Eichstätt
"Der fremde Dialekt und unbekannte Wörter waren kein Hindernis"

04.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:50 Uhr

Eichstätt (je) „Bei uns ist im oberen Zimmer das Mädchen einer heimatvertriebenen Familie geboren worden. Es wurde auf den Namen Hildegard getauft.“ Die ehemalige Scherler-Bäuerin von Wolkertshofen, Walli Spreng, Jahrgang 1931, weiß die Zeit der Vertreibung der Menschen aus Ostdeutschland und aus dem Sudetenland in den Nachkriegsjahren, als ob es gestern gewesen wäre.

Die in dem Haus aufgenommenen Leute schrieben nach ihrem Wegzug jedes Jahr und waren öfter zu Besuch. Sie sind verstorben. Hildegard und ihre zwei Jahre ältere Schwester Renate aber halten die freundschaftlichen Bande aufrecht.

Ein Zimmer im „Scherler“-Wohnhaus war während des Krieges von Saarländern bezogen worden. Als diese nach Hause zurückkehrten, kam der Bürgermeister und beschlagnahmte den Raum. Dazu wurde ein amtlicher Zettel an der Türe angebracht. „Wir sind im Frühjahr 1946 bei der Feldarbeit gewesen“, schilderte Walli Spreng weiter, „als wir heimkamen, war das Haus voller Leute.“ Die Vertriebenen seien mit dem Heuwagen am Bahnhof Tauberfeld abgeholt und nach Wolkertshofen und in die anderen Orte gefahren worden.

Eine schwangere Frau mit einem Kleinkind und deren Schwager mit seiner Frau wurden in den beschlagnahmten Raum eingewiesen. Das sei unheimlich eng gewesen, weshalb ihr Vater, Max Thurner, ein weiteres Zimmer abtrat. „Da ist viel gegreint (geweint, Red.) worden“, sagte Walli Spreng. Die unfreiwilligen Zuzügler hätten Haus und Hof, Hab und Gut sowie persönliche Erinnerungsstücke verloren. Sie seien sehr dankbar gewesen für Milch, Eier, Brot und andere Lebensmittel, die sie bekommen hätten. Sie hätten in ihrer Küche ihr Essen zubereitet.

Walli Spreng weiß aber auch noch, dass es nicht in jedem Anwesen friedlich zugegangen sei und Streit nicht ausblieb. „Uns haben die Leute leid getan, wir sind gut ausgekommen“, erzählte sie. Die aus ihrer Heimat Ausgewiesenen seien ungefähr zwei Jahre da geblieben und dann zu Verwandten nach Michelstadt in Hessen gezogen.

Michael Schneider aus Marienstein, Jahrgang 1921, war Dienstbote bei einem großen Bauern und Bürgermeister in Stadelhofen. Er musste 1939 in den Krieg ziehen und kam 1946 in seine Heimat zurück. Nach Stadelhofen wurden damals auch viele Vertriebene und Flüchtlinge gebracht. Der Bürgermeister und Mitglieder der Wohnungskommission gingen von Haus zu Haus und requirierten Wohnräume für sie.

„Überwiegend wurde versucht, die Menschen in Bauernhöfen unterzubringen“, erinnert sich Schneider. Das hatte den Vorteil, dass die Neubürger in Stall, Hof, Feld und Wald mitarbeiten konnten, etwas zu Essen bekamen und auch einen Lohn empfingen.

Die Stadelhofener seien mit den Leuten überwiegend gut ausgekommen, und viele von ihnen seien dageblieben. Sie seien zum Teil in die Sonntagsmesse gegangen, und vor allem die Kinder hätten sich mit den einheimischen Mädchen und Buben bald angefreundet. „Der fremd klingende Dialekt und unbekannte Wörter sind kein großes Hindernis gewesen“, meinte Michael Schneider. „Mir ist nichts Böses in Erinnerung“, fügte er hinzu.