Kelheim
Der erste Schultag

Junge Asylbewerber starten als Gastschüler am Gymnasium in Kelheim

08.01.2013 | Stand 03.12.2020, 0:38 Uhr

Wieder in der Schule: Die beiden 18-jährigen Asylbewerber Krestoper Krikor aus Syrien (links) und Talan Alizada aus Aserbaidschan gehen in die Klasse 10 d des Donau-Gymnasiums in Kelheim - Foto: Brenner

Kelheim (DK) Es ist mehr als fünf Monate her, seitdem Krestoper Krikor zum letzten Mal einen Lehrraum betreten hat – damals studierte er im siebten Monat Agrikulturwissenschaft in Syrien. Das war vor seiner Flucht nach Deutschland.

Jetzt steht er im Ethikraum der zehnten Klassen des Donau-Gymnasiums im niederbayerischen Kelheim und versteckt seine Hände in der Jackentasche. Der 18-Jährige blickt unsicher in die Augen seiner neuen Mitschüler, während der Ethiklehrer Stefan Urbansky ihn und den ebenfalls 18-jährigen Aserbaidschaner Talan Alizada der Klasse auf Englisch vorstellt. Die zwei jungen Männer leben seit etwa einem Monat im Asylbewerberheim in Riedenburg und hoffen, dass sie bald einen deutschen Pass erhalten. „Danke, dass wir hier sein dürfen“, sagen sie immer wieder.

Zu verdanken haben sie ihren Gastaufenthalt vor allem dem stellvertretenden Schulleiter und Integrationsbeauftragten des Kelheimer Stadtrats, Raimund Fries. Er hat die beiden in das Gymnasium aufgenommen, obwohl er dazu nicht verpflichtet wäre. „Ich glaube, das ist auch eine Chance für die Schule“, erklärt er. So könnten die deutschen Schüler zum Beispiel fremde Kulturen kennenlernen.

Die beiden werden nun vorerst bis zum Ende des Schuljahres im Juli in der Klasse 10 d lernen, an Prüfungen müssen sie nicht teilnehmen. Der Unterricht soll „so weit es geht“ in zwei Sprachen gehalten werden, da die beiden gerade erst anfangen, Deutsch zu lernen. „Wie es dann im Sommer weiter geht, hängt vom Verlauf des Asylverfahrens ab.“

Ethiklehrer Urbansky blickt in die Runde: „Gibt es noch weitere Fragen“, will er von den Zehntklässlern wissen. Als keiner antwortet, fragt er Alizada nach den Unterschieden in der Schule in Aserbaidschan und Deutschland. „Bei uns hat kein Schüler während des Unterrichts geredet“, antwortet der 18-Jährige. Das sei hier angenehmer. Alizada kam zunächst mit seiner Familie nach Schweden, wo er auch mehrere Monate zur Schule ging. Deshalb spricht er fließend Schwedisch, außerdem beherrscht er perfekt Englisch und Russisch. „Das habe ich gelernt, weil wir in Aserbaidschan immer Filme auf russisch gesehen haben“, erklärt er und plaudert spontan mit einem Mitschüler, der ursprünglich aus Russland stammt. Er ist nicht der einzige Schüler mit Migrationshintergrund. Die 15-jährige Michelle Stela kommt aus Tschechien. „Ich finde es cool, dass wir zwei neue Mitschüler haben“, sagt sie. „Wir sind sowieso so wenige.“

Von den Konflikten in den Heimatländern der neuen Mitschüler haben die Zehntklässler bisher nicht viel mitbekommen. „In Syrien ist ein bisschen Krise“, weiß immerhin Felix Braun. Was genau das Problem ist, ist ihm nicht bekannt. Urbansky fordert Krikor auf, von seinem Leben in Syrien in der Stadt Al Hasakah zu erzählen. „Das tägliche Leben ist dort viel billiger als hier“, sagt der Syrer, „und gefährlicher.“ Welche Erfahrungen er mit dem Krieg gemacht hat, will Urbansky wissen. „Darüber will ich bitte nicht reden“, antwortet der 18-Jährige. Der Lehrer nickt. Die Mitschüler schweigen.

Auch der junge Aserbaidschaner hat ein Problem: Seitdem er vor drei Monaten von Schweden nach Deutschland reiste, um einer Abschiebung zu entgehen, hat er weder seine Mutter noch seinen achtjährigen Bruder kontaktieren können. „Sie geht nicht an ihr Telefon“, sagt er. Er wisse nicht, ob die Behörden sie wieder nach Aserbaidschan zurückgeschickt haben.

Genau wie der junge Syrer will auch Alizada am liebsten in Deutschland bleiben. Er glaubt, dass er in drei Monaten fließend Deutsch sprechen kann. Dafür übt er täglich. „Ich kann schon bis 1000 zählen.“