Ingolstadt
Der Anfang vom Ende

Seit Montag sind an der Stargarder Straße die Abrissbagger im Einsatz

05.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:51 Uhr
Das Haus ist leer geräumt, jetzt kommt der Bagger. Seit gestern Vormittag läuft der Abbruch der GWG-Wohnblocks an der Stargarder Straße. Die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft hat 4000 Quadratmeter angrenzenden Grund gekauft. In einigen Jahren sollen hier - auf dann 10 000 Quadratmetern - 121 barrierefreie Wohnungen stehen. Zuletzt waren es 40 in zwei Gebäuden. Neun verwandelten im November Mitgliedern des BBK für ein Wochenende in begehbare Kunstwerke. −Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) An der Stargarder Straße hat der Abriss der Wohnblocks der GWG begonnen. Bewohner denken gerne an das Leben in den Häusern zurück, die jetzt neuen Wohnungen weichen. Vielen Ingolstädtern ist die Kunstaktion in Erinnerung, die im November in einem der Abrisshäuser stattgefunden hat.

Ein hungriger Brontosaurus knabbert an dem Wohnblock in der Stargarder Straße. Zumindest erinnert die Zange des Abrissbaggers an ein urzeitliches Wesen, als sie die ersten Steine von der Fassade des Gebäudes bricht. "Das Haus wird Stück für Stück abgetragen", sagt Bernd Felbermaier von der Abrissfirma. Die Vorstellung, in so einem Fall werde eine Abrissbirne mit Schwung in die Fassade getrieben, sei falsch. "So etwas wird nur noch selten gemacht", sagt er.

Tatsächlich ist der Abriss kein Akt brachialer Zerstörung, sondern ein genau geplanter und vorbereiteter Akt. Das Gebäude musste zunächst entkernt werden. Holz- und Kunststoffteile sind ausgebaut, Fenster, Dämmung, Fassadenverkleidung, der Estrich und teilweise auch Tapeten wurden entfernt und getrennt abtransportiert. Besondere Vorsicht mussten die Arbeiter walten lassen, weil in dem Haus - für ein Gebäude aus den frühen 1970er Jahren wenig überraschend - Asbest verbaut worden war. Experten in Ganzkörperschutzanzügen und mit Staubmasken bauten das gefährliche Material aus und verpackten es sicher.

Als die Bagger an diesem Vormittag mit der Arbeit beginnen, stehen von den Wohnblocks nur noch die nackten Wände. Hermann Schneider nutzt die Gelegenheit für einen Abschiedsbesuch. Während sich die Maschinen in die Hausnummer 17 vorarbeiten, steigt der 79-Jährige in den ersten Stock der Hausnummer 19 hinauf. Auch dieses Gebäude ist bereits entkernt. Es wird abgerissen, wenn das Nachbarhaus abgetragen ist. Schneider will ein paar Fotos von der Wohnung machen, in der er von 1957 bis 1964 gewohnt hat. "Ich war seit über 50 Jahren nicht mehr da", sagt er bei dem kleinen Rundgang. So manche Erinnerung kommt dabei hoch - schöne, aber auch tragische. Schneider macht ein Bild von der Stelle, an der das Bett seiner Mutter stand, die kurz nach dem Einzug noch recht jung an einer schweren Krankheit gestorben ist. Er berichtet aber auch von der guten Nachbarschaft in dem Haus. "Wir haben uns regelmäßig zum Schafkopfen und Fußballspielen getroffen", erinnert er sich. "Das waren hier damals ja alles noch Felder", sagt er und deutet weit nach Süden, wo sich heute unter anderem ein Wohngebiet und die Pionierkaserne befinden.

Auch Leonore Weiss hat viele Erinnerungen an die Stargarder Straße. Sie ist in der Hausnummer 15a aufgewachsen und hat dem Haus gestern ebenfalls noch einmal einen Besuch abgestattet. Der Künstlerin ist es zu verdanken, dass die Häuser vor ihrem Abriss noch einmal ins Bewusstsein vieler Ingolstädter gerückt sind. Sie war es, die die Kunstaktion initiiert hat, die im November über 1200 Menschen in die sonst eher abgelegene Straße gelockt hat. 17 Künstler des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) haben mit Mitstreitern das dem Abriss geweihte Haus noch einmal mit Leben erfüllt. Sie verwandelten neun Wohnungen für zwei Tage in begehbare Kunstwerke. Bäder, Wohnzimmer, Abstellkammern und Küchen wurden aufwendig umgestaltet, die Künstler setzten sich dabei auch mit den Menschen auseinander, die in dem Haus gewohnt haben. Weiss gestaltete ihre eigene Wohnung - samt früherem Kinderzimmer. Es sei für sie wichtig gewesen, eine "besondere Form des Abschieds zu finden", sagt sie. Nicht nur die Besucher, auch die Künstler waren begeistert von der Aktion. "Die positive Dynamik und das große Engagement, mit dem alle ans Werk gegangen sind, waren überwältigend", freut sich Weiss. Der ungewöhnliche Ort habe auch viele Menschen inspiriert, die sonst eher nicht in Kunstausstellungen gehen würden. "Es ist wunderbar, wenn es funktioniert, dass die Begeisterung für Kunst auf die Besucher überspringt."

Einer der Besucher im Kunsthaus war Peter Karmann, der Geschäftsführer der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GWG). "Ich bin sogar zweimal hingegangen, weil ich es bei Tag und bei Nacht erleben wollte", erinnert er sich. "Ich war echt begeistert - auch von der hohen künstlerischen Qualität der Arbeiten." Die GWG hat eigens einen Fotografen engagiert, der das Kunsthaus dokumentiert hat. Die Bilder werden - vielleicht in Form eines Buches - der Öffentlichkeit präsentiert werden, kündigt Karman an. Fast ist es schade, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren kein so großer Abbruch mehr ansteht, um eine ähnliche Aktion zu starten. Die Zusammenarbeit zwischen BBK und GWG soll aber unbedingt bestehen bleiben, versichert Karmann.