Bildverliebte Poesie

24.01.2014 | Stand 02.12.2020, 23:10 Uhr

Im derbschrägen Haushalt von Metzger Beynons in der Krönungsstraße (von links: Lisa Wagner, Lena Dörrie, Gerd Lohmeyer – als Kater liegend – und Markus Fennert). - Foto: Lobinger

München (DK) „Ein Dichter hebt heimlich das Dach von den Häusern“, schrieb der große Theaterkritiker Friedrich Luft und erlebte dabei „eine große Ohrenlust“. Das war 1956, als das Hörspiel, welches jetzt das Münchner Metropoltheater wieder ausgegraben hat, erstmals auf Deutsch aufgeführt wurde. „Unter dem Milchwald“ heißt es und stammt von dem walisischen Dichter Dylan Thomas (1914–1953). Episodenhaft trifft man darin die Menschen der kleinen Stadt Llareggub, was sich rückwärts liest als „Bugger, all“. Das kann man je nach Temperament dann ganz frei übersetzen: „Alles Arschficker“ oder „Alles verdammt wenig“.

Der erfundene Ort am „glatten, fischigen Meer“ hat sein Vorbild in der Kleinstadt Laugharne im westlichen Wales. Dort hatte Thomas mit seiner Familie ein trist anmutendes, dem Alkohol und der Todessehnsucht gleichermaßen unterworfenes Leben geführt, bevor er dann – mehr zufällig – auf einer Lesereise in den USA verstarb. Eine Lungenentzündung und der Alkoholismus hatten unheilvoll zusammengewirkt. Zu Lebzeiten schon war er als Dichter gefeiert, außerhalb des angelsächsischen Sprachraums sind seine Gedichtausgaben allerdings kaum bekannt. Eine Verfilmung des Hörspiels wurde in den 70er Jahren mit Liz Taylor und Richard Burton in Hauptrollen hochkarätig besetzt.

Als Theaterstück umgeformt befremdet der am Metropol-theater gewählte Hörspieltext erst einmal, obwohl die Regie von Ulrike Arnold klug den ganzen Illusionskitsch der Kleinstadt am Meer weglässt und die gesamte Personage auf nur fünf Schauspieler aufteilt. Eine handbetriebene Drehbühne (Julia Ströder), flotte Umzüge und passgenau eingesetzte Requisiten halten den klar konturierten Abend schön in Schwung. Aber so elegant und traumwandlerisch der komplexe szenische Ablauf sich auch abspult: Der Zuschauer saust manchmal von der sich schnell drehenden Platte herab und segelt davon. Eben fragt man sich noch: „Wie war das jetzt noch mal“ oder „wer ist jetzt wieder der“, und schon dreht sich die Bühne weiter, starke Zentrifugalkräfte wirken, alles festhalten!

Der Text ist in der viel gerühmten Nachdichtung von Erwin Fried eben ein so bildverliebtes, dichtes und vieldeutiges Stück Poesie, dass man ihn nicht kurz mal eben erfasst – und er ist ja auch als „play for voices“ konzipiert, die Szene lenkt also zusätzlich ab. Dennoch ist mehr als nur beachtlich, mit welcher Konsequenz die fünf Schauspieler am Metropoltheater ihr Himmelfahrtskommando übernehmen. Mit viel Mut zur Überzeichnung, durchaus auch mal den Text denunzierend schaufeln sie stupende Textmengen auf die Bühne und immer wieder entstehen Charaktere, die man heimlich ins Schächtelchen stecken und daheim noch mal in Ruhe ansehen möchte: Die reinliche Witwe Mrs. Ogmore-Pritchard (Thomas Meinhardt) mit ihrem unglücklichen Geistergatten (Markus Fennert und Gerd Lohmeyer), die wunderschöne Cherry Owen (Lena Dörrie) die dem Witz und den Lügen ihres ständig besoffenen Mannes nicht widerstehen gelernt hat oder Mr. Pugh, der sich in seiner schockgefrosteten Ehehölle per Fernstudium zum Giftmörder ausbildet, während die Gattin (Lisa Wagner) halb nackt um seine Aufmerksamkeit buhlend spitze Bemerkungen serviert.

Ein trotz einiger Längen sehr feiner Abend mit viel Stoff zum Nachdenken, der passend zum Jahresbeginn auch noch einen guten Vorsatz schenkt: Man sollte wirklich mal wieder Lyrik lesen.

 

Die nächsten Termine: 29. bis 31. Januar, 2., 5. bis 8. Februar.