Der Multi-Kulti-Stadtteil

Serie: Ostend-Bewohner erinnern sich an früher, vergleichen mit heute und berichten von ihrem Leben

21.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:40 Uhr
  −Foto: Frank, Hajduczek, Dagdelen

Das Neuburger Stadtteilmanagement feiert sein 20-jähriges Bestehen.

Viel hat sich seitdem im Ostend und dem Schwalbanger getan, ob nun baulich oder gesellschaftlich. Im vierten Teil der DK-Serie berichten einige Bewohner davon, wie es sich im Ostend lebt.

Neuburg - Mustafa Dagdelen und Ahmad Rana sind gebürtige Neuburger mit türkischer beziehungsweise pakistanischer Herkunft und wohnen schon immer im Ostend. Das Leben der beiden mittlerweile 33-Jährigen Familienväter spielte und spielt sich auch komplett in diesem Quartier ab. Und beide blicken gerne auf ihre Kindheit und Jugendzeit im Stadtteil zurück. "Schon als Kind schaukelte ich am Pfaffi (Volksfestplatz, Anm. d. Red. ). Wenn ich an meine Jugendzeit denke, da war dort immer was los. Gemeinsam mit meinen Freunden haben wir hier immer Fußball oder Basketball gespielt", sagt Dagdelen. Und Rana verbindet die Vergangenheit "mit vielen schönen Momenten. Hier hatte ich viele Freunde aus verschiedenen Nationen. Ich hatte auch nie ein Problem wegen meiner Hautfarbe oder Religion".

Ob sie heute gerne im Ostend leben, beantworten beide mit einem klaren "Ja". "Wir liegen sehr zentral und haben alles in der Nähe. Für meine beiden Söhne ist es ideal, dass wir mit dem Spielplatz zwischen den Hochhäusern und am Volksfestplatz aber auch mit dem Mini-Fußballfeld an der Ostendschule tolle Flächen direkt vor der Haustüre haben", erklärt Rana. Dagdelen sieht das etwas anders. "Auch ich gehe oft mit meiner Tochter durch den Stadtteil und verbinde diese Spaziergänge mit Besuchen auf den Spielplätzen. Mich stört, dass viele Spielplätze nur für die Bewohner der jeweiligen Wohnanlage zur Verfügung stehen. Die öffentlichen Spielplätze sind oft unattraktiv und es fehlt an Sitzplätzen. "

Während Rana den im Jahr 2019 weggezogenen Vollsortimenter-Markt im Ostend vermisst, empfindet Dagdelen den Stadtteil nicht mehr als so lebendig wie früher. "Ich habe das Gefühl, die Jugend von heute ist nicht mehr so sportlich aktiv. Das liegt vielleicht an den Smartphones, die es damals noch nicht gab. Außerdem haben wir ein Müll- und ein Parkplatzproblem. Auf der anderen Seite hilft man sich in der Nachbarschaft. Das Multi-Kulti-Bürgerfest tut dem Ostend gut, denn so kommt man auch mit Menschen aus anderen Kulturen ins Gespräch. " Rana, der den meisten im Ostend als "Nomi" bekannt ist, denkt, "dass sich das Ostend in den vergangenen 20 Jahren positiv entwickelt hat. Viele Wohnanlagen wurden saniert. Das wünsche ich mir auch für unsere Hochhäuser. Das würde das Erscheinungsbild des Stadtteils deutlich verbessern. Ich glaube auch, dass die Leute heute toleranter und integrierter sind. Das ist vor allem ein Verdienst von Jürgen Stickel (Stadtteilmanager, Anm. d. Red. ) der immer ein offenes Ohr hat, und vom Bürgerhaus mit seinen offenen Türen für uns Ostendbewohner. "

An eine Sache kann sich Rana noch gut erinnern. "Als Jugendliche haben wir immer selber Fußballturniere unter Freunden organisiert. Gemeinsam mit Jürgen Stickel haben wir das Ganze dann zum großen Ostend-Cup weitergedacht. Dass es das Hobbyfußballturnier heute noch gibt, freut mich sehr und zeigt, wie spielerisch Integration funktionieren kann. Ich wünsche mir, dass es den Ostend-Cup auch noch in vielen Jahren geben wird, wenn meine Söhne alt genug zum Kicken sind. " Ebenfalls im Stadtteil aufgewachsen und heute noch dort beruflich tätig sind Ilona Beyer-Stempfle, Geschäftsführerin der Gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgenossenschaft, sowie Hermann Henle vom stadtteilansässigen Schreibwarengeschäft. Während Beyer-Stempfle im neu entstandenen Stadtteil in den 60er-Jahren aufwuchs, hatte Henle in den 70ern "wirklich viel Spaß hier im Ostend". Am Ende jenes Jahrzehntes erlitt das Ostend laut Beyer-Stempfle "einen Imageverlust, der sich bis zur Jahrtausendwende hinzog". Henle hingegen findet, dass sich "in den 90ern nicht wirklich um das Ostend geschert wurde". Ein Wendepunkt war aus seiner Sicht die Privatisierung der Sozialwohnungen der Neuen Heimat.

Die Entwicklung haben beide in den vergangenen 20 Jahren natürlich genau verfolgt. "Städtebaulich war der Stadtteil zur Jahrtausendwende einfach veraltet. Dank des Städtebauförderprogramms Soziale Stadt hat sich seitdem viel verändert. " Und auch Henle erinnert sich an eine "merkbare Aufbruchstimmung" im Jahr 2000. Beide sehen außerdem in den Themen Müll und Parken Brennpunkte mit Verbesserungsbedarf.

Beyer-Stempfle ist der Meinung, dass sich das Image des Stadtteils in den vergangenen 20 Jahren wieder verbessert hat. "Ich persönlich habe das Ostend jedoch nie als Problemviertel empfunden, wo man abends Angst hätte haben müssen oder wo es öfter zu Konflikten untereinander kommt. Die Menschen leben gerne im Ostend, was auch die geringe Fluktuation bei unseren Mietwohnungen zeigt. " Unternehmer Henle findet es nicht okay, wie schlecht das Ostend manchmal geredet werde. "Wir sind gerne hier und auch die Menschen fühlen sich hier wohl. Die einen nutzen den Stadtteil als Sprungbrett, andere hingegen werden hier alt. Mir persönlich gefällt, dass es trotz der dichten Bebauung noch viel Grün im Ostend gibt, und natürlich die Infrastruktur. Wir sind zentrumsnah, haben eine gute Stadtbusverbindung und mit Ärzten, Apotheken, Bäckereien alles, was man braucht. Was aber seit dem Wegzug des Edeka fehlt, ist ein Vollsortiment-Lebensmittelladen. "

Umso wichtiger wäre aus beider Sicht eine Verlängerung des Städtebauförderungsprogrammes Soziale Stadt für das Ostend. "Die Fördermittel ermöglichen es, Sanierungen und Verbesserungsmaßnahmen in einem ganz anderen Ausmaß durchzuführen", sagt die Geschäftsführerin. Henle sieht auch das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. "Viele Wohnanlagen benötigen eine Sanierung und Verbesserung der Außenanlagen. Wir dürfen auf keinen Fall wieder in das Schema der Vernachlässigung fallen. "

Zwar nicht im Ostend aufgewachsen, aber seit fast 40 Jahren im Stadtteil wohnhaft, ist Pensionär Roland Egen. "Ich kann mich noch an ein Ostend mit vielen Baulücken erinnern, also nicht so dicht bebaut wie heute. Da auch heute noch nachverdichtet wird, muss man sich immer beider Seiten der Medaillen bewusst sein. Allen voran die Parkproblematik wird dadurch nicht verbessert", sagt der frühere Leiter des städtischen Ordnungsamtes. In seiner beruflichen Tätigkeit im Wohnungsamt Ende der 70er-Jahre hat Egen die Sozialwohnungen der Neuen Heimat verwaltet. "Hier haben viele neue Bürger, vor allem Aussiedler und Gastarbeiter, eine Heimat gefunden. " Einen Imageverlust hat es deswegen aus seiner Sicht jedoch nicht gegeben. "Sowohl als Stadtteilbewohner als auch als Mitarbeiter der Stadtverwaltung habe ich persönlich das Image des Ostends nie schlechter empfunden als von anderen vergleichbaren Stadtteilen. "

Wenn der 68-Jährige an die Entwicklung des Stadtteils in den vergangenen 20 Jahren denkt, fallen ihm zuerst die Steigerung der Wohn- und Lebensqualität durch Sanierungen, aber auch durch die Schaffung von Parkplätzen ein. "Zugeparkte Einfahrten waren zuvor die Regel. Als ehemaliger Leiter des Ordnungsamtes kann sich Egen noch gut an die Installation des Kreisverkehrs an der ehemaligen Kreuzung Sudetenland/Ostendstraße erinnern. "Das war ein langer Kampf, diesen Unfallschwerpunkt zu lösen. Neben gesetzlichen Erleichterungen spielten vor allem die Stadtteilmanager, die als Schnittstelle zwischen den Anwohnern und der Stadtverwaltung agieren, eine entscheidende Rolle. " Ein großer Mehrwert für das Ostend sind meiner Meinung nach auch das Volksfest und das Multi-Kulti-Bürgerfest.

Wie von Egen bereits erklärt, haben in den vergangenen 60 Jahren viele Menschen im Ostend eine neue Heimat gefunden. So auch Necip Isik und Boleslaw Kramek. Erstgenannter hatte in der Neuburger Asylunterkunft gewohnt und Anfang der 90er-Jahre eine Wohnung im Ostend bekommen. "Ich habe den Bedarf an ausländischen Lebensmitteln und Geschenkartikel gesehen und so eröffnete ich 1994 meinen ersten Laden in der Danziger Straße. Zehn Jahre später bin ich in größere Räumlichkeiten in der Königsberger Straße umgezogen und habe mein Sortiment um einen Döner-Imbiss erweitert. Stadtteilmanager Jürgen Stickel, der damals mit seinem Stadtteiltreff direkt neben unserem Laden beheimatet war, hat uns hierbei viel geholfen", erklärt der Kurde. Kramek hingegen kam als Spätaussiedler im Jahr 1981 nach Neuburg. "Ich lebe gerne hier. Die Menschen geben heute wieder mehr Rücksicht aufeinander. Das war vor ein paar Jahren noch anders. Was mich stört? Die Müllproblematik. Wenn man seinen Müll einfach auf die Straße schmeißt, das kann ich nicht verstehen. Das ist eine Frage der Erziehung und des Anstandes", so der aus Oberschlesien stammende 78-jährige Rentner.

Isik, der mittlerweile nicht mehr im Ostend wohnt, fühlt sich mit seinem Laden wohl im Stadtteil. "Zu uns in den Imbiss kommen Leute aus verschiedenen Kulturen, Konflikte gibt es hier nicht. Die Menschen leben gerne im Ostend, vor allem seit die Wohnungen modernisiert wurden. Das Bürgerhaus und das Multi-Kulti-Bürgerfest haben viel für die Integration im Stadtteil gemacht. "

Manuela Meier und Robert Bönigke wohnen ebenfalls seit vielen Jahren im Ostend. Meier genießt es, dass man alles zu Fuß schnell erreichen kann und kein Auto braucht. Als Hundebesitzerin sei die Nähe zum Englischen Garten ein Vorteil. Verbesserungsbedarf sieht sie bei der Nachfolge des Edeka-Marktes im Stadtteil. "Auch ein Metzger wäre gut. " Während es in ihrer Nachbarschaft keine Konflikte gibt, fehlt es ihrer Meinung nach an Müllhäuschen, Parkplätzen und Spielpunkten. "Ich habe das Gefühl, dass die Bevölkerung im Ostend älter geworden ist und mittlerweile weniger Familien mit Kindern hier leben. Wir müssen wieder attraktiver für Familien werden. Zum Beispiel könnte man die Schilder, die das Betreten der Wiesen zwischen den Wohngebäuden verbieten, abmontieren und stattdessen die Flächen attraktiv gestalten. "

Bönigke gefällt, dass das Ostend grün ist. Den Volksfestplatz könnte man seiner Meinung nach deutlich aufwerten. "Hier sehe ich viel Potenzial, einen Park für alle Menschen zu schaffen, wo man sich gerne aufhält. Wenn man die zentrale Fläche frei lässt, gibt es auch keine Konflikte mit dem Volksfest. "

Seit über 20 Jahren im Stadtteil als Pfarrer im Einsatz ist Gerd Zühlke. "Als ich im Jahr 1998 in die Pfarrei St. Ulrich gekommen bin, hatte das Ostend bauliche Defizite und unterschied sich in seiner multikulturellen Zusammensetzung zu anderen Pfarrgemeinden. Zudem fehlte es an Treffmöglichkeiten. Von einer zentralen Anlaufstelle, über Räumlichkeiten für Veranstaltungen bis zu Freizeitangeboten. All das, was heute das Bürgerhaus bietet", so der Geistliche. Die Arbeit der Stadtteilmanager habe das Ostend seiner Meinung nach auf jeden Fall positiv geprägt. "Vorurteile und Berührungsängste konnten abgebaut und Toleranz gefördert werden. "

Zum Abschluss fand Oberbürgermeister Bernhard Gmehling, der als Stadtoberhaupt seit 2002 das Programm Soziale Stadt im Ostend begleitet, lobende Worte für die Stadtteilmanager und ihre Arbeit. "In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich unglaublich viel getan. Alle Investitionen in das Ostend waren bestens angelegt, denn mehrere Tausend Neuburgerinnen und Neuburger haben dadurch in vielerlei Hinsicht ein besseres Leben. Im großen und wichtigen Stadtteil erfreuen sich viele Bürgerinnen und Bürger am hervorragend aufgestellten Bürgerhaus mit reichhaltigem Angebot. Jürgen Stickel war von Beginn an Kopf, Visionär, Kämpfer für die Sache und echter Freund der Menschen in seinen Vierteln. Kurzum, er ist das Gesicht einer über zwei Dekaden andauernden Stadtteilmanagement-Arbeit. "

DK

Marek Hajduczek