Ingolstadt
"Deutsch war nie mein Lieblingsfach"

Trotzdem kann er die Sprache hervorragend: Seit vier Jahren spielt der Ungar Péter Polgár am Stadttheater Ingolstadt

15.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:32 Uhr

Die leere Bühne ist für Péter Polgár Herausforderung. - Foto: Thinkstock

Ingolstadt (DK) Er wollte schon immer Schauspieler werden. Schon in der Kindheit, erinnert sich Péter Polgár. Kein Feuerwehrmann, Polizist oder Baggerführer? "Ich wollte alles sein. Und habe gemerkt, dass die Schauspielerei unzählige Möglichkeiten bietet. Jeden Abend kann man etwas anderes sein, sich in andere Leben schmuggeln, neue Sachen ausprobieren." Und auch der Familie und den Freunden war bald klar, wohin Péter Polgárs Weg führen würde. "Wenn es um Geschichten ging, habe ich immer schon weit ausgeholt, sehr farbenfroh erzählt und viel ausgeschmückt." Er lacht. Damals hatte er natürlich Hollywood im Sinn. Dort wollte er Karriere machen. Einen Oscar gewinnen

Er ist in Ingolstadt gelandet. Und nach der deutsch-ungarischen Koproduktion mit dem freien Theater KOMA bei "König Ubu" vor vier Jahren geblieben. An diesem sonnigen Morgen sitzt er in der Bar Marinella und rührt in seinem Latte Macchiato. Dabei hatte er nie an Deutschland gedacht. "Deutsch war nie mein Lieblingsfach in der Schule." Immerhin konnte er ein paar Brocken. Auch wenn er sich mit den Kollegen zu Beginn meist auf Englisch unterhielt. Denn das ist fast "meine zweite Muttersprache". Als er sechs Jahre alt war, zog die Familie nach England, weil der Vater, ein Geschäftsmann, dort arbeitete. Der Sohn wurde dort eingeschult - und lernte die Sprache schnell. Nach eineinhalb Jahren kehrte die Familie zurück nach Budapest. Aber Péter Polgár ging mit 15, 16 als Austauschschüler in die USA, und in dieser Zeit festigte sich der Wunsch, dort zu studieren. Nach dem Abitur in Ungarn erfüllte er sich diesen Traum, wurde aber bald von der Realität eingeholt. "Es war alles so fremd. Eine ganz andere Welt. Gar nicht cool, sondern eher gekünstelt."

Er kam zurück nach Budapest. Ergatterte einen der begehrten Plätze an der Színmuvészeti (Theaterakademie) in Budapest in der Schauspielklasse von Gábor Máté. Und gründete mit anderen Absolventen nach dem Studium das freie Theater KOMA. Die Abkürzung steht für "Zeitgenössisches Ungarisch" und ist Programm: "Wir wollten neue, moderne Stücke entwickeln, die tatsächlich etwas mit unserem Leben zu tun haben." Und einen Kontrapunkt zum eher konservativen Stadt- und Staatstheater setzen.

Die Gruppe kaufte eine alte Schule, renovierte sie und machte junges, mutiges Theater. Mangelnde Gelder machte man durch Eifer und Leidenschaft wett. Aber weil sich auch die kulturelle Situation in Ungarn grundlegend änderte, viele neue Schauspielschulen öffneten, viele freie Gruppen um Publikum buhlten, wurde die Lage für KOMA - trotz internationaler Erfolge - immer schwieriger. "Jedes Jahr war eigentlich klar, dass es das letzte sein wird", erzählt Polgár.

Und als Knut Weber ihm und Péter Valcz die Möglichkeit bot, nach der "Ubu"-Produktion als Gäste in Ingolstadt zu bleiben - sie spielten die Erzähler-Raben in der "Schneekönigin" -, sagt er zu. "Da war die Auflösung von KOMA schon beschlossen." Seither ist er hier - und während Péter Valcz, der im Jungen Theater Fuß gefasst hatte, wieder weitergezogen ist, hat er im vergangenen Jahr einen festen Vertrag (bis 2017) unterschrieben. Und spielt groß: "Ein Mann, zwei Chefs", "Die Bremer Stadtmusikanten", "Hauptsache Arbeit!", "Rio Reiser", "Die schöne Helena" und gerade Sir Galahad mit knall-oranger Betonfrisur im Freilichtspektakel "Spamalot". "Ich liebe Monty Python", schwärmt er. "Ich habe vor 17 Jahren angefangen, mit Freunden Trashmovies zu drehen. Da stand Monty Python mit seinem Humor Pate. Wir haben sogar ein Festival gegründet, wo nur Trashfilme liefen. Aber eigentlich ist das Filmen nur ein Hobby."

Die größte Herausforderung? "Zu Beginn die Sprache", meint Polgár, der längst hervorragend Deutsch spricht. Ohne Kurs. Einfach durch Gespräche, Textarbeit, den Alltag. Und mit viel Hilfe der Kollegen, die er gar nicht genug loben kann. "Ich habe schon viele Ensembles erlebt, in denen es auch nette Menschen gab. Aber in Ingolstadt ist es eine richtige Familie." Für die "Schneekönigin" hatte Michael Amelung beispielsweise den Text für die beiden ungarischen Gäste eingesprochen: "Rabe 1: Kra, kra, kra, Rabe 2: Kra, kra, kra, usw.", erzählt Polgár. Gelernt wurde nach Gehör. "Auch die Leseproben waren zu Beginn immer stressig für mich. Ich musste den Text immer schon eine Woche vorher bekommen, um mich vorzubereiten."

Das mit der Sprache hat er geschafft. Genauso wie sein zweites Projekt: Er wollte bis zu seinem 30. Geburtstag 30 Kilo abnehmen. Als er nach Ingolstadt kam, wog Péter Polgár noch 120 Kilo. Das Witzige: Für seine Rolle des Sancho Pansa im Freilichttheater "Der Mann von La Mancha" musste er sich einen Bauch umschnallen. Insgesamt hat er 40 Kilo abgenommen. Aber Polgár ist auch nicht unbedingt ein Fan der bayerischen Küche.

Noch bis 23. Juli steht er in "Spamalot" auf der Bühne - unter anderem als Schwarzer Ritter. Daneben wird schon Carlo Goldonis "Impresario von Smyrna" geprobt, der die nächste Spielzeit am 1. Oktober eröffnet. Im August stehen noch ein paar Drehtage für eine ungarische Kino-Komödie an. Und zuvor noch ein Workshop zum dokumentarisch-musikalischen Theaterprojekt "Die Georgier", an dem Péter Polgár mitwirkt. Er weiß schließlich gut, wie man sich fühlt in der Fremde - und wie auch Kunst zur Heimat werden kann.