffgürtel tragen. Und dieser Jeck entschärfte mit seinem Stift die Waffe eines Attentäters.

Zusammen mit 13 anderen Entwürfen stand das Motiv online, auf der Seite des Kölner Karnevals eines sozialen Netzwerks, und 2500 Fans sprachen sich dafür aus. „Meinungsfreiheit ist für den Kölner Karneval so wichtig wie die Luft zum Atmen“, begründete der Präsident des Festkomitees Markus Ritterbach die Entscheidung, einen solchen Wagen in den Zug aufzunehmen.

Aber dann, plötzlich, der Rückzieher. Es gab Berichte, wonach Leute, die auf benachbarten Wagen fahren sollten, Furcht vor einem Anschlag hätten. Gerüchte über besonderen Polizeischutz. Nach Aussage des Festkomitees alles Unsinn, aber es habe massenhaft Anrufe und Mails von Menschen gegeben, die sich nicht mehr trauten, zum Rosenmontagszug zu kommen, sagt Zugleiter Christoph Kuckelkorn. „Das muss man auch ernst nehmen. Wir sind nicht in erster Linie Satiriker, sondern Karnevalisten.“ Wohlgemerkt: Es „besteht und bestand keinerlei Risiko für den Kölner Rosenmontagszug, weder für Teilnehmer noch für Besucher – auch ausdrücklich nicht wegen des Charlie-Hebdo-Wagens“, teilte das Festkomitee unter Berufung auf Polizei und Behörden mit. Nicht irgendeine Gefahr hat also den Buntstifte-Mann und seinen Wagen ausgebremst, sondern die Angst vor der Gefahr.

Jetzt ist die Enttäuschung groß bei allen, die sich auf das Signal für Meinungsfreiheit am Rosenmontag gefreut hatten. Spott bekommen plötzlich die Karnevalsfunktionäre selbst ab. Es gebe eben nicht nur Narrenmut, sondern auch Narrenfeigheit, ist in sozialen Netzwerken im Internet zu lesen, und sogar: „Dann haben die Terroristen also gewonnen.“

Auch Wolfgang Bosbach (CDU), Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, zeigte sich enttäuscht: „Für mich ist es einigermaßen nachvollziehbar, dass das Festkomitee Kölner Karneval erklärt, es wolle den Rosenmontagszug nicht zur Zielscheibe von Extremisten machen.“ Immerhin kämen etwa eine Millionen Menschen zu dem Umzug. Dennoch halte er diese Entscheidung für sehr problematisch. „Sie bedeutet letztendlich ein Einknicken vor Extremisten.“ Wenn man die katholische Kirche aufs Korn nimmt, brauche man dafür wirklich keinen Mut. Beim Thema Islam sehe es völlig anders aus: „Wir haben die Schere in Wahrheit doch schon lange im Kopf. Jeder, der sich kritisch äußert, wägt seine Worte genau ab, damit er nicht in das Visier von gewalttätigen Islamisten gerät.“

Das Festkomitee sah sich bei seiner Entscheidung in einem Dilemma. Die Gefahr mag nicht real gewesen sein, die Angst aber schon. Und die Vorstellung, dass die Straßen am Rosenmontag leerbleiben oder zumindest leerer als sonst sein könnten, hat nun zum Rückzieher geführt.