Der Main-Donau-Kanal: Wirtschaftsmotor oder Umweltsünde?

21.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:02 Uhr
Ohne Frage - Riedenburg hat beim Kanalbau den größten Einschnitt erlebt. Die Wasserstraße teilt die Stadt und machte den Tourismus zum wichtigsten Wirtschaftsfaktor. −Foto: oh

Still und friedlich liegt er in seinem künstlichen Bett. Wenn einer der langen Frachter den Main-Donau-Kanal entlang fährt, schwappen gelegentlich ein paar Wellen an die Uferböschung. Vielen Menschen zwischen Berching und Kelheim fällt das heute nicht mehr auf.

Die Wasserstraße, die sich seit ihrer Eröffnung vor 20 Jahren durch Sulz-, Ottmaringer und Altmühltal zieht, gehört im Verbreitungsgebiet des DK längst zum Alltag. Dass die Wasserstraße turbulente Anfangsjahre hinter sich und bei vielen Menschen reinste Horror-Visionen erzeugt hat, ist fast vergessen. Für die Bewohner von Beilngries, Dietfurt oder Riedenburg bedeutet das Großprojekt während seiner Verwirklichung in den 1970er und 80er Jahren einen tiefen Einschnitt. Plötzlich verändert sich ihr Zuhause, die Landschaft, mit der sie groß geworden sind und die sie lieben gelernt haben. Einzelne markante Stellen in den Tälern hören sogar für immer auf zu existieren. Welche Dimensionen das für die Wirtschaft wichtige Großprojekt zwischen Kelheim und Bamberg hat, zeigen die Zahlen. Insgesamt 93 Millionen Kubikmeter Erde reißen Mensch und Maschine für den Bau der Wasserstraße aus den Tälern und Feldern – einen nicht unerheblichen Teil davon in der Region von Altmühl und Sulz.

Vor allem in Riedenburg machen die Menschen früh Front gegen den Kanalbau – genauer gesagt schon zu Beginn der 1970er Jahre. Soll doch ihre geliebte Altmühl, die sich von jeher durch das nach ihr benannte Tal schlängelt, zwischen Dietfurt und Kelheim auf einer Lange von mehr als 34 Kilometer komplett im künstlichen Bett der Wasserstraße verschwinden. Um ihren Kampf zu forcieren, gründen die Kanalgegner sogar eine Bürgerinitiative. „Rettet das Altmühltal“ heißt es im Slogan der Gruppierung, die mit Flugblättern und Demonstrationen gegen die befürchtete Verschandelung ihrer Heimat mobil macht.

 
Als „bayerischen Albtraum“, „ökologisches Desaster“ oder „Katastrophe von Menschenhand“ titulieren die Feinde der Wasserstraße deren Entstehung. Der Oberhofener Gastwirt Anton Mayer, einer der Initiatoren, spricht noch Jahre nach Fertigstellung von einer Tragödie. Auch die Kirche stellt sich gegen das Großprojekt. 1977 verurteilt der Weltenburger Abt Thomas Niggl in einer Predigt die Münchner Pläne. „Was der Herr geschaffen hat, soll der Mensch nicht zerstören“, mahnt er die Bauherren damals zur Wahrung der göttlichen Schöpfung. Die größte Furcht des 2011 gestorbenen Geistlichen: Der Bau der Wasserstraße könnte die herrliche Landschaft im Donaudurchbruch zerstören. Eingetreten ist diese Katastrophe allerdings nicht. Ebenso wenig wie Niggl, Mayer und ihre Unterstützer die Arbeiten aufhalten konnten.

Nur einmal keimt bei den Kanalgegnern Hoffnung auf. Im Jahr 1982 ruht der Bau. Zu einem Zeitpunkt, als die Arbeiten in den hiesigen Tälern längst angelaufen sind. Schuld ist eine Studie, die für den Kanal nur ein vergleichsweise mickriges Verkehrsaufkommen von 2,7 Millionen Tonnen Gütern pro Jahr sieht. Bundesverkehrsminister Volker Hauff ist erzürnt. Als „das dümmste Projekt seit dem Turmbau zu Babel“ bezeichnet der SPD-Politiker den Kanalbau damals. Doch die Freude der Kanalgegner währt nur kurz. Zehn Monate später liegt eine weitere Expertise vor, die eine mehr als doppelt so hohe Auslastung für die Verbindung von Main und Donau sieht. Und in Bonn sitzt eine andere Bundesregierung, in der Hauffs SPD keine Rolle mehr spielt. Prompt laufen die Arbeiten wieder an. Und der schier hoffnungslose Kampf der Kanalgegner geht weiter. Zehn weitere Jahre graben sich die Bagger durch das Erdreich, fördern hie und da einzigartige archäologische Fundstücke zu Tage. Was die schweren Maschinen beim Bau des Main-Donau-Kanals zerstören? Das wird für immer ein Geheimnis der Geschichte bleiben und sich niemals klären lassen.

Gleiches gilt für die Frage, wer denn nun Recht hat – die Gegner oder die Befürworter des Projekts? Selbst 20 Jahre nach der Eröffnung des Kanals lässt sich über den Spagat zwischen Ökonomie und Ökologie trefflich streiten. Rund um den Jahrestag werden Gegner und Befürworter des Main-Donau-Kanals wieder aufeinander prallen, werden Feindschaften auffrischen und nicht mit gegenseitigen Schuldzuweisungen geizen. Erste Fernduelle haben bereits stattgefunden. Weitere werden zweifellos folgen. Die einen vermissen die ländliche Idylle oder klagen über den abgesunkenen Grundwasserspiegel und die damit verbundenen Probleme für Bauwerke und Natur. Die anderen loben die neu gewonnene Wirtschaftskraft und den damit verbundenen Geldsegen. Und der hat es stellenweise tatsächlich in sich.
 
Durch den Bau des Main-Donau- Kanals floriert der Handel. Die heutigen Zahlen sind sogar noch einmal höher als die Prognosen vor der Fertigstellung. Rund acht Millionen Tonnen Güter transportieren die Frachter jedes Jahr durch die Region. Davon profitieren auch die Kanal- Gemeinden in den Landkreisen Kelheim, Neumarkt und Eichstätt. In Riedenburg, Dietfurt und Mühlhausen entstehen Güterländen, im Kelheimer Hafen schlagen die Unternehmen jährlich rund eine halbe Million Tonnen um. Neue Brücken und Umgehungsstraßen entstehen in allen betroffenen Gemeinden, die Verkehrsströme ändern sich.

Für den Fremdenverkehr im Altmühltal stellt sich der Bau der Wasserstraße als Glücksgriff heraus. Zwar ist die Zahl der Urlauber bereits davor keineswegs zu verachten. Nach der Eröffnung 1992 nimmt die Beliebtheit der Region zwischen Berching und Kelheim aber noch einmal zu. Vor allem die weißen Personenschiffe locken jedes Jahr Tausende Menschen in die Täler, die breiten Wege neben der Wasserstraße ziehen Radfahrer in Massen an. In Beilngries ist die Sulz zwar teilweise komplett im Kanalbett verschwunden. Gleichzeitig ermöglicht der Kanal als Ableitung für Hochwasser aber die Renaturierung des Gewässers, das heute zu den Schmuckstücken der Stadt zählt. Verschwunden ist die Schönheit der Natur dort nicht.

Auch die malerische Landschaft im Altmühltal gibt es entgegen aller Schreckensszenarien in den Köpfen der Gegner noch immer. Nur verändert hat sie sich – und zwar deutlich. Ob zum Positiven oder zum Negativen? Das liegt allein im Auge des Betrachters.