Ingolstadt
"Da stehen Sie im Bett"

Leben in unmittelbarer Nähe eines Industriebetriebes: Ein Anwohner der Anzengruberstraße rebelliert

21.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:23 Uhr

Von seinem Schlafzimmerfenster aus konnte Achim Schrefel dem be- und entladen der Lkw früher zuschauen. Mittlerweile wurde der Bereich mit einer Wellblechwand eingehaust. Das bringt zwar Sichtschutz, aber wenig für den Lärm - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Einen Wecker brauchen Gisela und Achim Schrefel nicht. Kurz nach 6 Uhr ist an Schlaf eh nicht mehr zu denken, sagen sie. Das Ehepaar wohnt in der Anzengruberstraße im Nordosten. Von ihrem Schlafzimmer aus sehen sie direkt aufs Werksgelände der Firma Rieter, wo ankommende Lkw entladen werden.

Im Jahr 2000 wurde von dem Unternehmen unmittelbar angrenzend an die Anzengruberstraße eine Anlieferzone für Lkw gebaut. Nur eine alte, zum Teil rissige Mauer und ein schmaler, ungepflegter Grünstreifen trennen das Werksgelände von Straße und Wohnhäusern. Die Lastwagen fahren auf dem Rieter-Werksgelände parallel zur Anzengruberstraße und werden in einer offenen Halle ent- und beladen. An Wochentagen von 6 Uhr morgens bis gegen 17 Uhr.

„Das ist ein Scheppern und Schlagen, da stehen Sie im Bett“, sagt Gisela Schrefel. Im Hochsommer bei geöffnetem Fenster schlafen? „Wir sind schon ins Wohnzimmer umgezogen und haben auf dem Sofa übernachtet“, erzählt die 55-Jährige. Das Ehepaar habe schon daran gedacht, ihr Haus zu verkaufen. „Aber wer würde das schon nehmen, bei dem Lärm“, sagen die beiden. Außerdem hängen die Schrefels an dem 1938 erbauten Häuschen, in dem sie seit 1983 leben, und das sie mit Liebe hergerichtet haben.

Dass der Ausblick aufs Werksgelände des Textilmaschinenherstellers in nicht mal 20 Meter Entfernung nicht der Schönste ist, ist nicht das Problem. „Rieter war schließlich vor uns da“, sagt Achim Schrefel. Früher habe es nie Probleme gegeben. Doch in den vergangenen Jahren hätten die Lkw-Anlieferungen drastisch zugenommen. „Täglich werden bis zu 50 Laster be- und entladen“, hat der Nachbar beobachtet. Der 60-Jährige hat sich morgens um 6 Uhr mit der Videokamera an sein Schlafzimmerfenster gestellt und das Geschehen (mit Ton) gefilmt. Das Video hat er ans städtische Umweltamt und an die Firma Rieter geschickt. Bei beiden Stellen hat er sich mehrfach beschwert. Einen wirklichen Erfolg brachte das bislang nicht.

Bei einem Gesprächstermin, der auf Vermittlung des Umweltamtes zustande gekommen war, habe die Firma Rieter eine Lärmschutzwand zugesagt. Doch die etwa 25 Meter lange Wand aus ungedämmten Wellblech, die daraufhin errichtet wurde, bewirkt nach dem Empfinden der Nachbarn eher das Gegenteil. „Es ist durch den Hall noch lauter geworden.“ Schrefel hat Unterschriften in der Nachbarschaft gesammelt und sie mitsamt eines neuerlichen Beschwerdeschreibens an Oberbürgermeister Christian Lösel geschickt. Zwölf Nachbarn haben unterzeichnet. Es ist der zweite Brief an den OB. „Es ist langsam deprimierend für uns Anwohner, wenn jegliche Hilfe von der Stadt ausbleibt. Von Bürgernähe kann man in Ingolstadt bedauerlicherweise nicht mehr sprechen“, wendet sich Schrefel schriftlich an den DK.

„Wir können nicht mehr verlangen, als das, was gesetzlich vorgeschrieben ist“, sagte der städtische Pressesprecher Gerd Treffer auf Anfrage unserer Zeitung. Das Unternehmen habe den Anlieferungsbereich im vergangenen Jahr auf freiwilliger Basis eingehaust. In seinem Antwortschreiben an den Beschwerdeführer verwies OB Lösel auf drei bereits im November 2013 anberaumte Termine für Lärmmessungen. Diese seien wegen fehlender Ladetätigkeit wieder abgebrochen worden. Über die aktuellen Lärmbeschwerden sei das Unternehmen in Kenntnis gesetzt worden. Weitergehende Forderungen auf freiwilliger Basis überschritten die Mittlerrolle des Umweltamtes. Es könne jedoch „gerne ein neuerlicher Versuch einer Lärmmessung unternommen werden“.

Dies würde auch Falk Matthes, einer der beiden Geschäftsführer von Rieter, begrüßen. Das Unternehmen will Kontakt mit dem Umweltamt aufnehmen. „Vielleicht gibt es ja Lösungen, die wirtschaftlich vertretbar sind und das Ganze mildern.“ Eine Verlegung der Lkw-Anfahrt kommt für die Firma nicht infrage. Dass auf Anwohner in direkter Nachbarschaft zu einem Industrieunternehmen einiges zukommt, „kann ich nachvollziehen“, sagt Matthes. Doch das Industriegebiet gebe es seit 1883 – und die Textilmaschinen seit 1925. „Wir sind ein Industriebetrieb und müssen hier produzieren.“