Der große Ansturm ist vorüber

03.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:28 Uhr

Passau (DK) Im Herbst gelangten 6000 Flüchtlinge und mehr am Tag nach Passau. Zuletzt waren es nur noch weniger als 1500 im Monat. Die Bundespolizei registriert penibel jeden Einzelnen und schickt die Hälfte gleich wieder zurück. Daneben gilt ihr Kampf den Schleusern.

Das Chaos. So nennen es die Bundespolizisten in Passau selbst, wenn sie auf den Herbst zurückblicken. Der Begriff stimmt und dann doch wieder nicht. 5000 bis 6000 Asylbewerber und mehr waren pro Tag in die Stadt geströmt, mehr als 33 000 jede Woche. Irgendwie schon chaotisch. Aber Behörden, Ehrenamtliche, Hilfseinrichtungen und die Stadt hatten es dennoch verstanden, gemeinsam und in stoischer Ruhe dieses Durcheinander zu meistern. Da hätten sich die da oben in der Politik mal ein Beispiel nehmen können. Statt dessen nur viel Gezänk und hehre Worte, während sie an der Basis Hand in Hand anpackten. Fluktuation hieß die Lösung: Kommune und Behörden hatten die Massen rasch ins restliche Land weitergeschleust. Wen man sich da alles hereinholte, blieb indes oft rätselhaft. Sicher viele verzweifelte und zugleich anständige Leute. Aber wohl auch Straftäter und IS-Anhänger. Gerade nach dem Amoklauf von München und dem Anschlag von Ansbach flammt diese Argumentation gerade wieder auf.

Dergleichen existiert heute nicht mehr. Auf die Politik allein wollte sich freilich niemand verlassen, obwohl es auch da Bewegung gab. Die Organisation bei der Aufnahme von Flüchtlingen präsentiert sich in Passau besser denn je. Die Stadt tut weiter ihr Bestes, und die Ehrenamtlichen konzentrieren sich vor allem auf die Integration. „Das ist jetzt das Wichtigste“, sagt eine von vielen Helferinnen. Die Bundespolizei hat derweil ihre Inspektion von Freyung nach Passau verlegt, in die Danziger Straße. „Ohne umfangreiche Registrierung kommt uns hier keiner mehr herein“, versichert ihr Sprecher Timo Schüller. Vorbei die Zeiten, als die Ankömmlinge unkontrolliert ins Land strömten.

Die Umstände sind freilich nicht mehr vergleichbar. „Es kommen seit Jahresbeginn immer weniger Flüchtlinge“, berichtet Oberkommissar Schüller. Im Januar hatte die Bundespolizei in Passau noch rund 23 000 Ankömmlinge gezählt, im Februar um die 14 000 und zuletzt im Juli keine 1500 mehr. Der vergangene Montag gilt als „absoluter Ausnahmetag“, wie Schüller sagt. „Da war es nicht ein Einziger.“ Das hätten sie noch nie erlebt.

Etwa 40 bis 50 Flüchtlinge am Tag sind im Moment die Regel. Natürlich tauchen sie nicht freiwillig in der Halle auf. „Wir sammeln sie überall an der 170 Kilometer langen Grenze nach Österreich auf“, erzählt Timo Schüller. Jeweils 18 Minuten nach jeder vollen Stunde stehen seine Kollegen am Passauer Bahnhof und warten auf den Zug aus Wien. Meist sind Asylbewerber unter den Fahrgästen. Die Bundespolizisten picken sie heraus, informieren die Stelle an der Danziger Straße und lassen die Ankömmlinge abholen. Überall im Landkreis sind Streifen unterwegs, in Wegscheid, Simbach und sonst wo, um auch grüne Grenzen im Auge zu behalten. Das Unkontrollierte wie vorigen Herbst will keiner mehr.

In der Passauer Halle der Bundespolizeiinspektion machen die Flüchtlinge erstmals Erfahrungen mit deutscher Gründlichkeit. Roland Vogt leitet die Station, Toni Jacobs ist einer der Schichtleiter – die Teams wechseln sich im Zwölfstundenturnus ab. „Bearbeitungslinie“ nennt sich im Behördendeutsch das, was die Asylbewerber in fünf Schritten durchlaufen. Erst erhalten sie einen Laufzettel und werden grob erfasst. „Da prüfen wir auch, ob jemand verletzt oder krank ist und ärztliche Hilfe braucht“, sagt Vogt. Es folgt eine Durchsuchung, bei der sich jeder komplett entkleiden muss. „Manchmal finden sich dabei Ausweispapiere, die zuvor verschwiegen worden sind.“

Im „Fast-ID“-Bereich kommen die Ausweise und Personalien auf den Prüfstand. „Da fliegt dann schon mal auf, dass Papiere gefälscht sind“, berichtet Timo Schüller. Die anschließende Befragung mit Dolmetschern hat auch den Hintergrund, neben dem Familienstand und den persönlichen Verhältnissen zu klären, ob jemand möglicherweise über Schleuser ins Land gelangt ist. Station fünf umfasst die erkennungsdienstliche Behandlung: Fotos werden gemacht, Gewicht und Augenfarbe festgehalten oder Merkmale wie Narben registriert. Der Zoll unterstützt die Bundespolizei bei ihrer Arbeit.

Gleich nebenan residiert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), wo die Asylbewerber noch einmal fast dieselbe Prozedur durchmachen. „Aus Datenschutzgründen dürfen wir nicht einfach die erfassten Angaben der Bundespolizei übernehmen“, erklärt Tanja Gradl von der Teamleitung. So erfolgt eine doppelte Erfassung, bevor es für die Ankömmlinge weiter in verschiedene Erstaufnahmeeinrichtungen in Bayern oder anderen Bundesländern geht. „Wichtig ist uns, dass wir Familien nicht auseinanderreißen“, sagt die Bamf-Mitarbeiterin. Minderjährige ohne Begleitung kommen in die Obhut von Jugendämtern.

Gut die Hälfte der Ankömmlinge muss innerhalb eines Tages zurück nach Österreich – dann, wenn sie keinen triftigen Asylgrund nennen. „Da kommen oft Leute, die schnell mal den Onkel in Frankfurt oder Hamburg besuchen wollen“, sagt Oberkommissar Jacobs. Andere geben sich als Syrer aus, obwohl sie türkische Kurden sind, oder sie behaupten, minderjährig zu sein, um bleiben zu dürfen. „Schleuser impfen ihnen das so ein, sie sind für uns ein Problem.“ Im Kampf gegen diese Kriminellen setzt die Bundespolizei eine Ermittlungsgruppe ein, immer wieder vermeldet sie Festnahmen.

Arbeit gibt es also zuhauf, auch wenn weniger Flüchtlinge eintreffen. „Das kann sich je nach politischer Lage aber rasch ändern,“ weiß Stationsleiter Vogt. „Leider haben wir keine Glaskugel.“ Die eingesetzten Bundespolizisten stammen aus ganz Deutschland. Fünf Wochen dauert normalerweise so eine Abordnung, mit Pausen dazwischen. Viele verlängern aber freiwillig, wie Jessica Britz aus Hannover, seit November in Niederbayern. „Es ist der Teamgeist hier, der mir so gut gefällt. Das ist wie eine große Familie.“