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Der "Tatort" vom Sonntag: Trauriges Drama

14.05.2021 | Stand 23.09.2023, 18:38 Uhr
Noch sind sie glücklich: Kommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Rolf Glawogger (Sylvester Groth) . −Foto: Marco Nagel/BR/Claussen+Putz Filmproduktion

Vor Risiken und Nebenwirkungen sei hiermit gewarnt: Der Konsum des aktuellen Sonntagskrimis kann die Gemütsverfassung der Zuschauer beeinträchtigen und ihren Glauben an Gerechtigkeit ins Wanken bringen.

Dies kann geschehen, wenn man sich mit wachem Geiste voll und ganz einlässt auf ganz, ganz schwere "Tatort"-Kost, auf die wahnhafte Welt eines psychisch gestörten Jugendlichen, auf bittere Familienkonflikte und auf eine Ermittlerin, die emotional extrem an ihre Grenzen gerät - was von ihrer Darstellerin so intensiv gespielt wird, dass man kaum anders kann, als vor dem Bildschirm mitzuleiden. "Wo ist Mike? ", der neue Fall aus Franken, trägt definitiv nicht zu einem entspannten Wochenend-Ausklang bei. Regisseur Andreas Kleinert mutet uns schon ein starkes Stück zu - und das ist positiv gemeint.

Kommissarin Ringelhahn ist verliebt

Anfangs hängt der Himmel für Kommissarin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) noch voller Geigen. Denn sie ist verliebt. In den - wie sie selbst - nicht mehr ganz jungen Bamberger Lehrer Rolf Glawogger (Sylvester Groth). Was sie nicht weiß: Der vermeintliche Sympath ist beurlaubt, er soll zwei Jungs in der Schule unsittlich berührt haben. Das erfährt sie erst, als Kollege Felix Voss (Fabian Hinrichs) vor ihr und Glawogger steht und bohrende Fragen stellt. Der fünfjährige Mike ist seit Tagen verschwunden, Papa und Mama - in Hassliebe getrennt - vermuteten ihn beim jeweils anderen Elternteil. Der potenziell pädophil Veranlagte aus der erweiterten Nachbarschaft passt gut ins Verdächtigen-Schema. Zwar scheint der Lehrer ein Alibi namens Paula Ringelhahn zu haben. Doch als die Polizistin eine Entdeckung macht, zerspringt ihr Liebesglück in tausend Scherben.

Zahllos sind auch die Scherben im Gehirn des verhaltensauffälligen Titus (Simon Frühwirth), der mit dem kleinen Mike befreundet war und somit ebenfalls im Fokus der Polizei ist. Die Welt des wild halluzinierenden 17-Jährigen gerät immer mehr aus den Fugen, während seine überforderte Mutter dem Onkel Psychodoktor Normalität vorgaukeln will.

Nicht gerade glaubhaft

Kritikwürdiger Minuspunkt: Die Nürnberger "Tatort"-Mordkommission agiert offenbar im Staatsanwalt-freien Raum, Ringelhahn ermittelt trotz klarer Befangenheit munter weiter - nicht gerade glaubhaft. Dass die Lösung des Kriminalfalls früh auf der Hand liegt, stört weniger. Denn wir sehen keinen klassischen Krimi, sondern ein albtraumartiges Depri-Drama um zerstörerische Beziehungen. Hervorzuheben sind famose Schauspieler (allen voran Manzel und Groth) sowie die dem düsteren Thema angemessene Bildsprache und Farbgebung des Films. Am Ende liegt das Leben fast aller Hauptfiguren in Trümmern.

DK


Sonntag, 20.15 Uhr, ARD.

Roland Holzapfel