London (DK
Der heikle Fall Litwinenko

21.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:17 Uhr

London (DK/AFP) Derart deutliche Worte hatte man nicht erwartet. Der russische Präsident Wladimir Putin wird von einem britischen Richter in direkten Zusammenhang mit der Ermordung des Kreml-Kritikers Alexander Litwinenko gebracht. "Die FSB-Operation zur Tötung Litwinenkos", erklärte Sir Robert Owen, der eine richterliche Untersuchung in den Fall leitete, "wurde wahrscheinlich von Herrn Patruschew [dem damaligen Chef des Geheimdienstes FSB] und auch von Präsident Putin gebilligt." Der brisante Befund dürfte die bilateralen Beziehungen kaum verbessern.

Der Fall Litwinenko beschäftigt die britische Justiz schon seit neun Jahren. Im November 2006 wurde der Exil-Russe in London durch die Verabreichung des radioaktiven Isotops Polonium 210 vergiftet. Drei Wochen dauerte es, bis sich das Gift durch seinen Körper fraß und Litwinenko einen qualvollen Tod fand. Noch auf dem Totenbett hatte er Wladimir Putin für den Mord verantwortlich gemacht: "Sie mögen einen Mann zum Schweigen gebracht haben, aber der Aufschrei des Protests in der ganzen Welt, Herr Putin, wird in Ihren Ohren für den Rest Ihres Lebens nachklingen."

Litwinenko war ein ehemaliger Oberstleutnant des russischen Geheimdienstes FSB. Er überwarf sich mit dem damaligen FSB-Chef Putin, als er sich 1998 über interne Korruptionsfälle beschwerte. Litwinenko flüchtete im Jahr 2000 nach Großbritannien und bekam politisches Asyl. Er hatte in der Folge in mehreren Büchern schwere Anschuldigungen gegen den FSB und gegen Putin erhoben - unter anderem, dass der russische Geheimdienst unliebsame Dissidenten per Auftragsmord aus dem Wege zu schaffen versuche. Genau dieses Schicksal hat ihn offenbar selbst ereilt.

Richter Owen ließ keinen Zweifel an seiner Überzeugung, dass seine Vergiftung staatlich legitimiert war. Die Täter, die er benennt, sind Andrei Lugowoi, ein früherer Kollege vom FSB, und Dmitri Kowtun. Die beiden Russen trafen Litwinenko am 1. November 2006 im "Millennium-Hotel" zum Tee. In der Teekanne fanden sich später Spuren von Polonium 210. Lugowoi war tags zuvor von Moskau nach London eingeflogen. An Bord des Flugzeuges, das er benutzte, wurden Polonium-Spuren gefunden. Zusammen mit russischen Freunden sah er sich am Abend des 1. November ein Fussballspiel zwischen ZSKA Moskau und FC Arsenal an - auf ihren Sitzplätzen im Stadion entdeckte man ebenfalls die radioaktive Substanz. Auch ein Zimmer im "Parkes Hotel", in dem sich Lugowoi bei einem früheren London-Besuch am 16. Oktober aufhielt, testete positiv für Polonium.

Die russische Reaktion auf Sir Owens Bericht war, wie zu erwarten, abweisend. Die richterliche Untersuchung, hieß es aus Moskau, sei "voreingenommen" und "politisch motiviert" gewesen. "Vielleicht ist das ein Witz", sagte gestern Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Der Bericht, der auf "vertraulichen Informationen nicht identifizierter Geheimdienste" beruhe, sei ein Beispiel für den "britischen Humor".

Die Witwe des Ermordeten ,Marina Litwinenko, dagegen forderte gestern in einem persönlichen Statement vor dem Gericht politische Kosequenzen. Es sei "undenkbar", sagte sie, wenn der Premierminister David Cameron "nichts täte angesichts der vernichtenden Ergebnisse", zu denen Sir Owen gekommen sei. Sie verlangte die Ausweisung von FSB-Agenten und Mitarbeitern anderer russischer Geheimdienste sowie "gezielte wirtschaftliche Sanktionen und Reiseverbote gegen genannte Individuen".

Soweit wird es wohl nicht kommen. Vor dem Unterhaus verurteilte die Innenministerin Theresa May zwar scharf den "eklatanten und fundamentalen Bruch der Grundsätze internationalen Rechts". Praktische Konsequenzen sind aber lediglich die Einbestellung des russischen Botschafters, die Ausstellung von internationalen Haftbefehlen für Lugowoi und Kowtun sowie das Einfrieren ihrer Vermögenswerte. Den Grund für die Zurückhaltung verriet die Sprecherin des Premierministers. Unter Anspielung auf die gemeinsame Bekämpfung des Terrornetzwerks "Islamischer Staat" in Syrien sagte sie, dass der Premierminister durchaus die Bedeutung der Kooperation mit Russland für das nationale Interesse sähe.

Der Fall beschäftigte 2006 auch die deutschen Behörden: In Hamburg und im wenige Kilometer entfernten Pinneberg entdeckten die Fahnder damals Spuren von Polonium 210: In Hamburg hatten Kowtun und seine Ex-Frau eine Wohnung. Dort nächtigte Kowtun vom 31. Oktober bis zum 1. November. Vor seinem Weiterflug nach London soll er dann seine Schwiegermutter in Pinnerberg besucht haben. Auf dem Beifahrersitz eines BMW werden ebenfalls Spuren von Polonium gefunden. Ein Verfahren gegen Kowtun in Deutschland wurde später eingestellt.