"Da hat die Justiz versagt"

Nötigung, Beleidigung, Körperverletzung: Richter Hader verurteilt 20-Jährige zu acht Monaten Jugendstrafe

06.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:51 Uhr

Schwabach (HK) Als Richter Reinhard Hader das Urteil verkündet, bricht die zierliche 20-jährige Angeklagte aus dem südlichen Landkreis Roth in Tränen aus und schüttelt ungläubig den Kopf.

Zitternd sitzt sie auf ihrem Stuhl und sucht um Fassung ringend den Blickkontakt zu Vertrauten im Publikum. Acht Monate Jugendstrafe, ein Jahr Führerscheinentzug, eine Woche Dauerarrest und 1000 Euro Geldauflage entscheidet das Jugendschöffengericht Schwabach am Dienstag. Außerdem muss die Angeklagte ihre Therapie bis Ende 2018 fortsetzen.

 

Das ist weit mehr als Staatsanwalt Sebastian Pelkhofer fordert. Er hätte es bei drei Wochen Arrest und zwei Monaten Führerscheinentzug belassen. Die Jugendstrafe wird allerdings zur Bewährung ausgesetzt. Lässt die junge Frau sich drei Jahre lang nichts zuschulden kommen, muss sie die Haftstrafe nicht antreten.

"Ich weiß, dass es nach meinenVorstrafen anders aussieht."

Angeklagte

 

 

Richter Hader sieht es als erwiesen an, dass die Angeklagte am Vormittag des 6. Juni 2017 auf der Staatsstraße zwischen Hilpoltstein und Allersberg mit ihrem Kleinwagen eine junge Familie aus Allersberg und dessen einjähriges Kind grundlos so verfolgt und bedrängt hat, dass sie "psychisch und charakterlich" nicht in der Lage ist, Auto zu fahren. "Eine unsägliche Situation", sagt Hader.

Das betroffene Ehepaar schildert die damalige Situation vor Gericht noch einmal eindrücklich. Er habe schon kurz hinter der Brücke über den Main-Donau-Kanal von hinten ein Auto heranrauschen sehen. "Ich habe gleich die Lichthupe gekriegt", erzählt er. Er habe aber nicht schneller fahren können, weil vor ihm ein Lastwagen unterwegs war. Außerdem sei die Strecke durch den Wald so kurvig, dass man nicht überholen könne. Der Kleinwagen hinter ihm habe es dennoch mehrmals versucht. Die Angeklagte sei dabei so dicht aufgefahren, dass man im Rückspiegel das Nummernschild nicht mehr habe erkennen können. Dabei habe sie wild gestikuliert und den "Stinkefinger" gezeigt. Er habe seiner Frau dann gesagt, sie solle ihr Handy hochhalten, um die Raserin auf Abstand zu halten.

Kurz vor der Abzweigung nach Kronmühle habe die junge Frau hinter ihm dann Signale zum Anhalten gegeben. An der Bushaltestelle habe er angehalten. "Dann ist alles sehr schnell gegangen", erzählt er. "Sie war sehr erbost." Mit einer unablässigen Schimpftirade sei sie sofort auf ihn, dann auf seine Frau losgestürmt und habe das Handy haben wollen. Als seine Frau, die auf dem Rücksitz bei ihrem kleinen Kind saß, aussteigen wollte, habe er gesehen, wie die Angeklagte ausgeholt habe. "Dann habe ich einen dumpfen Schlag gehört." Den Zustand der Angeklagten beschreibt er als "Raserei-Modus". Seine Frau, die als "Schlampe" und "Bitch" beschimpft wurde, sagt aus: "Als ich aussteigen wollte, habe ich einen Schlag auf den Kopf bekommen." Der Tobsuchtsanfall habe erst aufgehört, als sie der jungen Frau eröffnet habe: "Mir reicht es jetzt, du bekommst eine Anzeige." Da habe die 20-Jährige plötzlich "den Schalter umgelegt", und sich entschuldigt. Sie sei ins Auto gestiegen und davongefahren.

Die Angeklagte räumt zwar die Beleidigungen und die Eskalation ein, bringt aber vor, sie sei mit der Situation "komplett überfordert" gewesen. Sie habe überholen wollen und das Auto vor ihr habe ihr mit Absicht den Platz dazu genommen - so habe sie es jedenfalls damals empfunden. Als die Frau auf dem Rücksitz das Handy gezückt habe, sei sie "ausgerastet". An der Bushaltestelle bei Kronmühle habe die Frau ihr das Handy vor die Nase gehalten. "Ich wollte ihr das Handy entreißen und habe ins Auto gegriffen", behauptet die Angeklagte. Sie habe nicht zugeschlagen. Es tue ihr unendlich leid. "Aber ich weiß, dass es nach meinen Vorstrafen anders aussieht", sagt die 20-Jährige unter Tränen.

"Ein Horror fürjeden Autofahrer."

Richter Hader

 

Insgesamt acht Einträge weist das Erziehungsregister auf, unter anderem wegen Diebstahls, Beleidigung und gefährlicher Körperverletzung. Seit 2011 stand die Angeklagte regelmäßig vor Gericht. Im Januar 2016 in Erlangen, weil sie zwei Mädchen als "Schlampen" und "Huren" beschimpft, sie bespuckt, gestoßen und geschlagen hat. Im Mai 2017 war sie wegen Diebstahls verurteilt worden. Das war drei Wochen vor dem Zwischenfall bei Kronmühle.

Als "psychisch wenig stabil" beschreibt Michael Behringer von der Jugendgerichtshilfe Roth die Angeklagte. Er sehe "deutlichen Bedarf auf eine weitere Konsolidierung". Eine Psychologin, bei der die Angeklagte - auf richterliche Anordnung - in Behandlung ist, beschreibt die junge Frau als "selbstreflektiert" und mit "hoher Selbsteinsicht". Sie leide unter Depressionen und Anpassungsstörungen, große Belastungen im Leben könne sie nicht angemessen bewältigen. In Stresssituationen zeige sie auch hektische und aggressive "Alarmreaktionen".

Die Angeklagte selbst entschuldigt sich in ihrem Schlusswort noch einmal tränenreich: "Ich hatte wirklich eine ganz schwere Zeit. Ich habe endlich meinen Weg gefunden. Es tut mir so leid. Es kommt nicht mehr vor."

Richter Hader ist davon unbeeindruckt. "Wachsweich und Mitleid heischend", nennt er das "Teilgeständnis" der Angeklagten. Die Situation damals sei "ein Horror für jeden Autofahrer - eine Verrückte, die von hinten angeschossen kommt. Eine Jugendstrafe ist daher unter allen Umständen erforderlich", betont der Richter. Eine Mitschuld gibt Hader seinen Kollegen. Wenn es beim achten Verfahren immer noch bei richterlichen Weisungen, Wochenendarresten und Arbeitsauflagen bleibe, "dann hat die Justiz für mich versagt".