München
Der Körper der Frau

Das Münchner Lenbachhaus widmet der legendären Avantgarde-Künstlerin Senga Nengudi eine Ausstellung

19.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:39 Uhr

München (DK) Senga Nengudi ist eine Avantgarde-Künstlerin, deren Werke in einen Koffer passen - so hat sie eine Künstlerkollegin beschrieben.

Wenn ihr jetzt das Lenbachhaus eine Ausstellung widmet, dann bedeutet dies auch eine Wiederbelebung von Objekten, die in Depots schlummerten. Denn die Arbeiten von Nengudi verknüpfen Skulptur, Tanz und Performance miteinander, wie sich vor allem an Fotos und Videos beobachten lässt in der Schau "Senga Nengudi - Topologien".

Das bevorzugte Material der Künstlerin, die 1943 in Chicago geboren wurde, sind Nylonstrümpfe. Mit diesen war sie auch 2017 auf der Biennale in Venedig vertreten. Nengudi verknotet die Nylons in sich und miteinander, dehnt sie auf Maximallänge, indem sie einzelne Partien an die Wand nagelt, füllt sie mit Sandportionen als Gewichte, die wie Pendel herabhängen. Initialzündung für diese Verarbeitung von hautfarbenen Strümpfen waren Schwangerschaften, und das Staunen über die Dehnbarkeit des weiblichen Körpers führte die Künstlerin zur Verarbeitung von gebrauchten Strumpfhosen. Einige von ihnen werden gefüllt mit Fundstücken wie Metallscheiben oder Fahrradreifen, sie werden kombiniert mit Gummimatten, und den Assoziationen der Betrachterinnen und Betrachter werden keine Grenzen gesetzt.

Es ist eine Frauen-Kunst in dem Sinn, dass weibliche Lebens-Erfahrungen umgesetzt und Erinnerungen wachgerufen werden. Das Material steht für Verführung, für Weiblichkeit an sich - aber auch für Verletzlichkeit und Gewalt. Zerrissene Strümpfe oder gar der Einsatz als Mordwerkzeug durch Strangulation schweben sozusagen im Raum - und ebenso die Lust an der eigenen Schönheit, wenn Beine verkleidet, verziert werden, wenn angeknüpft wird an die Form von Brüsten und Hoden.

Zum Leben erweckt werden die Objekte in Performances, die in der Ausstellung als Film gezeigt werden. Balletttänzerinnen dehnen und beugen ihren Körper unter der Spannung des Strumpf-Materials, sie tanzen mit und unter den aufgespannten Stoffstreifen. Die Frau wird zur Spinne, die in ihrem Netz sitzt, weiterspinnt, wartet, sich langsam bewegt. Und der Strumpf steht für den weiblichen Körper, die aufgespannten Strümpfe sind Stellvertreterinnen für die Körperwelten der Frau. Mit minimalistischen Mitteln wird der Frauenkörper in den Mittelpunkt gerückt, wird seine Geschichte durch Verformungen erzählt. Denn die Topologie - so der Ausstellungstitel - beschreibt die Eigenschaften mathematischer Strukturen, die unter stetigen Verformungen erhalten bleiben.

Die französisch-amerikanische Künstlerin Louise Bourgeois hat 1999 eine über neun Meter hohe Spinne aus Bronze gegossen mit dem Titel "Maman" in Erinnerung an ihre Mutter, die als Restauratorin an Tapisserien arbeitete. Die inzwischen 76-jährige Senga Nengudi hat ihrem eigenen mütterlichen Körper viele Denkmäler geschaffen, die vergänglich und flüchtig sind und in eine kleine Schachtel passen. "Dauerhaftigkeit hatte keine Priorität für mich, es ging um Performances", sagt Nengudi über ihre Aktionen im afroamerikanischen Milieu von Los Angeles in den 1960er- und 1970er-Jahren. Titel einer Arbeit aus dem Depot des Centre Georges Pompidou in Paris: "R. S. V. P. " - es ist der französische Aufdruck auf Einladungskarten: "Repondez s'il vous plaît" - "Um Antwort wird gebeten". Denn die Kunst von Nengudi wartet auf das Gegenüber, will in den Dialog treten mit dem Körper, will berührt und gestreckt und gedehnt werden, auch wenn das heute im musealen Ambiente nicht erlaubt ist - außer in den Tanz-Performances, die im Rahmen der Ausstellung stattfinden und die diese sinnliche Schau treffend ergänzen werden.

Bis zum 19. Januar 2020 im Lenbachhaus am Königsplatz, geöffnet täglich außer montags 10-18 Uhr, dienstags bis 20 Uhr.

Annette Krauß