München
Der Klang der Stille

Späte Versöhnung mit Paul Simon und etliche Klassiker: Art Garfunkel gibt denkwürdiges Konzert in der Münchner Philharmonie

06.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:20 Uhr
Für besondere Momente sorgte Art Garfunkel bei seinem Konzert in München. −Foto: Magen/AFP

München (DK) Ein unscheinbar wirkender, älterer Herr betritt die spärlich bestückte Bühne der mächtigen Münchner Philharmonie.

Hellgraue Hose, weißes Hemd, dunkle Weste. Die Schritte fallen ihm schwer, er zieht einen Fuß leicht nach, geht vornüber gebeugt. Und doch reicht allein die Präsenz dieses Mannes, damit sich viele der 2400 Besucher in dem voll besetzten Saal von ihren Plätzen erheben, um ihm ein Ständchen zu singen. Art Garfunkel hat am Dienstagabend seinen 78. Geburtstag gemeinsam mit seinen deutschen Fans gefeiert und mit seinen Songs eine Zeitreise durch die vergangenen rund 50 Jahre präsentiert.
Es ist ein Abend, reduziert auf das Wesentliche. Lediglich Keyboarder Paul Beard und Akustikgitarrist Tab Laven, den der 78-Jährige als "einen der besten der Welt" bezeichnet, begleiten Garfunkel. Opener ist das zarte, von Paul Simon geschriebene "April Come She Will". Es ist das Fragile, das die ohnehin ruhigen Nummern zu besonderen macht. Erstmals höre und verstehe er die Texte der Songs, die einst bei Liveauftritten hinter den Gitarren untergegangen seien. Bei "Scarborough Fair" beispielsweise gehe es um Verlust, das sei ihm bei den Aufnahmen 1965 in New York gar nicht bewusst gewesen.
Nach anfänglichen gelegentlichen Wacklern in der Stimme hat sich Garfunkel spätestens bei dem wunderschönen "Perfect Moment" warmgesungen. Vier Jahre plagte er sich mit Stimmband- beziehungsweise Kehlkopfproblemen herum und musste mehrere Comebackversuche verschieben. Seit 2014 trifft er auch die hohen Töne wieder - meistens jedenfalls. Für die ist an diesem Abend ohnehin sein Sohn zuständig. Art Garfunkel jr. , 28 Jahre jung und in Mecklenburg-Vorpommern lebend, darf mehrere Nummern zum Besten geben. "Wednesday Morning, 3 A. M. " kriegt er gut hin. Was allerdings Chaplins "Smile" mit der brachialen Kopfstimme zum Finale und vor allem Dean Martins "That's Amore" als Schunkelnummer in der Philharmonie verloren haben, erschließt sich nicht. Ja, der junge Mann hat eine schöne, glockenklare Stimme, die bisweilen an die seines Vaters erinnert. Er bewegt sich allerdings derart hölzern, dass man ihm doch lieber zuhört als zusieht. Richtig gut sind Vater und Sohn aber im Duett, etwa bei der Everly-Brothers-Nummer "Devoted To You". Garfunkel Senior überzeugt stimmlich vor allem bei seinem größten Solo-Hit "Bright Eyes" und der entschlackten, puren Version von "Bridge Over Troubled Water". Ganz besondere, intime Momente in der Philharmonie mit ihrer ausgezeichneten Akustik sind das.
Art Garfunkel ist ein sensibler Vertreter seines Fachs. Von Beginn an stört ihn etwas. Immer wieder blickt er hoch nach oben in den Saal und macht eine ausladende Handbewegung, die weder der Soundmischer noch irgendjemand sonst zu deuten vermag. Nach einer guten halben Stunde dann spricht er es aus: Da oben sei eine Tür offen, das störe seine Konzentration. Wie sich herausstellt, stimmte das aber gar nicht. Es handelte sich wohl um das kleine Lämpchen für den Notausgang, das dem 78-Jährigen ein Dorn im Auge war.
Der Applaus ist natürlich bei den Simon & Garfunkel-Klassikern am lautesten. Zu "Sound Of Silence" erzählt der Sänger die Entstehungsgeschichte. Er und Simon seien beide 24 Jahre alt gewesen. Paul wäre mit seiner Akustikgitarre in seine von Kakerlaken übersäte Wohnung nach New York gekommen und hätte ihm den Song erstmals vorgespielt. Leider setzt bei der etwas lieblos vorgetragenen Kurzversion der Nummer irgendwann ein völlig unpassender, wummernder Keyboard-Bass ein, der dem Stück viel von seiner Qualität nimmt.
Interessant ist aber, was Art Garfunkel über die bekanntermaßen schwierige Beziehung zu Simon verrät. Da gäbe es Wärme und Kälte, es sei vergleichbar mit Jahreszeiten, sagt er. Man solle nicht dem Geschwätz der Medien glauben, führt er weiter aus. "Er ist mein Nachbar und wie mein Bruder". Zusammen mit Randy Newman und James Taylor (den er als den nächsten US-Präsidenten ins Spiel bringt) sei Simon einer der besten Songwriter überhaupt.
Eine Reunion des Duos, das sich insgesamt viermal trennte - zuletzt 2010 - sollten die Fans dennoch nicht erwarten. Er blicke dem Ende seiner Bühnenkarriere entgegen, meint Art Garfunkel gegen Ende des knapp eineinhalbstündigen Konzerts. Sein Sohn singe inzwischen besser als er. Nach mehreren Zugaben, in denen er auch zwei eigens verfasste Gedichte vorträgt, verbeugt sich der 78-Jährige lange und tief vor dem Münchner Publikum und verlässt ein letztes Mal die Bühne der Philharmonie.

Uwe Ziegler