Lippertshofen
Den Vorfahren auf der Spur

Aus Neugier wurde Leidenschaft: Bettina Blaimer hat ein Ortsfamilienbuch für Lippertshofen verfasst

23.08.2018 | Stand 23.09.2023, 3:53 Uhr
Schlichter Titel auf einem großen Werk: Bettina Blaimer hat mehr als 20 Jahre an einem Ortsfamilienbuch für Lippertshofen gearbeitet. Sie denkt bereits über ein weiteres Projekt nach. −Foto: Richter

Lippertshofen (DK) Ihre Namen lauten Kasimir Hofmann, Wendelin Kerler, Walburga Nißl oder Viktoria Guggenberger. Was die vier vereint, ist ihr Wohnort Lippertshofen im Kreis Eichstätt, wo sie einst wohnten. Die Mathematikerin Bettina Blaimer macht ihre und die Geschichte vieler anderer Dorfbewohner in einer Familienchronik wieder lebendig.

Wie kommt man dazu, mehr als 20 Jahre lang staubige Kirchenbücher zu wälzen und derart aufwendige Ahnenforschung zu betreiben, dass am Ende ein 450 Seiten starkes Buch entsteht? Bettina Blaimer lacht. "Ich war immer schon eigen", sagt sie und meint damit: akribisch, analytisch denkend, ausdauernd und vor allem neugierig. Es dürfte um 1998 gewesen sein, dass ihr Forscherdrang geweckt wurde. Sie stammt selbst aus Lippertshofen, ist dort aufgewachsen und fühlt sich im Ort noch immer daheim, auch wenn sie zurzeit in Eichstätt wohnt. Ihre Großeltern mütterlicherseits, Maria und Johann Karl, besaßen einen Hof im Dorf, der Hausname lautete aber Eichermann. Warum eigentlich? "Das habe ich mehrere Tanten gefragt, und jede hat mir eine andere Antwort gegeben. Also wollte ich es genau wissen."

Die heute 41-Jährige machte sich auf nach Hitzhofen, um im Pfarramt mit ihren Nachforschungen zu beginnen. "Ich habe da ziemlich schnell sehr viel gefunden, es war auf einmal wie eine Sucht." Bettina Blaimer arbeitete sich durch die Kirchenbücher und entdeckte zahlreiche Verbindungen in ihrer Familienvergangenheit, bis sie tatsächlich irgendwann auf den Namen Eichermann stieß. Sie konnte weiter belegen, dass ihr Opa väterlicherseits ein Österreicher war, den es während des letzten Kriegs nach Ingolstadt verschlagen hatte, wo es eine kurze Liaison mit ihrer Oma gab, bevor er zurück in die Alpenrepublik ging. "Ich habe ihn selbst nie kennengelernt." Am Ende hatte sie väterlicherseits zwölf Generationen nachvollzogen.

Wo sie nun schon dabei war, konnte sie nicht mehr aufhören. "Also habe ich begonnen, nach allen möglichen Familiennamen in Lippertshofen zu suchen und die Ahnen zu erforschen", erzählt Bettina Blaimer. Herausgekommen sind viele kleine Geschichten, wie etwa das Schicksal des bedauernswerten Jakob Köppl. Sein Vater Simon, ein Bauer, war 1750 mit Frau und Kindern zugezogen und hatte den Zwölfjährigen im selben Jahr verloren. In der Sterbematrikel (lateinisch matricula für öffentliches Verzeichnis) ist als Todesursache die Tollwut genannt. Der Pfarrer beschreibt, wie 15 Wochen nach den Bissen tollwütiger Hunden "bei dem jungen Jakob die klaren Momente immer weniger wurden, und er langsam dem Wahnsinn verfiel". So lässt es sich im Ortsfamilienbuch von Bettina Blaimer nachlesen. Jakobs Bruder Johannes Georg Köppl starb 1770 mit nur 38 Jahren - woran genau, geht aus den Papieren nicht hervor. Allerdings soll er der Ortskirche 1000 Gulden vermacht und somit den Neubau des Gotteshauses "entscheidend mitfinanziert" haben.

Die Bezeichnung von Todesursachen früherer Zeiten sind überhaupt ein Thema, mancher Begriff erscheint uns heute rätselhaft. Martin Eichermann etwa starb am 17. September 1878 an "Schleimschlag" - darunter ist wohl der Verschluss der Bronchien durch festen Schleim zu verstehen, vermutlich ein grausamer Tod. Am 10. Dezember 1829 segnete Lorenz Nißl nach einem "Schlagfluss" das Zeitliche, heute nennt sich das Hirnschlag oder Schlaganfall. Und Franziska Regnat starb am 10. April 1841 mit elf Jahren an "Kopffraisen" - Fraisen steht für Anfall, Epilepsie, Tobsucht oder Krampf. In den Sterbematrikeln taucht außerdem häufig "Abzehrung" als Todesursache auf, extreme Abmagerung, möglicherweise bedingt durch Tuberkulose oder Krebs.

Bettina Blaimer hat ihre Nachforschungen auf den Zeitraum von 1650 bis 1875 beschränkt - "davor ist kaum etwas vorhanden, weil im Dreißigjährigen Krieg viele Aufzeichnungen vernichtet worden sind. Mein ältester Beleg stammt aber von einem Sebastian Weiß aus dem Jahr 1640." Ab 1876 gebe es dann neben Kirchenbüchern auch Aufzeichnungen in den seither bestehenden Standesämtern, "aber da sind aus datenschutzrechtlichen Gründen oft bis heute Sperren drauf". Die Idee mit dem Buch - es gibt nur eine kleine Auflage von 50 Stück, ein Muster liegt im Lippertshofener Dorfladen - entstand aus dem Wunsch heraus, auch andere an ihrem Wissen teilhaben zu lassen. "Es ist schließlich ein Stück Ortsgeschichte."

Wer selber Ahnenforschung in der eigenen Familie betreiben möchte, kann zunächst bei Verwandten nach alten Fotos, Urkunden und Sterbebildern fragen. Bettina Blaimer rät weiter, neben dem Internet ("da gibt es inzwischen viele Möglichkeiten") vor allem die Kirchenbücher zu nutzen, wie sie es tut. "Nehmen Sie ganz einfach die Heiratsmatrikel der Großeltern. Dort sind wiederum deren Eltern samt Herkunft genannt, sodass man sich immer weiter zurück in die Vergangenheit hangeln kann." Manchmal, so erzählt sie, gebe es "tote Punkte, wenn der Pfarrer geschlampt und Daten nur teilweise oder unleserlich festgehalten hat".

Spaß scheint das Ganze offenbar zu machen, und so hat die 41-Jährige schon neue Pläne. "Als nächstes Projekt möchte ich die Häuser in Lippertshofen und ihre Historie erfassen." So akribisch wie sie arbeitet, wird auch das sicher ein großes Werk.

Horst Richter