Der Zug ist abgefahren

19.06.2009 | Stand 03.12.2020, 4:52 Uhr

Dieser Anblick könnte bald Vergangenheit sein: Befürworter und Gegner des Abbruchs debattierten am Freitag leidenschaftlich über den historischen Wert des Nordbahnhofs. - Foto: Rössle

Ingolstadt (sic) Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft prallten heftig aufeinander. Im Schatten des verlassenen Nordbahnhofs, wo nur noch auf den Bahnsteigen Leben stattfindet, stritten die Bewahrer des historischen Gebäudes flankiert von beiden Stadtheimatpflegern mit lokalen Behördenvertretern, einer Denkmalforscherin vom zuständigen Landesamt und dem CSU-Landtagsabgeordneten Roland Richter. Die Gegner wollen dort die Abrissbirne sehen.

Zusammen mit seinem SPD-Kollegen Christoph Rabenstein war Richter am Freitag als Berichterstatter des Hochschulausschusses gen Ingolstadt gereist. Das Gremium soll den Nordbahnhof nach einer Petition retten. So hoffte jedenfalls die Anti-Bagger-Bewegung. Gerda Büttner, Gudrun Rihl, Peter Braun, Christian Dittmar, Gerhard Schmidt und Achim Werner gaben alles. Das letzte Gefecht währte über eine Stunde. Leidenschaftlich. Dann mussten sie einsehen: Es ist vorbei.

Derweil stand im Inneren die Zeit still. Am Fahrkartenschalter mit der "Geschlossen"-Tafel aus Metall gibt es noch ein graues Wählscheibentelefon, an der Wand hängen eine Ingolstadt-Karte ohne Westpark und ein Reklameposter für Eis mit Preisen in D-Mark (Magnum 2,50). Um die Ecke verstauben die Schaukästen für Plakate mit den Namen der Altstadtkinos, die auch nicht mehr existieren.

Sicher, der Bahnhof sei ziemlich runtergekommen, ja greislich sogar, gab Gerhard Schmidt zu. Doch es hätte "so viele tolle Pläne von Architekten für eine Umnutzung gegeben". Es dürfe nicht sein, "dass dieses Stück Ingolstädter Geschichte 30 oder 40 Parkplätzen geopfert wird!" Gerda Büttner erinnerte an die "emotionalen Effekte" der Anlage. "Hier sind die Flüchtlinge angekommen. Und hier trafen sich die kleinen Leute, um mal rauszukommen." Für den SPD-Landtagsabgeordneten Werner ist alles nur "ein Trauerspiel". Zu viele Verantwortliche seien sich des historischen Erbes der Stadt nicht bewusst. "Allmählich wird’s verheerend!"

An dieser Stelle gewann die Debatte an Schärfe. "Ich mache seit 30 Jahren Denkmalschutz – und das ist ein Affront gegen meine Arbeit!", donnerte Siegfried Bauer vom Stadtplanungsamt. Man hätte "x-mal" Varianten für den Bahnhof untersucht – ohne überzeugendes Ergebnis". Und überhaupt: "Es gibt ja auch andere Meinungen." Auf diese Tatsache legte CSU-Vertreter Richter – ein Architekt – ebenfalls großen Wert. Er verwies auf den Stadtratsbeschluss über den Abriss. "Wir werden nicht in die Entscheidung einer Kommune eingreifen, die deutlich abgestimmt hat." Im Übrigen gebe es eine eindeutige ablehnende Aussage des Landesamts für Denkmalpflege.

Dessen Abgesandte, Irmhild Heckmann-von Wehren, erläuterte, warum ihre Behörde den Nordbahnhof nicht auf die Denkmalliste setzen will: "Es ist nicht genug historische Substanz vorhanden." Die Wertigkeit sei kaum nachzuvollziehen. "Die Schlichtheit ist kein Problem." Jedoch: "Es handelt sich nicht um einen klassizistischen Bau, sondern um eine Holzbaracke, die später, wie man das nennt, versteinert worden ist." – "Das trifft auf viele Denkmäler zu!", erwiderte Schmidt. Trotzdem seien sie erhaltenswert. Da sprang ihm Stadtheimatpfleger Dittmar zur Seite: "Man kann Gebäude auch dann als Denkmal würdigen, wenn der Urzustand nicht mehr besteht."

Am Ende dieses Ortstermins schritt der 75-Jährige mit Siegern und Verlierern ein letztes Mal durch die einsame Schalterhalle. Seine Melancholie vermochte er kaum zu verhehlen. Dittmar ist ganz in der Nähe des Bahnhofs aufgewachsen. "Ich habe alles getan, was mein Amt erlaubt, um ihn zu erhalten." Es hätte ihn sehr gefreut.