Eichstätt
Bernhard Hollinger setzt auf Retro-Klänge

26.08.2018 | Stand 23.09.2023, 3:54 Uhr
E-Bass vor Bier: So ungewöhnlich war die Kulisse bei Berhard Hollingers kleinem Konzert in der Eichstätter Bar "Bliss". Normalerweise steht Hollinger auch mal auf den Bühnen von Jazzfestivals. −Foto: Poese

Eichstätt (EK) Bernhard Hollinger kennen viele in der Region. Der Wolkertshofener hat 2009 den Jazzförderpreis der Stadt Ingolstadt bekommen und lebt heute als professioneller Bassist in Amsterdam. Am Freitag stellte er in Eichstätt sein neues Projekt "Lo-Fi Playground" vor.

Was wird aus einem, der aus dem Landkreis Eichstätt nach Amsterdam geht, um Jazz-Bass zu studieren, auf dem Weg in eine professionelle Musiker-Karriere? Im Fall von Bernhard Hollinger nicht unbedingt das, was man erwarten würde. In einem Monat bringt er sein zweites Album heraus. "1987" heißt es, wie sein Geburtsjahr. Musikalisch wird es bewusst nicht das Werk sein, auf dem ein zur Perfektion gereifter Bassist alle Facetten seines Könnens zeigt. Hollinger ist gedanklich schon einen Schritt weiter. Er will Grenzen sprengen. Und hat eine neue Leidenschaft gefunden.

Wie sich die anhört, zeigte er seinem Publikum am Freitagabend in der kleinen Bierbar "Bliss" in der Eichstätter Innenstadt. Ein Heimspiel für Hollinger, der in Wolkertshofen aufgewachsen ist und einst die Realschule Rebdorf besuchte. Auch in Ingolstadt kennt man ihn, nicht nur wegen des Jazzförderpreises, sondern auch weil er sich dort einer Ausbildung und der BOS widmete. Inzwischen kommt er nur noch ab und zu nach Oberbayern. Nach einem Bachelor- und Masterabschluss am Konservatorium von Amsterdam ist die niederländische Hauptstadt sein Wohnort geblieben.

Und so spielt Hollinger, der sonst unter anderem auf den Bühnen von Jazzfestivals steht, beim Besuch in seiner alten Heimat in kleinem Rahmen, viele Bekannte sitzen im Publikum. Was bringt man zu einem solch seltenen Wiedersehen mit? Jede Menge Kabel, Effektgeräte, Synthesizer, einen Sampler, zwei Röhrenfernseher und einen E-Bass. Das, was aus all diesem Equipment herauskommt, ist Hollingers neue Leidenschaft: Lo-Fi.

Diese Abkürzung, die für Low Fidelity steht, meint Musik, die mit einfachem technischem Equipment erzeugt wird. Bei Hollinger ist das ein Drum-Computer, der kaum mehr als eine Platine ist, oder ein Synthesizer im Holzkasten, den ihm jemand in Berlin zusammengebastelt hat. Den Videosynthesizer, der die beiden Röhrenbildschirme bedient, hat er selbst gebaut, für den Laien sieht er aus wie ein Haufen bunter Kabel mit ein paar Drehknöpfen daran.

All das ist Lo-Fi, umgeben von einer Selbermach-Philosophie, gern ein bisschen kratzig und dreckig, absichtlich retro. Hollinger spricht lieber von "DIY - do it yourself" und von "edgy". Auch für sein Konzert muss man ein englisches Wort bemühen: "Performance" trifft es am besten. Während ein treibender Groove vor sich hin wummert und manchmal eiert wie eine Langspielplatte, die ihre besten Zeiten hinter sich hat, verkündet eine gesampelte Stimme "give it to me". Hollinger wechselt von den Musik-Drehknöpfen zu den Video-Drehknöpfen, mit denen er das Testbild auf seinen beiden Mini-Fernsehern verfremden kann. Es erscheint ein sich drehender, regenbogenfarbener Planet. Dahinter zappelnde graue Säulen vor grieseligem Grund. Bernhard Hollinger grinst zufrieden und nimmt einen Schluck Orangina, bevor er sich wieder den Samples widmet, die das Stück weiterentwickeln.

Der Bass spielt an diesem Abend nur eine Nebenrolle. Alles ist umgeben von einer Aura der 80er- und 90er-Jahre - wegen der Socken mit VHS-Kassetten darauf, die Hollinger trägt, wegen der Gameboy-Sounds, die sich in die Stücke mischen und weil die Knöpfe auf dem Sampler und einem kleinen Keyboard so schön blinken. "Lo-Fi Playground" hat Bernhard Hollinger sein Programm genannt, das manchmal noch experimentell ist. Und er tummelt sich offenbar gern auf seinem neuen Spielplatz, der elektronische Musik erzeugt.

Missverstehen sollte man den Titel nicht, Hollinger will nicht einfach nur spielen. Mit der "DIY-Schiene" sei er im Master-Studium in Berührung gekommen, erzählt er. Auch andere Musiker beschäftigen sich zur Zeit mit dem kratzigen Retro-Klangideal. Wie der auf Youtube aktive Bassist mit dem Künstlernamen "MonoNeon" (er kommt heuer auch zu den Ingolstädter Jazztagen) hat Hollinger seine Bassgitarre mit neonfarbenem Klebeband beklebt. Auch Thundercat und Mike Bendy haben ihn inspiriert bei der "unorthodoxen Herangehensweise", wie Hollinger es nennt. Dabei beeinflusste er den Klang seines E-Basses mit Magneten oder einem Schraubenzieher, experimentierte mit dem Motor eines Milchaufschäumers. Bald darauf kaufte er den ersten Synthesizer. Auch nach seinem Masterabschluss 2017 begleitet Bernhard Hollinger die Suche nach einer neuen Art, mit Instrumenten und Klängen umzugehen. "Diese ganze DIY-Bewegung feiert das Nicht-Perfekte", sagt er mit leuchtenden Augen. Jetzt sieht er Kunst als "non-control zone", als Bereich, in dem man eben nicht alles kontrollieren kann.

Dabei war Bernhard Hollinger eigentlich zunächst, während seines Studiums am Konservatorium, auf dem Pfad der Perfektion unterwegs. Und schlecht war das nicht, denn Amsterdam brachte ihm viel Inspiration. "Da waren Momente dabei, die mir ganz neue Welten eröffnet haben." Weiterdenken ließen ihn dann aber zwei Auslandsaufenthalte, 2012 in New Orleans und 2014 in Lateinamerika. Er wollte nicht einfach hinnehmen, dass seine Lehrer am Konservatorium ihm sagten, wie er spielen sollte. Er wollte verstehen. Zum Beispiel, dass der Jazz in New Orleans noch den Geist der ehemaligen Volksmusik hat. Elitär ist ihm dagegen plötzlich die europäische Jazzszene vorgekommen. Auch in Sao Paulo, mittendrin im brasilianischen Karneval, hat er gemerkt: Hier lebt die Musik noch. "Auf einmal habe ich begriffen, dass es gar nicht darauf ankommt, Jazz spielen zu wollen", sagt er rückblickend. Das Schubladendenken hat er abgelegt. Für ihn zählt jetzt: "Wenn es gut ist, ist es gut."

Er beschäftigt sich inzwischen mit einer Form der fortgeschrittenen Harmonik, wie sie auch der legendäre Saxofonist John Coltrane nutzte. Für sein Album hat er unter anderem eine dreiteilige Suite geschrieben, ursprünglich eine barocke Kompositionsform, und mit einem Streichquartett zusammengearbeitet. Sein erstes Album hatte er noch mit der Bernhard Hollinger Group aufgenommen - einer "Groove Band, die man als Bassist gerne mal haben möchte", sagt er. Auch die Zusammenarbeit mit der Amsterdamer Neutral Ground Brass Band gehört zu seinem Portfolio - dort spielt er Sousaphon, eine besonders gewundene Tuba. Bernhard Hollinger nur als E-Bassisten zu bezeichnen, wird ihm jedenfalls nicht gerecht.

Katrin Poese