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Der perfekte Tanz

16.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:48 Uhr

Von Julia Pickl

Eiskunstlaufen ist die älteste Wintersportart der Olympischen Spiele, und so alt die Disziplin war, so einfach waren die Regeln - zumindest früher. Die A-Note beurteilte den technischen und sportlichen, die B-Note den künstlerischen Wert einer Darbietung. Jeder Preisrichter vergab für die Darstellung Noten auf einer Skala von 0 bis 6, die 6 stand dabei für "perfekt und fehlerlos".

Bei den Olympischen Winterspielen 1984 in Sarajevo perfektionierten Jayne Torvill und Christopher Dean den Eistanz. Das britische Paar erhielt für die Kür nach der Musik zu Maurice Ravels Meisterwerk "Boléro" von den neun Preisrichtern neunmal die 6,0 in der B-Note. In der A-Note gab es zudem dreimal die 6,0 und sechsmal 5,9. Zwölfmal die Traumnote - nie zuvor und danach hat ein Eiskunstlaufpaar ein solches Ergebnis erreicht, nie zuvor ist Eistanz so atemberaubend zelebriert worden. 8300 Zuschauer in der ausverkauften Olympiahalle waren verzaubert von der Show auf dem Eis, 24 Millionen Briten verfolgten die Kür vor den Fernsehbildschirmen und sahen das Nonplusultra des Eiskunstlaufs. Für viele war diese Darbietung in der Sportart der Gefühle bis heute reine Magie - und die schönste Kür aller Zeiten.

Jahre zuvor hatten die Sekretärin Torvill und der Polizist Dean ihre Jobs aufgegeben und täglich drei bis fünf Stunden geübt. Trainiert wurde vor allem im bundesdeutschen Leistungszentrum in Oberstdorf. Sie feilten am Bewegungsablauf, suchten die perfekte Synchronisation der Musik. Ein Arrangeur sollte den "Boléro", der im Original 17 Minuten lang ist, auf eine kürtaugliche Version kürzen. Doch der Arrangeur bestand darauf, dass man das Meisterwerk im Dreivierteltakt auf minimum vier Minuten und 28 Sekunden kürzen kann. Das Problem: Die Kür durfte den Regeln zufolge nur vier Minuten lang sein, plus/minus zehn Sekunden.

Die ersten 30 Sekunden ihrer Kür knieten die 26 Jahre alte Torvill und ihr ein Jahr jüngerer Partner an diesem 14. Februar in Sarajevo deshalb auf dem Eis. Erst danach erhoben sie sich langsam und setzten die Kufen auf die Fläche. Schon da erhielten sie Szenenapplaus. Dann folgten vier Minuten Eiskunstlaufgeschichte in völligem Einklang zu den sich langsam steigernden, immer schneller werdenden Klängen Ravels. Auch die Bewegungen der Tänzer wurden intensiver, wenngleich das Paar über das Eis zu schweben schien. Minute um Minute verzauberten Torvill und Dean das Publikum, ehe das Paar aus Nottingham am Ende theatralisch auf das Eis sank.

Die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen war nicht der einzige Triumph des Paares im Jahr 1984. Torvill und Dean gewannen auch bei der Europameisterschaft in Budapest und wurden in Ottawa zum vierten Mal in Folge Weltmeister. 1998 beendeten die Engländer ihre Karriere, doch 2014 kehrten Torvill und Dean noch einmal an den Ort ihres größten Triumphs zurück. 30 Jahre nach ihrem Sieg tanzten sie in der Olympiahalle in Sarajevo erneut den "Boléro". Die Halle war im Bosnien-Krieg stark zerstört worden und musste danach wiederaufgebaut werden. Mit ihrem Auftritt sammelten Torvill und Dean Gelder für eine Eisbahn in der vom Krieg geschundenen Stadt - deren Bewohner nach Jahren der Entbehrungen in den Genuss kamen, noch einmal die pure Schönheit des Eiskunstlaufs zu sehen.