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Der ewige Nobelpreis-Kandidat

Amerikas großer Literat Philip Roth befreite sich offiziell vom "Frust des Schreibens" – Heute feiert er seinen 80. Geburtstag

18.03.2013 | Stand 03.12.2020, 0:22 Uhr

New York (DK) Im vergangenen Herbst hat Philip Roth angekündigt, keine Bücher mehr schreiben zu wollen. Kurz zuvor hat er den Literatur-Nobelpreis nicht bekommen. Wieder einmal. Als Grund für zukünftiges Schweigen nannte Roth, dass er den Fanatismus, den er zum Schreiben brauche, nicht mehr aufbringen könne.

Wer die Bücher Roths kennt, dem scheint das schlüssig: Er ist ein Sprachfanatiker, ein Schreibberserker, der von seinen Themen nicht selten genauso besessen ist wie die Figuren seiner Bücher. Etwa jener Alexander Portnoy, ein vom Sex besessener jüdischer Intellektueller, den Roth auf der Couch eines Psychoanalytikers eine Lebensbeichte ablegen lässt. „Portnoys Beschwerden“, virtuos erzählt, machte Philip Roth berühmt und berüchtigt. Für die einen war das selbst im libertinären Jahr 1969 schlicht Pornografie, Feministinnen und Juden feindeten ihn gleichermaßen an, für die anderen ist das Buch ein Meisterwerk.

Bevor er „Portnoys Beschwerden“ schrieb, hatte sich Roth selbst 800 Stunden auf die Couch gelegt, um seine traumatische erste Ehe zu verarbeiten. Als er später „Mein Leben als Mann“ veröffentlichte, lag es nahe, das Buch – mit seinen Themen erotische Obsessivität, misslingendes Leben, intellektuelles Judentum, Psychoanalyse – als verkappte Autobiografie zu lesen. In der Tat sind die Lebensspuren in seinen Romanen deutlich: Immer wieder arbeitet sich Roth an seiner Kindheit und Jugend in einem kleinbürgerlich-jüdischen Viertel in Newark, New Jersey, ab, seine Helden sind oft jüdische Intellektuelle wie Portnoy oder Nathan Zuckermann, der Hauptfigur der Zuckermann-Tetralogie, mit der Roth auch in Deutschland bekannt wurde. Mit Büchern wie „Mein Leben als Sohn“ und „Die Tatsachen“ gab er den literarischen Schlüssellochguckern noch weiteren Stoff. Dabei hat er sich immer dagegen gewehrt, das Leben und die Literatur zu verwechseln. Was solle auch am Leben eines Schriftstellers interessant sein, der alleine in einem Zimmer sitzt, stundenlang auf eine Schreibmaschine starrt und abends Virginia Woolf liest, fragte er einmal.

Dabei hat Roth das Spiel mit Fakten und Fiktion in dem Roman „Operation Shylock“ auf die Spitze getrieben: Darin schreibt ein Schriftsteller namens Philip Roth ein Buch über einen Schriftsteller namens – Philip Roth. Das alles ist aber kein bloßes Experiment, sondern zeigt, wie Literatur funktioniert. Nebenbei ist „Operation Shylock“ ein hochpolitischer Roman über die Lage Israels.

Denn Roth ist, im Gegensatz zu vielen seiner amerikanischen Kollegen, immer ein politischer Autor geblieben. Er protestierte gegen den Vietnam-Krieg, hasste Nixon und vergaß die Unterdrückung Andersdenkender in der McCarthy-Zeit nie. In seinen großen politischen Romanen wie „Ein amerikanisches Idyll“, „Mein Mann, der Kommunist“ oder „Verschwörung gegen Amerika“ legt er sein Land auf die Couch wie damals Alexander Portnoy. Das bekannteste Buch, aber nicht sein bestes über die amerikanischen Befindlichkeiten und die geistige Lage der Nation ist „Der menschliche Makel“, verfilmt mit Anthony Hopkins und einer viel zu schönen Nicole Kidman.

Philip Roth ist ein Meister des Stils, in der Sprache ebenso kompromisslos wie in der Behandlung seiner Themen und seinen Ansichten. Roth lesen ist hochintensives Lesen. Wenn er über seine Kindheit und Jugend schreibt, ist es, als wäre man selbst am 19. März 1933 in Newark geboren.

Diese Stilsicherheit bewahrt auch die kleinen, klaren, hoch verdichteten, fast weisen Romane der letzten Jahre vor Peinlichkeiten und Altherrenerotik. Denn auch dort spielen jüdische Intellektuelle mit einer Vorliebe für junge Frauen und ihre Brüste eine große Rolle, nur sind sie mit ihrem Autor gealtert. Bücher wie „Empörung“, „Exit Ghost“, „Die Demütigung“, „Jedermann“ oder „Nemesis“ gehören zum Besten, was Roth je geschrieben hat. Wir wünschen ihm deshalb zum 80. Geburtstag, dass er seinen Fanatismus wiederfindet und weiter schreibt.