Bittersüße Wortkunst

24.04.2008 | Stand 03.12.2020, 5:58 Uhr

Zeugen des letzten wachen Streits zwischen Anna und Kaspar: Laszlo (Christoph Hemrich), Raika (Silvia Seidel) und Gustav (Mike Hughes).

Neuburg (DK) Einen überzeugenden Auftritt feierte der ehemalige TV-Jugendstar Silvia Seidel ("Anna") am Neuburger Stadttheater in dem Stück "Wege mit Dir".

Kaspar (Werner Haindl) ist Dialektiker par excellence und dreht seiner Frau das Wort im Mund herum, was sie hasst, nein liebt, nein, ach . . . Anna (Irene Clarin), Blumen in eine (Grab)schale einpflanzend, blickt zurück auf eine mittelspäte Liebe und eine allzu kurze Ehe, die eigentlich schon zu Ende war, ehe sie begann. "Definiere "Ende"" lässt sie den Kaspar ihrer Erinnerung fordern, um sich gleich drauf heftigst mit ihm zu streiten.

Intensive Wortgefechte waren Kennzeichen ihrer Beziehung, die das a.gon Theater aus München in "Wege mit dir" lebendig werden lässt. Eingelassen hat Anna sich mit ihm, weil er sie aufregte; er sich mit ihr, weil er sich auf einer Party langweilte. Abgeklärt alle beide nach etwa 20-jähriger erster Ehe, finden sie sich zu einer in Wortwitz erblühenden, sprühenden Leidenschaft, an der die Zuschauer im Stadttheater Neuburg in Stefan Zimmermanns ergreifender Inszenierung regen Anteil erhalten.

Witzige, rhetorisch brillante Dialoge und ein amüsanter Schlagabtausch, der seinesgleichen sucht, kennzeichnen den ersten Teil des Dreiakters. Autor Daniel Call beweist ungeheures Gespür für menschliche Schwächen und Stärken, so dass kaum zu entscheiden ist, was Charakterstärke, was -schwäche ist.

Auf den ersten Blick dominiert Kaspar die Beziehung, am Ende hält Anna sie aufrecht, als ihr Mann längst schon im Dunkel der Alzheimerkrankheit verschwunden ist. Tragik und Komik gleichzeitig zu vermitteln ohne je ins Klischeehafte abzudriften, das ist kein Problem bei diesem prägnant geschriebenen und hochkarätig besetzten Stück.

Der Mutter-Tochter-Konflikt spiegelt sich im ebenso problematischen Vater-Sohn-Verhältnis. Ob "Seniorensex" aus Sicht von Annas Tochter Raika (von der aufmüpfigen Teenagerin zur viel beschäftigten alleinerziehenden Mutter und besorgten Tochter ausgesprochen variantenreich: Silvia Seidel), ob beruflich und beziehungsmäßig versagender Sohn oder psychologische Tiefen im Verhältnis von Pflegender und Pflegebedürftigem – Call nimmt sich auf unvergleichlich tiefschürfende Weise beklemmender Themen seiner Zeit an. Er haucht Schlagworten Leben ein, indem er in intelligenten Mono- und Dialogen in die Tiefe der Seele schauen lässt und dabei viel Widersprüchliches, aber auch große Stärke entdeckt.

Großartig das Schauspielerensemble, allen voran Clarin und Haindl. Sie brilliert mit ungeheurer Intensität, lässt mitleiden und tiefe Gefühle miterleben. Er beweist Bühnenpräsenz nicht nur aufgrund der dominanten Rolle des wort-brillanten "Partyverderbers", sondern fast noch ergreifender als um seine geistige Gesundheit Kämpfender. Ein Kampf gegen eine schreckliche Krankheit, den er nicht gewinnen kann.

Christoph Hemrich verkörpert Annas Seelenfreund Laszlo, "was nichts anderes heißt, dass er mir seit Jahren an die Wäsche will, ich ihn aber nicht lasse", wie Anna klarstellt. Für den erkrankten Michael Boettge eingesprungen, lässt Hemrich es schauspielerisch an nichts mangeln, wäre aber als Annas jugendlicher Liebhaber durchaus besser durchgegangen als als Annas (älterer!) Jugendfreund. Mike Hughes (Kaspars ungeratener Sohn Gustav) hat die undankbare kleinste Rolle im professionellen Quintett zu spielen, sorgt aber für etliche entspannende Lacher im melancholischen, teils erschütternden zweiten Teil.

Bühnenbild? Nahezu Fehlanzeige. Kahle Wände, spärliche Requisiten – hier lenkt nichts ab vom gesprochenen Wort. Eine rundum gelungene Aufführung, die anhaltend beklatscht wird, nachdem sich das Publikum aus faszinierter Erstarrung gelöst hat.