Geisenfeld
"Das Fass wagt keiner aufzumachen"

14.07.2011 | Stand 03.12.2020, 2:37 Uhr

Bayerischer Grieche: Im Biergarten fühlt sich Michael Haniotes genauso wohl wie in einem Athener Café.

Geisenfeld (GZ) Es klingt unglaublich, was in den vergangenen Wochen in den Medien über die Zustände in Griechenland berichtet wurde.

Wird da hoffnungslos übertrieben oder gar die Unwahrheit verbreitet? „Leider nein“, sagt Michael Haniotes im GZ-Interview mit Maggie Zurek. Der 51-Jährige Wahl-Geisenfelder hat als diplomierter Elektrotechniker ein Studium im Industriemarketing absolviert. Obwohl der dreifache Vater seit 24 Jahren in Deutschland lebt und beruflich weltweit für einen großen Elektronik-Konzern unterwegs ist, ist „die Hälfte meines Herzen natürlich immer noch in der alten Heimat Griechenland“. Regelmäßig besucht er seine Familie und bekam hautnah mit, was in den vergangenen Jahren passierte.

Herr Haniotes, wie stellt sich Ihnen die aktuelle Situation in Griechenland dar?

Michael Haniotes: Es herrscht eine Atmosphäre der Angst. Die Menschen fürchten sich nicht nur vor Teuerungen, sondern um ihre nackte Existenz. In meiner Heimatstadt Athen haben bereits ein Drittel aller Geschäfte dicht gemacht. Manche Rentner wissen heute schon nicht mehr, wie sie ihr Essen für morgen bezahlen sollen. Aus diesen Schichten rekrutiert sich auch der friedliche Protest. Gewalt üben meist die Autonomen aus, die in Griechenland wie anderswo jede Gelegenheit nutzen, ihre Aggression loszuwerden.

Wo liegt die größte Gefahr?

Haniotes: Für besonders gefährlich halte ich die mit der Unzufriedenheit wachsende Fremdenfeindlichkeit, die nationalsozialistische Züge annimmt. Sie richtet sich vor allem gegen den stetig wachsenden Anteil an Ausländern aus dem Raum Asien und Afrika, die auf der Suche nach einem Einkommen nach Griechenland kommen.

Worin sehen sie die Ursachen für die bedauerliche Entwicklung?

Haniotes: Leider Gottes haben die Leute über ihre Verhältnisse gelebt. In ihrer Verblendung glaubten sie, das könne immer so weiter gehen. Umso größer ist nun die Überraschung. Keine Regierung hat sich ernsthaft Gedanken gemacht, wie sie unser Land auf gesunde Füße stellen könnte. Stattdessen haben sie nur ihre eigene Klientel gut versorgt, Beamtenposten geschaffen, um sich Wähler zu sichern. Ein riesiger öffentlicher Apparat ist so entstanden, in dem die meisten nichts zu tun haben oder völlig überbezahlt sind. Momentan kann kaum ein Politiker irgendwo auftreten ohne als Dieb und Verräter beschimpft oder mit Tomaten beworfen zu werden.

Stimmt es wirklich, dass ohne Schmiergeld in der Wiege der Demokratie inzwischen nichts mehr geht?

Haniotes: Wenn du kein „Fakelaki“ (Umschlag mit Geld, Anmerkung der Redaktion) überreichst, kommst du nicht weiter. Das gilt überall, aber besonders bei Ärzten. Wem seine Gesundheit lieb ist, der muss tief in die Tasche greifen. Das Problem ist dabei nicht eine fehlende Gesetzgebung gegen Korruption und Filz. Das Problem ist vielmehr, dass die vorhandenen Gesetze nicht eingehalten und Verstöße nicht geahndet werden.

Welche Rolle spielen die Reichen in der Krise?

Haniotes: Sie sind neben den Politikern der Schlüssel zu allem. Erfahrene Wirtschaftsexperten schätzen, dass auf Konten in der Schweiz womöglich mehrere Hundert Milliarden Euro an illegal erworbenen Geldern liegen, weitere 20 Milliarden aus Steuerhinterziehung. Würde es gelingen, diese Summen einzutreiben, gäbe es gar keine Krise. Aber das Fass wagt keiner aufzumachen.

Und was tun die Ärmeren?

Haniotes: Wer kann, flüchtet sich aufs Land und setzt dort auf eine berufliche Zukunft in Agrarwirtschaft, Tourismus oder Dienstleistung. Viele Kollegen mit einer universitären Ausbildung bewerben sich ins Ausland.

Gibt es eine Lösung?

Haniotes: Leicht wird es nicht. Die Lösung heißt in keinem Fall neue Kredite. Ich appelliere an die EU: Macht Schluss mit den Geldgeschenken! Statt immer nur Lücken zu stopfen, sollte mehr in zukunftsorientierte Projekte investiert werden. Man muss Investoren ins Land holen – Ansiedlungsmöglichkeiten gibt es genug. Ein erster Schritt könnte dabei die Ausnutzung von Sonne und Wind sein. Im Markt der regenerativen Energien steckt eine ungeheure Chance. Gleiches gilt für den Hafen von Piräus, dessen strategische Bedeutung die Chinesen voll erkannt haben. Hier könnten unsere Logistikexperten eine Menge an Wirtschaftskraft bündeln.

Wir haben viel von den Problemen gehört, zum Abschluss jetzt aber bitte einige versöhnliche Worte: Was schätzen sie an ihrer alten Heimat denn auch in der heutigen Zeit noch am allermeisten?

Haniotes: Weil ich in Griechenland ein Daheim und in Deutschland ein Zuhause habe, sehe ich die schönen Seiten beider Länder und ihrer Menschen. Das südländische Temperament und die Lebensfreude sind natürlich ein Plus, das ich gerade im Urlaub sehr genießen kann. Und natürlich bietet Griechenland jede Menge Kultur und herrliche Landschaft. Was aber auch für Deutschland gilt. Im Umgang miteinander schätze ich hier besonders die Ehrlichkeit, dieses Grundvertrauen ineinander und die Offenheit auch Fremden gegenüber.