Abenberg
Der Ort, an dem Mona Lisa ermordet wurde

Erzählfestival auf der Burg fördert bislang unerhörte Abenberger Turmgeschichten zu Tage - Bayerischer Löwe für Museumsleiterin

21.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:16 Uhr
  −Foto: Klier

Abenberg - Langsam versinkt die Sonne hinter dem Horizont.

Die Dämmerung senkt sich über den Turnierplatz der Abenberger Burg. Ein kühler Abendwind umweht das Gemäuer, das eine ideale Kulisse für die nun beginnende Veranstaltung bietet. Von der nahen Jakobskirche schlägt es sieben Mal. Durch den Torbogen ziehen die langbeinigen "Stelzer" aus Landsberg ein, gefolgt von fünf Geschichtenerzählern, die auf Einladung der Museumsleiterin Kerstin Bienert zum zweiten Erzählfestival "Abenberger Turmgeschichten" gekommen sind.

Kerstin Bienert stellt sie allesamt vor: Martin Ellrodt aus Nürnberg, Alexandra Eyrich aus Bamberg, Luise Gündel aus Bremen, die für Julia Klein kurzfristig eingesprungen ist, Carmela Marinelli, gebürtig aus Bari und Dirk Nowakowski aus Edingen bei Mannheim. Außerdem sind die Abenberger Bürgermeisterin Susanne König und der Landtagsabgeordnete Karl Freller gekommen. Nach seinem Grußwort überreicht er den bayerischen Löwen in Porzellan an die Museumsleiterin für deren Verdienste.

Corona-bedingt hat man das Erzählfestival ins Freie verlegt, doch das Wetter spielt mit - auch wenn es recht kühl ist. Die Besucher sind in fünf Gruppen eingeteilt, die von Station zu Station ziehen, um den Erzählungen zu lauschen, die von Zinnen und Fenstern herab geboten werden. Die Stelzenläufer begleiten die Gruppen und machen von hoher Warte aus immer wieder auf die Einhaltung des nötigen Abstands aufmerksam. Rund 15 Minuten dauert ein Vortrag, bevor die Gruppen weiterziehen, so dass jeder der Erzähler im Lauf des Abends fünf Mal seine Geschichte darbietet.

Alexandra Eyrich, eine vielseitig tätige Erzählerin, steht am Eingang des Schottenturms und erläutert zunächst dessen Geschichte, wonach das Ehepaar Laura und Anton Schott diesen Turm gekauft und ihm den Namen gegeben hat. Aber dann berichtet sie mit ausdrucksvoller Stimme eine schauerliche Mär: Ein alter Mann sitzt des Nachts gebeugt über seinen Folianten, als ihn der Sekretär des Herzogs zu seinem Herrn ruft. Dort liegt im Schlafgemach eine wunderschöne Frau auf dem Bett. Sie ist tot. Würgemale am Hals lassen nichts Gutes ahnen; der Herzog hat sie umgebracht. Nun soll der alte Mann die Frau malen, damit sie unsterblich wird. Zusehends verformt sich der in Leichenstarre übergehende Körper, dem Maler wird übel, er fällt in Ohnmacht. Dann wird die Frauenleiche im Fluss versenkt. Der Maler war kein Geringerer als Leonardo da Vinci, und das Bildnis - die rätselhafte Mona Lisa?

Im Rosengarten lauschen die Zuhörer der Erzählung, die Dirk Nowakowski hoch oben aus einem Turmfenster verkündet. Früh am Morgen öffnet sich das Tor der Abenberger Burg. Zwei weiße Stiere ziehen einen Wagen heraus, auf dem sich ein hölzerner Sarg befindet. Darin ruht die Grafentochter Stilla, die zur Beisetzung nach Heilsbronn überführt werden soll. Eine alte Frau am Wegesrand berichtet, wie ihr die später selig gesprochene Stilla das Leben gerettet hat, als sie schwer erkrankt war. Zu Stillas Gedächtnis wird jedes Jahr das Stillafest gefeiert. "Und wenn Sie mal in Not sind", empfiehlt Nowakowski, "dann wissen Sie, an wen Sie sich wenden können. "

Gleich drei Geschichten sind Martin Ellrodt eingefallen. Im Jahre 1166 ist früh am Morgen ein sechsjähriger Junge mit seinem Vater aus Eschenbach gen Abenberg gezogen. Dort soll ein Ritterturnier stattfinden. Der Junge schwärmt von Rittern und Kampfgetümmel. Groß ist die Enttäuschung, als das Turnier abgesagt wird. Wolfram zieht sich in eine Traumwelt mit Rittern und Minnesängern zurück. Aus dem Kleinen wird später - man ahnt es - der Minnesänger Wolfram von Eschenbach, der in seinem "Parzival" vom "Anger zu Abenberg" schreibt.

500 Jahre lang ist im Burghof der große Bergfried gestanden, von dem heute nur noch die Grundmauern erhalten sind. "Der stört mich", soll die Frau des Pflegers Carolus immer wieder moniert haben. Schließlich erhält Carolus vom Fürstbischof zu Eichstätt die Erlaubnis, den Turm abreißen zu lassen. Doch dann hat das Ehepaar Abenberg für immer verlassen, und die Steine des Turms wurden zum Häuserbau verwendet.

Und schließlich wollten die Menschen wissen, wie es über den Wolken aussieht, wohl in Anlehnung an den Turmbau zu Babel. Noch haben sie alle die gleiche Sprache. Sie türmen Kornspeicher auf Kornspeicher, aber es reicht nicht. Der Turm ist zu niedrig. Da hat der König die geniale Idee: "Nehmt den untersten Kornspeicher heraus und stellt ihn obendrauf! " Der ohrenbetäubende Krach, der beim Zusammensturz des Gebildes entsteht, lässt die Menschen auseinanderstieben, und jeder spricht eine andere Sprache.

Ausgerechnet über dem Komposthaufen lässt Luise Gündel ihre - auch gesangliche - Stimme erschallen. Aus gutem Grund, denn aus dem Kompost können sowohl Rosen als auch Brennnesseln wachsen. Beide streiten sich, wer denn die bessere Botin der Liebe sei: die Rose mit ihrem Duft oder die Brennnessel, denn Liebe muss brennen. Ein Grafensohn ist auf seiner Reise durch Abenberg gekommen. Ihm zu Ehren wird ein Fest gefeiert, bei dem sich die Tische biegen. Aber viel mehr interessiert ihn eine hübsche Magd, zu der er in heftiger Liebe entbrennt. Aber er muss weiterziehen. Viele Jahre später kommt er mit seiner Frau wieder nach Abenberg und begegnet seiner alten Liebe. Am Morgen findet er vor der Tür die verwelkte Rose seiner Frau und die immer noch frische Brennnessel seiner Geliebten.

Hoch oben von den Zinnen, leider fast unsichtbar, da sie sich nicht in den Lichtkegel des Scheinwerfers wagt, singt Maria Carmela Marinelli: "Dû bist mîn, ich bin dîn. Des solt dû gewis sîn. Dû bist beslozzen in mînem herzen, verloren ist das sluzzelîn: dû muost ouch immêr darinne sîn. " Mit unverkennbarem italienischen Akzent - Marinelli stammt aus dem italienischen Bari, wohnt allerdings in Deutschland - erzählt sie die Geschichte zweier Liebenden. Francesca wird zur Hochzeit gezwungen. Sie glaubt, der schöne Paolo werde ihr Mann. Aber in Wirklichkeit ist es der brutale Giogiotto. Heimlich trifft sie sich immer wieder mit Paolo. Doch ihr Verhältnis wird entdeckt. Man findet zwei umschlungene Leichen im Turm.

Aufmerksam und andächtig haben die zahlreichen Zuhörer den Darbietungen trotz der allmählich unangenehm werdenden Kälte gelauscht. Im Stilla-saal geht es aber noch lange weiter. Dort klingt das gelungene Erzählfestival mit Geschichten zur guten Nacht aus, mit Erzählungen aus alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat.

HK

Manfred Klier