Eichstätt
Der Verlust von Körperlichkeit

Die Künstlerin Cendra Polsner erlebt während des Corona-Lockdowns eine beeindruckende Stille

15.07.2020 | Stand 23.09.2023, 12:55 Uhr
  −Foto: Klotzeck/Polsner

Eichstätt - Die Corona-Pandemie hat enorme Auswirkungen auf die Kulturszene.

 

Auch Künstler in Eichstätt können ihrer gewohnten Arbeit nicht nachgehen und müssen sich Alternativprogramme für ihre geplanten Ausstellungen, Aufführungen und Konzerte überlegen. In einer kleinen Serie stellen wir einige lokale Kunstschaffende vor, deren Beispiel sicherlich exemplarisch für die meisten Künstler gelten kann. Diesmal die Installationskünstlerin Cendra Polsner.

Ein Gang auf Messers Schneide, eine Klippenwanderung, so bezeichnet die Eichstätter Künstlerin Cendra Polsner die Corona-Krise. Eine große Herausforderung für die gesamte Menschheit, an der man entweder wachsen kann oder kolossal scheitern. Während Polsner das sagt, blickt sie mit sorgenvoll gerunzelter Stirn ins Leere. "Es ist für jeden ein Blick in die Glaskugel, was in einer Woche, einem Monat, einem Jahr sein wird. Aber ich bin mir sicher, dass wir nicht zu dem Zustand von vor Corona zurückkehren können. " In ihren Augen ist die Krise ein weiterer Faktor in dem bereits laufenden Prozess eines Epochenwandels, der unter anderem auch von Digitalisierung und Klimawandel beeinflusst wird.

Als wegen Corona in Deutschland alles zurückgefahren wird, ist Polsner mit ihrem Mann gerade in Mexiko, ihrer zweiten Heimat, wie sie selbst sagt. Hals über Kopf müssen die beiden Eichstätter das Land verlassen, um einen der letzten Flüge nach Deutschland zu bekommen. Seitdem hat sich in Polsners Lebensrhythmus alles verändert. Während die Künstlerin normalerweise ständig in Bewegung war, ist in ihr Leben gerade in der ersten Phase während des Lockdowns eine ungewöhnliche Ruhe eingekehrt. Polsner spricht von Ungläubigkeit, wenn sie an die ersten Momente der Corona-Einschränkungen zurückdenkt, von einem Realisierungsprozess, wie bei so vielen anderen Menschen, der zu einer temporären Schockstarre führte. Den veränderten Alltag spürte sie auch in kleinen Dingen. "Mein Mann und ich saßen eines Abends da und haben gelesen, als uns auffiel, dass sich über die Eichstätter Innenstadt eine unheimliche Stille gelegt hat", erinnert sich die Künstlerin.

 

Ihre neu gewonnene Freizeit nutzte Polsner auch, um zu malen. Ob die Motive von der Krise inspiriert waren? Sicherlich, sie habe Pinsel und Farbe als eine Art Ventil genutzt und ihre eigene Emotionalität porträtiert. Dabei ist das Malen für die Eichstätterin eigentlich nur ein Hobby. Ihre Projekte sind auf audiovisuelle Installationen aufgebaut. Erst vor Kurzem zeigte ihre Ausstellung in München Projektionen, die die Besucher erstmals ganz ohne Erklärtafeln erkunden mussten. "Mittels meiner Kunst äußere ich gerne Kritik. Wie diese interpretiert wird, wenn es keinen Leitfaden durch die Ausstellung gibt, ist spannend zu beobachten. " Es war Polsners erste öffentliche Veranstaltung in der Corona-Zeit, eine völlig neue Erfahrung, wie sie sagt. "Die Stimmung war einerseits gelöst, die Menschen dankbar, wieder Kunst konsumieren zu können. Gleichzeitig sind viele unsicher, wie sie sich im öffentlichen Raum bewegen können, was jetzt noch erlaubt ist. "

Der öffentliche Raum ist es auch, der Polsner selbst die größten Umstellungen abverlangte. "Mein privates Umfeld war gefestigt, aber die eingeschränkten Freiheiten, sobald man das Haus verließ, waren befremdlich. " So habe sie beispielsweise ihren Pflegeesel, der bei einer Freundin in der Nähe von Titting untergebracht ist, nicht mehr spontan besuchen können. Allein in der Natur unterwegs zu sein und dort zu verweilen, war schließlich zu Beginn des Lockdowns untersagt. Auch ihren Oldtimerbus, ihr "Baby", der über den Winter in einem Lager steht, konnte die Künstlerin nicht abholen. "Diese spontane Bewegungsfreiheit habe ich sehr stark vermisst. "

Zwar habe sie auch die eingeschränkte Körperlichkeit, die mit den Kontaktbeschränkungen einhergeht, als ungewohnt empfunden, nicht aber als belastend. "Ich bin ein guter Ateliereremit und kann das Alleinsein bei meiner Arbeit auch genießen", sagt Polsner lachend. Trotzdem ist für sie die "Entkörperlichung der Gesellschaft" eines der Hauptmerkmale der zukünftigen Gesellschaft. "Schon vor Corona entfremdete uns die Digitalisierung zunehmend, doch nun dürfen wir uns ja nur noch mit Abstand nähern, der bereits begonnene Prozess wird also spürbar beschleunigt. " Der Rückzug zu sich selbst sei in diesem Hinblick bedenklich, könne aber auch effektiv genutzt werden. Polsner nutzte beispielsweise die Zeit, um sich technisch fortzubilden. Zeit, die ihr vor der Pandemie stets fehlte.

 

"Natürlich haben die Einschränkungen auch positive Seiten, vor allem auf psychologischer Ebene. Sie führen uns zudem Missstände wie den hektischen Alltag, den immer kleiner werdenden lokalen Bezug oder den sorglosen Umgang mit Ressourcen vor Augen. " Der globale Stopp habe für sie zudem einige Genussmomente bereitgehalten, als "alle Verpflichtungen des Alltags komplett wegfielen und Bedächtigkeit, Konzentration und Innerlichkeit plötzlich zutage traten. "

Cendra Polsner ist überzeugt, dass die Krise die Gesellschaft, aber auch den einzelnen Menschen verändern wird, vor allem im Umgang miteinander. "Momentan ist überall die Rede vom ,social distancing' oder ,physical distancing'. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass jeder Kontakt eine ganz andere Qualität bekommt, wenn im Aufeinandertreffen Körperlichkeit erlaubt und auch zugelassen wird. "

EK

 

Anna Hecker