Neuburg
Der Kultwirt geht

Mike Habermeier war mit 24 Jahren und sechs Monaten so lang Hertlein-Pächter wie keiner seiner Vorgänger

30.10.2020 | Stand 23.09.2023, 15:08 Uhr
Markante Pose: Nach 24 Jahren und sechs Monaten als Chef des Hertlein ist für Mike Habermeier nun Schluss. −Foto: S. Hofmann

Neuburg - Was ist nicht alles schon über das Hertlein gesprochen und geschrieben worden.

Das Kneipen-Äquivalent zur Kultserie "Irgendwie und Sowieso", bis weit über die Grenzen des Landkreises hinaus bekannt. Doch nur einer, und diese Behauptung muss erst mal widerlegt werden, ist wirklich ein wahrer Hertleiner: Mike Habermeier. Stolze 24 Jahre und sechs Monate wird er am Jahresende Hertlein-Wirt sein - so lang wie kein anderer Pächter dieser besonderen Nachtgastronomie. Für ihn ist Schluss, am 1. Januar übernimmt ein neuer Mann. Zeit für einen Rückblick.

Das letzte Lied, das aus den Lautsprechern über die Tanzfläche schallte, hat sich Habermeier nicht gemerkt. "Ich könnt' nachschauen", sagt er. "What's up" von 4 Non Blondes war es also schon mal nicht, denn das hätte er sich sicher gemerkt - er kann das Lied seit Mitte der 90er schon nicht mehr hören. Drei Wochen hat er das Hertlein nach dem langen Lockdown wieder als Nachtgastronomie betrieben. "Aber das hat nicht funktioniert. Bei uns wollen die Leute tanzen und nicht auf Bierbänken auf der Tanzfläche sitzen. " Deshalb hat er das Hertlein zugemacht und geht auch nicht davon aus, dass er es dieses Jahr noch mal öffnet. Die Show ist vorbei.

Eigentlich, berichtet er, wollte er am 19. Dezember zum letzten Mal aufsperren und seine Karriere als Hertlein-Wirt mit einem großen Knall beenden. Weihnachten im Hertlein, das sich unter seiner Regie zu einer Pflichtveranstaltung für zahlreiche Neuburger entwickelt hatte, hätte es heuer nicht gegeben. "Das war mir von vorneherein klar, dass das nicht funktionieren würde. Die Leute hätten uns die Bude eingerannt, so viele Türsteher hätte ich gar nicht hergebracht. " Das Corona-Virus tat dann sein Übriges zu dieser Entscheidung. "Ich hätte mir einen anderen Abschied gewünscht", sagt Habermeier. "Aber mei, so is' es jetzt halt. "

Ruhige Worte in einer Zeit, die bei Gastronomen alles andere als Gemütlichkeit hervorruft. Auch Habermeier und das Hertlein hat es getroffen. "Der Biergarten hat die Verluste durch den Lockdown natürlich auch nicht kompensiert. Mir fehlen ungefähr 120000 Euro Umsatz heuer, ich steck' mit 20000 Euro wegen Pachtzahlungen in der Kreide. " Solch schwere Zeiten wünscht kein vernünftiger Mensch einem anderen. Für Habermeier ist es nicht das erste Mal, dass er ein Tal durchschreiten muss. Aber er hat nun, da er das Hertlein abgibt, auch das geschafft. Und mit der Zeit, das ist gewiss, wird bei Habermeier die Erkenntnis bleiben, dass er nicht nur das Hertlein, sondern auch das Neuburger Nachtleben und die Kneipenszene geprägt hat wie kein anderer.

Ins Tanzcafé verschlug es den gebürtigen Neuburger zum ersten Mal 1985, da war er gerade einmal 15 Jahre alt. Mit seinen Kameraden der Neuburger Handballer-Truppe sei er reingegangen. "Damals hat's das mit der Altersbegrenzung nicht so gegeben, und das Hertlein hat um 1 Uhr schon zugemacht. Wegen der einen Stunde nach Mitternacht hat keiner kontrolliert. " Die Wirte hießen damals Andy Krickl und Sepp Pfeifer. "Und eigentlich hat alles ausgesehen wie heute auch", erinnert sich Habermeier.

Das ist es, was bei vielen Freunden der Kneipe den Charme ausmacht: Das Hertlein wirkt ein wenig aus der Zeit gefallen - oder ist anders gesagt einfach zeitlos. "Da gab's hinten an der Tanzfläche noch die festinstallierten Stehtische, und die Toilettenanlagen waren noch die alten. Aber ansonsten hat sich nichts geändert. " Viele Jahre später sollte Habermeier als erfahrener Wirt der Kultkneipe einmal die Fenster an der Nordfassade austauschen. "Ich hab das gemacht, weil es mich genervt hat. Du bist reingegangen, und es war Sommer wie Winter dunkel wie im Bärenarsch. "

Bis es soweit kam, sollte Habermeier aber andernorts Erfahrungen in der Gastronomie sammeln. Seine Karriere als Wirt, wenn auch damals noch überhaupt nicht absehbar, startete 1988 im "Pub", dem King George. "Damals war das Weggeverhalten der Leute noch ganz anders. Da ist es am Donnerstag noch losgegangen", erinnert sich Habermeier. Einige Jahre arbeitete er im Pub, heute würde man es Mini-Job nennen. Aber es sollte nicht ewig halten, denn mit dem damaligen Wirt war sich Habermeier irgendwann uneins. "Ich hab mir gedacht: Ich verdien doch dir nicht das Leben", berichtet er. Er schmiss hin, hatte aber schon einen Plan in der Hinterhand.

Sein späterer Vorgänger, Hertlein-Wirt Andy Krickl, stellte ihn sofort ein, Habermeier wurde neue rechte Hand des Chefs. "Es wollte kein anderer vom damaligen Hertlein-Personal übernehmen. Ich bin da irgendwie reingewachsen. " Und in seinem ersten Jahr hatte Habermeier eine Idee, aus der einmal eine Tradition werden sollte: "Ich hab' den Vorschlag gemacht, dass wir an Heiligabend aufmachen. " Sein Chef, damals frischgebackener Vater, konnte mit dem Vorhaben zwar so gar nichts anfangen, gab der Sache aber eine Chance. Eine Goldgrube. "Am ersten Tag haben wir schon einen Samstagsumsatz gehabt. " Der Erfolg sollte sich jedes Jahr wiederholen und immer weiter steigern, bis Heiligabend schließlich zum erfolgreichsten Tag im Hertlein-Jahr wurde - sogar noch besser als an Schlossfestwochenenden, wo es im Kurvencafé ebenfalls hoch hergeht. "Jeder hat Geld in den Taschen und sucht nach einer Möglichkeit, nach der Familienfeier wegzugehen. Weihnachten hat sich zum besten Tag im Jahr entwickelt - nicht nur vom Umsatz her, auch vom Arbeitsfeeling. Bei der Dezember-Planung hat sich das Personal fast schon um Heiligabend geprügelt. Da kann es noch so voll sein, da fallen sich alle in die Arme. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir da mal eine Ausschreitung gehabt haben. "

Am 1. Juni 1996 wurde Habermeier schließlich Mitpächter, zusammen mit Michael Krickl, dem Bruder von Habermeiers Vorgänger Andy Krickl. Einen Studienabbruch in Würzburg im Fach Kunststofftechnik hatte Habermeier damals hinter sich. "Eineinhalb Jahre Würzburg, das war mir zu viel. Das hatte nichts mit Noten oder nicht geschafften Prüfungen zu tun. Ich bin Neuburger und will Neuburger bleiben. " Habermeier absolvierte stattdessen eine Schreinerlehre in einem hiesigen Unternehmen. "Die Arbeit mit Holz macht mir bis heute viel Spaß", sagt er. Auftragsbedingt schloss der Betrieb seine Schreinerei und konzentrierte sich fortan auf andere Gewerke, Habermeier wurde entlassen. Drei Monate faktische Arbeitslosigkeit musste er überbrücken, ehe er in Vollzeit im Hertlein einstieg und nach zwei Jahren alleiniger Chef wurde.

Es war kein einfaches Unterfangen, denn mit knapp 26 Jahren hatte er schon eine hohe Kreditbelastung: Zusammen mit seiner Schwester und seinem Bruder hatte er das Elternhaus umgebaut, damit alle drei Parteien dort wohnen bleiben konnten. Trotzdem ging Mike Habermeier das Wagnis ein. Es sollten schwierige erste Jahre werden. Wie Habermeier heute sagt, war er anfangs finanziell schlecht beraten. Ein Großteil der Stammkunden blieb mit Ausscheiden von Andy Krickl weg, ein Generationenwechsel beim Publikum ließ dann länger auf sich warten als gedacht. Mit Hilfe eines langjährigen Freundes, eines Steuerberaters, und seiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau Angie kam Habermeier aus diesem Finanzloch aber wieder heraus. Innerhalb von zwei Jahren konnte er den Schuldenberg abtragen und sogar seinen Kompagnon Michael Krickl ausbezahlen.

Zwar lief es von da an wesentlich besser, doch waren die Zeiten für ihn und sein Personal nicht immer rosig. "Du hast mal einen Sommer gehabt, da hast du dich im Biergarten derrumpelt, im Jahr drauf war wieder Megaflaute. " Mit der Zeit seien es aber das Internet und Social Media gewesen, die ihm und vielen Wirtskollegen in die Suppe gespuckt hätten. "Früher hast du dich nach der Schule verabredet. Geht man am Freitag oder Samstag weg? Das ist dann eingehalten worden. Von diesem großen Kuchen ist jeder Wirt satt geworden. Heute steckt ein junger Mensch um zehn den Kopf zur Tür rein, sieht, dass noch nichts los ist und schickt das dann übers Internet in die Welt. Dann kommt halt auch keiner mehr. "

Trotzdem hat das Hertlein überlebt - im Gegensatz zu zahlreichen Mitbewerbern und Konkurrenten. "Als das Little Amadeus als Ableger vom Amadeus in Ingolstadt in den Schrannenkeller gekommen ist, hatte ich tatsächlich Schiss", sagt Habermeier heute. "Die Leute haben gesagt, wenn die dich ausbluten lassen wollen, dann verkaufen die den Schnaps so lange für 50 Cent, bis es dich nicht mehr gibt. " Just an dem Wochenende, als die mit vielen Vorschusslorbeeren gepriesene Konkurrenz den Betrieb in Neuburg aufnahm, gab es im Hertlein - mal wieder - große Probleme mit den Sanitäranlagen. Das Wasser floss gegen Mitternacht vom Herrenklo nicht mehr ab, die hintere Bar stand unter Wasser und Habermeier musste notgedrungen schließen. Wer dies damals als Zeichen sah, der irrte. Die Konkurrenz gab es nach ein paar Jahren nicht mehr, Habermeier machte mit dem Hertlein bis heuer weiter.

Anekdoten, das ist klar, gibt es nach mehr als 24 Jahren als Hertlein-Wirt so einige zu erzählen. Beispielsweise von der jungen Frau, die auf der Toilette eingeschlafen ist, versehentlich eingesperrt wurde und dann mit einer Bierflasche versuchte, das Sicherheitsglas der Fenster kaputt zu schlagen. Vom Stammgast, dem ähnliches widerfahren war, der sich bis zum Eintreffen der Putzfrau aber einfach ein weiteres Bier aufgemacht hatte. Oder vom Türsteher, der beim Polizeieinsatz gegen Neonazis von einer Beamtin - dessen erblich bedingten Haarausfall missdeutend - ebenfalls beinahe einkassiert worden wäre. Die Beispiele ließen sich lange fortsetzen.

Das Kapitel, Mike Habermeier im Hertlein, endet nun. Für den 50-Jährigen beginnt ein neuer Lebensabschnitt, für den er schon vorgebaut hat. In einer ehemaligen Werkstatt hat er sich einen Partyraum eingerichtet, eine "echte Männerhöhle", die große Ähnlichkeit mit einer Kneipe hat. Ein Gewerbe wird das für Habermeier aber nicht. "Das ist nur für Freunde, die ein, zwei Mal in der Woche bei mir vorbeischauen wollen. Was tät' ich denn sonst? ", fragt er.

DK

Sebastian Hofmann