Tagmersheim
Der wundersame Wiederfund der Madonna

Vor 80 Jahren kam die gotische Marienfigur der Spindeltalruinenkirche nach 400 Jahren Dunkelheit wieder ans Tageslicht

12.12.2011 | Stand 03.12.2020, 2:03 Uhr

 

Tagmersheim/Konstein (EK) Vor 80 Jahren, am 5. Dezember 1931, wurde nach nahezu 400 Jahren die verschollene „Liebe Frau vom Spindeltal“ wieder gefunden, eine gotische Marienstatue, die als wundersames Gnadenbild in der Spindeltal-Ruinenkirche verehrt wird.

Die Anfänge der Wallfahrt im Spindeltal reichen bis in das 14. Jahrhundert zurück. Graf Konrad von Helfenstein, Landgraf von Monheim, erwarb im Jahre 1458 vom Markgrafen von Ansbach Burg und Markt Wellheim als erbliches Lehen. Sein Sohn Jörg von Helfenstein ließ 1477/78 im Spindeltal anstelle einer baufälligen Marienkapelle eine gotische Kirche errichten, die sich rasch zu einer Marienwallfahrtsstätte entwickelte. Der Grund, auf dem die Kirche stand, gehörte zum Pfarrgebiet von Wellheim, Bistum Augsburg.

1522 übernahm Herzog Ottheinrich die Regierung im Fürstentum Pfalz-Neuburg. Ottheinrich trat 1542 zum lutherischen Bekenntnis über und führte im die Reformation ein. Er schickte ein Aufgebot von Reitern ins Spindeltal, sie zerstörten die Türen, schlugen die Fenster ein, raubten die liturgischen Gewänder und Geräte und stürzten die schwere Steinmadonna von ihrem Postament. Dabei wurden ihr die Arme abgeschlagen sowie die Nase und die vorstehenden Gewandfalten beschädigt.

Geheimnisvolle Gruft

Die Wirtsleute vom Spindeltal, die sich immer zu Ensfeld gehörig betrachteten, haben nachts in der Sakristei der Kirche die Madonna in Sicherheit gebracht und buchstäblich unter der Erde versteckt. Sie hofften vergeblich, dass es ihnen vergönnt sein möge, noch zu ihren Lebzeiten die geheimnisvolle Gruft wieder zu öffnen.

Das bedeutete zunächst das Ende der Wallfahrt. Aber auch von der Madonna unter der Erde ging noch eine besondere Anziehungskraft aus: Bewohner von Ensfeld und viele andere Verehrer der Madonna kamen weiterhin zum Gebet an diesen geheimnisvollen Ort.

Ab 1727 beginnt eine neue Blütezeit. Damals stürzte Franz Ferdinand von Schwab, pfalz-neuburgischer Kastner zu Graisbach, in der Nähe der Kirchenruine vom Pferd. Er blieb unverletzt. Zur gleichen Stunde war bei einem Unfall dessen Gattin zuhause von einer möglichen Verletzung verschont geblieben. Aus Dankbarkeit ließ er ein sehr schönes Gemälde in der Ruine anbringen, das Maria als Himmelskönigin mit dem göttlichen Kind zeigt.

Das gläubige Volk setzte durch, dass die Kirche 1747 im Stil des Rokoko wieder aufgebaut und erweitert wurde. Die Wallfahrt im Spindeltal erlebte eine nie dagewesene Blüte.

In der Folgezeit kam es zu einem jahrzehntelangen Streit zwischen den Pfarreien Rögling und Wellheim um die Wallfahrtseinnahmen. Der Streit wurde bis zum bitteren Ende geführt: 1781 kamen der Eichstätter Generalvikar und das Augsburger Ordinariat überein, die Kirche aufzulassen und zu demolieren. Das war vor genau 230 Jahren. Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte erlebte die Wallfahrt Unserer Lieben Frau im Spindeltal einen Niedergang.

In den meisten Publikationen über die Ruinenkirche wird berichtet, dass im Jahre 1931 ein arbeitsloser Zimmermann aus Tagmersheim die Sandsteinfigur, die nahezu 400 Jahre verschollen war, nach längeren Grabungen wiedergefunden hat. Der ehemalige Tagmersheimer Pfarrer Max Stengl (gestorben 1981) und Lehrer a. D. Anton Mayer haben sorgfältig recherchiert, um über den „Schatzgräber“ von 1931 Näheres in Erfahrung zu bringen. Zuverlässigste Zeugin war die Tochter jenes Mannes, der in der Spindeltalruine den sensationellen Fund gemacht hat: Der „Schatzgräber“ heißt Xaver Hiermeyer. Er war arbeitslos wie viele andere, weil die Solnhofener Steinbrüche – dorthin gingen viele aus dem Juradorf zur Arbeit – den Betrieb eingestellt hatten.

Xaver Hiermeyer wurde am 10. November 1877 in Tagmersheim geboren. Sein Vater war Flurer, Nachtwächter und Gemeindediener in einem. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte er in Eichstätt das Schäfflerhandwerk. 1901 heiratete er und leistete beim Chevauleger-Regiment in Dillingen den Militärdienst ab.\t Von 1914 bis 1918 nahm er in Frankreich am Ersten Weltkrieg teil. Da nach dem Krieg im Schäfflerhandwerk kaum noch etwas zu verdienen war, erlernte er zusätzlich den Beruf des Zimmermanns.

1931 holte er sich beim Bezirksamt in Donauwörth die Genehmigung, in der Kirchenruine im Spindeltal graben zu dürfen. Er untersuchte zunächst mit Eisenstäben den Boden im ehemaligen Kirchenraum. Dabei stellte er fest, dass sich hier gewachsenes Erdreich befand, während in der Sakristei das Erdreich aufgeschüttet war.

Eine unsichtbare Hand lenkte ihn der Legende nach, und so ging er nach Allerheiligen 1931 mit Pickel und Schaufel so behutsam zu Werke, dass die kostbare Steinfigur, die ursprünglich in Farbe gefasst war, nur geringfügig beschädigt wurde.

Am 5. Dezember 1931 stieß er in etwa drei Meter Tiefe auf ein gemauertes Gewölbe. Er durchschlug das Gewölbe und fand das kostbare Kleinod: das Bildnis Unserer Lieben Frau vom Spindeltal. Es war nachmittags am 15 Uhr. Die 1,41 Meter hohe Madonna aus Ellinger Sandstein (um 1340) gehörte wohl schon zur Ausstattung der helfensteinischen Urkirche im Spindeltal. Xaver Hiermeyer meldete pflichtgemäß den wunderbaren Fund, den er gemacht hatte, sofort dem Wegmacher von Ensfeld, dem vom Bezirksamt Donauwörth die Aufsicht über die Grabungen übertragen worden war. Noch am Abend des 5. Dezember 1931 eilte er zum Pfarrer von Ensfeld. Maurermeister Schlicker von Ensfeld brachte zusammen mit einigen Helfern die Madonna auf einem Pferdefuhrwerk nach Ensfeld. Es war eine sehr stürmische Dezembernacht.

Der „Schatzgräber“ bekam 50 Reichsmark als Finderlohn. Nach längerem Rechtsstreit ging die Madonna in den Besitz der Katholischen Kirchenstiftung in Ensfeld über. Sie steht heute in einer Wandnische der Ensfelder Pfarrkirche St. Johannes der Täufer.

Was Hiermeyer eigentlich bewogen hat, 1931 in der Spindeltal-Kirchenruine nach der Madonna zu suchen? War es eine innere Stimme oder ein Zeichen von oben, das ihn veranlasste, wochenlang in den November- und Dezembertagen 1931 bei Wind und Wetter sich zur Spindeltalruine zu begeben? Es bleibt ein Geheimnis, das er mit in das Grab genommen hat. Xaver Hiermeyer lebte bis zu seinem Tod mit „seiner Madonna“, die er innig verehrte. Am 25. Juli 1944, am Fest des Tagmersheimer Kirchenpatrons St. Jakobus, schloss er im Alter von 66 Jahren und neun Monaten für immer die Augen. Er starb, so wird berichtet, ohne Todeskampf, bei vollem Bewusstsein und mit erhobenen Händen. Seine letzten Worte waren: „Jetzt kommt Maria, meine Muttergottes. Oh, ist die schön, und jetzt nimmt sie mich bei den Händen.“

Nach 1931 verfiel die Spindeltalkirche immer mehr. Die Ruine wurde von üppigem Busch- und Sträucherwerk überwuchert und konnte kaum noch betreten werden.

In den 60er Jahren ließ der aus Ensfeld stammende Professor Dr. Andreas Bauch, 21 Jahre lang auch Regens des Eichstätter Priesterseminars, das Bruchsteinmauerwerk festigen, um es vor dem gänzlichen Verfall zu bewahren. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1983 wurde der Diözesanpräses der Schönstattfamilie Otto Maurer zum Pfarrer von Emskeim (und zugleich zum Provisor von Ammerfeld und Rohrbach) ernannt. Niemand konnte ahnen, dass damit auch ein neues Kapitel in der Geschichte der Spindeltal-Wallfahrt beginnen würde. Die Wallfahrt wurde bald aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt.

1983 neuer Aufbruch

Im Jahre 1983, zwei Jahrhunderte nach der Auflassung der Wallfahrtskirche (1783), stellte die Landjugend von Emskeim am Freitag vor dem Palmsonntag ein großes Holzkreuz in der Ruine auf. Der Landwirt Reinwald aus Ensfeld stiftete für das Kreuz den Corpus. Bald darauf ließ Pfarrer Otto Maurer ein Bildnis der Dreimal Wunderbaren Mutter von Schönstatt und ein Bild der Madonna vom Spindeltal in der Kirchenruine anbringen. Das Marienheiligtum erhielt auch einen Altar und Ambo.

Zur Förderung der Spindeltalwallfahrt entstand 1991 der Verein der „Freunde der Spitalkirche“. Trotz mancher Bedenken des Landesamtes für Denkmalpflege wurde die Ruinenkirche teilweise wieder aufgemauert, mit einem Schutzdach versehen, Fenster und Türen eingebaut und Bänke aufgestellt.

Im Oktober 1996 benedizierte der damalige Eichstätter Bischof Walter Mixa die nunmehrige Ruinenkirche „Zu Unserer Lieben Frau im Spindeltal“. Seit 2006 steht auch die Spindeltal-Madonna wieder in der Kirche – wenn auch nur als Kopie.

Seit 1983 ist die Ruinenkirche im stillen Spindeltal wieder zum Ziel vieler Wallfahrer geworden. Täglich halten hier nicht wenige Autofahrer an und besuchen diesen Ort, wo eine mittelalterliche Wallfahrt, die Jahrhunderte vergessen schien, wieder aufzublühen begann. Noch vor 30 Jahren war die Spindeltalruine ein verlassener Ort, heute ist sie eine beliebte Gnadenstätte für viele Menschen aus nah und fern.\t\t