Das Leben danach

27.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:42 Uhr
Im Skiurlaub in Österreich infizierte sich Uwe Baumer wahrscheinlich mit dem Coronavirus. Zu Hause steckte er seine Frau Gaby an. −Foto: Baumer

Gaby und Uwe Baumer infizierten sich im März mit Covid-19 und gehörten zu den ersten Erkrankten im Kreis Neumarkt. Acht Monate sind seitdem vergangen, längst sind die beiden wieder im Alltag angekommen. Und doch hat sie die Krankheit verändert und Spuren hinterlassen. Welche das sind, darüber berichtet das Ehepaar in unserer Zeitung.

 

Neumarkt - Es ist Mitte März. Uwe Baumer liegt mit fast 40 Grad Fieber auf der Couch und dämmert vor sich hin. Er ist kraftlos, niedergeschlagen und schwach. Er schmeckt und riecht nichts mehr, hat weder Hunger noch Durst. Selbst leichte körperliche Anstrengungen rauben ihm die Luft. "Ich habe mir richtig große Sorgen um ihn gemacht", sagt Gaby Baumer rückblickend.

Den Tag, den die Neumarkterin auch mehrere Monate danach noch so deutlich vor Augen hat, bezeichnet sie als den Moment, in dem sich das "Coronavirus ein letztes Mal versuchte, aufzubäumen". Doch zwecklos. Uwe Baumers Körper gewinnt den Kampf gegen die Krankheit. Nach und nach kommt er wieder auf die Beine. Auch Gaby Baumer erholt sich, sogar schneller als ihr Mann. Ihr setzt das Virus nicht so stark zu wie ihrem Partner, sie leidet nur unter leichten Symptomen, die einem grippalen Infekt ähneln.

Acht Monate sind seitdem vergangen. Acht Monate, seitdem sich Uwe Baumer bei einem Skiurlaub in Ischgl mit Covid-19 infizierte und zu Hause seine Ehefrau ansteckte (wir berichteten). Das vermutet das Ehepaar - absolute Gewissheit darüber, wo sich der 51-Jährige das Virus holte, werden die Neumarkter nie haben. Das spielt aber auch keine Rolle mehr. Die beiden haben aufgehört, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wichtig ist für sie, wieder gesund zu sein. "Wir hatten Glück. Es hätte auch anders laufen können", wendet Uwe Baumer ein. Er denkt dabei an die vielen Corona-Infizierten, bei denen die Erkrankung einen tückischen Verlauf nimmt, einen, der das Befinden der Patienten auch noch lange nach ihrer Genesung beeinträchtigt.

 

Nicht so bei den Baumers. "Uns geht es gut", sagen die beiden. Mit Spätfolgen hat das Ehepaar bis jetzt nicht zu kämpfen, auch wenn Gaby Baumers Geruchssinn noch nicht vollständig zurückgekommen ist und Uwe Baumer unter Haarausfall leidet - beides Folgen ihrer Corona-Infektion. Gleichzeitig sind sie sich aber bewusst, dass Langzeitschäden auch noch kommen können. Diesen Gedanken schieben sie aber beiseite: "Wir sind erst einmal froh, die Erkrankung relativ glimpflich überstanden zu haben", betont Gaby Baumer.

Sie und ihr Mann gehören damit zu den mehr als 690000 Deutschen, die in der Statistik des Robert-Koch-Instituts als Covid-19-Genesene auftauchen. Ob und wie lange Menschen nach einer Corona-Infektion immun gegen den Erreger sind, ist eine Frage, die die Wissenschaft derzeit noch nicht eindeutig beantworten kann. Sicher ist, dass sich in Uwe Baumers Blut noch eine große Anzahl an Antikörpern befindet und somit eine erneute Ansteckung mit dem Coronavirus momentan unwahrscheinlich ist. Er weiß das, weil er erst am Mittwoch in der Regensburger Uniklinik war, um sein Blutplasma zu spenden. Dieses wird Akut-Patienten verabreicht, um ihr Abwehrsystem beim Kampf gegen das Virus zu unterstützen. Gaby Baumer hat seit ihrer Erkrankung nicht testen lassen, ob sich in ihrem Blut noch Antikörper befinden. "Im Kopf fühlt es sich trotzdem so an, als wäre ich geschützt", sagt sie. Sehen sich die Baumers also als unverwundbare Superhelden, die der Coronapandemie angstfrei den Rücken kehren können? Jein. Natürlich gehen die beiden etwas entspannter durch die Corona-Welt. Und dennoch halten sie sich an die geltenden AHA-Regeln und an die Lockdown-Bestimmungen, zum einen, weil sie Vorbild sein möchten. Zum anderen, weil ihnen keiner ihre Immunität ansieht. Und am Ende bleibt dennoch ein bisschen Ungewissheit: "Wir hoffen natürlich, dass wir für immer immun sind, aber sicher ist das nach derzeitigem Stand der Wissenschaft nicht", gibt Gaby Baumer zu bedenken. Fraglich ist auch, was passiert, wenn das Virus mutiert. Ist ihr Immunsystem dann immer noch gewappnet gegen die neue Form der Erreger? Niemand weiß es.

Auch wenn die Baumers wieder gesund sind und gravierende Langzeitfolgen zum Glück bisher ausblieben, hat sie Corona verändert - ihre Einstellung zum Leben generell, ihre Sicht darüber, was wichtig ist, ihr Bewusstsein dafür, wie kostbar Freiheit ist. "Einem wird jetzt erst klar, wie wenig man sie eigentlich zu schätzen wusste", bedauert Uwe Baumer.

 

Auch das Miteinander sehen die beiden auf einmal mit anderen Augen. Grundsätzliche soziale Normen sind wegen der Pandemie abgeschafft - Hände schütteln, Bussi rechts Bussi links, eine dicke Umarmung zur Begrüßung oder auch nur ein Lächeln, das die Verkäuferin in der Bäckerei erwidert. Stattdessen sind Distanz und Abstand die zentralen Vokabeln. Gaby Baumer macht sich deshalb Sorgen, vor allem um die Kinder. Sie sind ihrer Ansicht nach die Verlierer der Coronakrise, die oft zurückstecken müssen. Für sie ist es zum Beispiel nicht nachzuvollziehen, wieso die deutsche Fußballnationalmannschaft durch halb Europa fliege, während sich die Kinder nicht einmal gemeinsam auf dem Bolzplatz zum Kicken verabreden dürften. "Die Bedürfnisse der Kinder werden oft einfach beiseitegeschoben", meint Gaby Baumer. Sie habe die Sorge, dass mit der Pandemie eine Generation heranwächst, die aufgrund des Social Distancing Angst vor all dem hat, was das Leben ausmacht - Begegnungen, Nähe, Berührungen, Zuneigung.

Auch das Neumarkter Ehepaar leidet unter dem Stillstand des sozialen Lebens. Wie gerne würde Gaby Baumer mal wieder bei einem ihrer wöchentlichen Mädlsstammtische ihre Freundinnen treffen oder ihre Bekannten zu einem gemeinsamen Abendessen einladen - Momente, die noch vor Corona einfach an ihr vorbeizogen und über deren Wert sie sich erst jetzt während der Pandemie vollends bewusst ist. "Momentan ist jeder Tag gleich und monoton", klagt Gaby Baumer. Besondere Anlässe, auf die das Paar vor Corona noch voller Freude hinfieberte wie ein Volksfest oder eine Reise - all das falle jetzt weg. "Man hat nichts mehr, worauf man sich freuen kann. Es ist ziemlich deprimierend", bestätigt ihr Mann. Dazu komme die Unplanbarkeit und Unsicherheit - die beiden Koordinaten, nach denen sich nun fast alles ausrichtet. "Man weiß nicht, wie es weitergeht, auch nicht nach Weihnachten", gibt Uwe Baumer zu bedenken.

Und trotzdem bleibt das Ehepaar zuversichtlich. "Irgendwann kommen auch wieder andere Tage", hofft der Neumarkter. Die Tage nach der Pandemie, nach dem Ausnahmezustand, nach dem Lockdown, nach dem Maskentragen, nach dem Abstandhalten. Die Tage der Normalität, des Ausgelassenseins, des Feierns, der Zuversicht. Die Tage der unbändigen Freude.

DK

 

Xenia Schmeizl