Ingolstadt
"Da bricht die Welt in Stücke"

Demenzkranke in Akutkliniken – Modellstudie der Alzheimer-Gesellschaft zeigt: Die Mitarbeiter sind nicht vorbereitet

03.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:51 Uhr

Unterstützung für Menschen mit Demenz: Seit 2010 nimmt das Klinikum an einem Projekt der Alzheimer-Gesellschaft teil. Arch - foto: Herbert

Ingolstadt (DK) Der alte Mann soll verwirrt gewesen sein. Vielleicht litt er an Alzheimer. Gegen 22 Uhr soll er, die Entlassungspapiere in der Hand, vor dem Ingolstädter Klinikum gestanden und nicht gewusst haben, wie er nach Hause kommt. Ein 15-Jähriger „mit einem sehr großen Herzen“ habe geholfen, schreibt uns eine junge Frau über ein soziales Netzwerk. Der Jugendliche soll sich mit dem 80-Jährigen unterhalten und ihn in den Bus gesetzt haben.

Ein Negativbeispiel für den Umgang eines Krankenhauses mit einem demenzkranken Patienten? Wohl eher nicht. Denn oft würden Patienten auf eigenen Wunsch entlassen – auch gegen den Rat der Ärzte, wie Florian Demetz, Leiter der Notfallklinik am Klinikum, auf Anfrage betont. „Wir dürfen niemanden gegen seinen Willen festhalten“, beschreibt der Notfallmediziner die gesetzliche Lage. Nur mit richterlichem Beschluss müsse ein Patient in der Klinik bleiben. Ob sich der Fall wie geschildert zugetragen hat, lasse sich ohne konkrete Daten nicht klären. Demetz hält es für „extrem unwahrscheinlich“, dass ein dementer Mensch spätabends aus dem Krankenhaus entlassen werde.

Allerdings: Die Zahl derer, die mit der Nebendiagnose Demenz in ein Akutkrankenhaus müssen, wird immer größer. Konkrete Zahlen gibt es laut Winfried Teschauer, Wissenschaftlicher Leiter der Ingenium-Stiftung, einer Ingolstädter Stiftung für Menschen mit Demenzerkrankungen, kaum. Experten gehen davon aus, dass elf Prozent aller Krankenhaus-Patienten von einer Demenzerkrankung betroffen sind. Bei 19 Millionen Behandlungsfällen im Jahr 2012 in Deutschland wären dies etwa 2,1 Millionen.

Demenzkranke im Krankenhaus: ungewohnte Umgebung, fremde Menschen, dazu der Schreck, ins Krankenhaus zu müssen – für den Patienten, dessen Demenzerkrankung vielleicht in der gewohnten, Umgebung noch nicht so ausgeprägt war, „bricht die Welt in Stücke“, beschreibt Teschauer die Situation. „Die Menschen benötigen Zuwendung, Zeit und Verständnis.“ Und gerade davon gibt es in Krankenhäusern viel zu wenig.

Teschauer, promovierter Neurobiologe, Biochemiker und Gerontologe aus Ingolstadt, koordiniert seit 2010 ein Modellprojekt der bayerischen Alzheimer-Gesellschaft, das sich mit der Versorgung von Menschen mit Demenz im Akutkrankenhaus befasst. Auch das Ingolstädter Klinikum nimmt daran teil. Die dritte und letzte Phase ist gerade angelaufen. Das Projekt hat laut Teschauer „eindeutig ergeben, dass die Mitarbeiter in Krankenhäusern auf den Umgang mit Menschen mit Demenz nicht vorbereitet sind“. In der ersten Phase hätten 71 Prozent der Klinikmitarbeiter angegeben, sie hätten diesbezüglich keine Vorkenntnisse.

„Zwei Drittel plus X der Beschäftigten in Krankenhäusern haben noch nie eine Fortbildung zu dem Thema gemacht“, verdeutlicht Teschauer den Ernst der Lage. Was bei der Ausbildung von Altenpflegern seit Jahren gang und gäbe ist, sei in der Ausbildung des Pflegepersonals in Krankenhäusern bis vor Kurzem noch nicht einmal vorgekommen. Erst in den vergangenen Jahren habe das Thema Demenz Einzug in die Ausbildungsgänge gefunden.

Dennoch – auch das zeigt die Studie – werde das Krankenhauspersonal nahezu täglich mit so genanntem „herausforderndem Verhalten“ Demenzkranker konfrontiert: Aggressivität, ständiges Klingeln, Weglaufen. Für die Patienten ist es ein Hilfeschrei. Für die Mitarbeiter in Krankenhäusern ein riesiges Problem.

In der ersten Projektphase wurden die Mitarbeiter im Umgang mit Demenzkranken geschult. Am Klinikum haben die Notfallklinik und eine Abteilung der Inneren Medizin daran teilgenommen. Die Erfahrungen sind positiv, betont stellvertretender Pflegedirektor Franz Damböck. „Es geht darum, wie adäquat sich die Mitarbeiter der Situation stellen.“ Die Zahl der Demenzerkrankten wird weiter steigen. Damböck sieht darin „eine extreme Herausforderung für die Gesellschaft“.