Töging
"Bei uns geht alles sehr viel lockerer zu"

22.04.2010 | Stand 03.12.2020, 4:05 Uhr

Ein "Robin Hood" ist eine seltene und begehrte Trophäe bei den Jagdschützen. Dieser Kunstschuss, den eigenen Pfeil in den eines Konkurrenten zu setzen, gelang Pohl bei der DM 1996.? Fotos (2): Schlotfeldt

Töging (DK) Auf Scheiben zu schießen ist seine Sache ei-gentlich nicht. Denn Ulrich Pohl, der Vorsitzende der Bavarian Bowmen Töging, ist als Jagdschütze in der freien Natur zu Hause. Um seinen Deutschen Meistertitel zu verteidigen, aber hat der 57-Jährige freilich gerne eine Ausnahme gemacht.

In Wachtberg bei Bonn hat sich Ulrich Pohl am letzten März-Wochenende mit dem DM-Titel geschmückt, bei den Senioren stellte der im westfälischen Herne geborene Töginger dabei auch einen neuen Punkterekord in seiner Altersklasse auf. Doch diesem Erfolg misst der 57-Jährige nicht allzu viel Bedeutung bei, denn in der Klasse der Über-54-Jährigen war Pohl der einzige Starter. Darum musste er mit den abzugebenen 120 Schuss auf eine 18,30 Meter entfernte Scheibe ein Limit erreichen: 502 Zähler – die von ihm selbst aufgestellte Bestmarke aus dem Vorjahr schraubte der Töginger heuer auf 511 Punkte.

 
Weltmeisterin Carolin

Dass ihm die Titelverteidigung gelungen ist, macht den zweifachen Familienvater zwar "schon ein bisschen stolz", aber Pohl weist im Gespräch mit dem DONAUKURIER bescheiden darauf hin, dass er in der Familie Pohl mit drei DM-Titeln keineswegs der erfolgreichste Schütze ist: Gattin Annemarie (52) hat es bislang ebenso auf drei nationale Meistertitel gebracht, und der Nachwuchs hat schon weit mehr Meisterehren errungen. Sohn Benjamin (24) hat sich zwei Mal DM-Gold erkämpft, und Tochter Carolin (27) hat sich neben fünf DM-Titeln sogar mit zwei Europa- und einem Weltmeistertitel geschmückt. Eine Story über den jüngst gekürten Deutschen Meister Ulrich Pohl gehöre sich daher nicht, meint er: "Das sollte wenigstens eine Geschichte über die Bogensport-Familie Pohl aus Töging werden", so der 57-Jährige, oder noch besser "eine Story über unseren Verein, die Bavarian Bowmen Töging und die Faszination des Jagdschießens". Denn: "Die Mitglieder unseres Vereins haben insgesamt schon an die 150 nationale und internationale Meisterschaften gewonnen."

Das Bogenschießen auf Scheiben, mit dem die im Internationalen Dachverband FITA organisierten Kollegen auch um olympische Ehren kämpfen dürfen, ist der Familie Pohl zu statisch und zu langweilig. Die Entfernungen zu den Scheiben sind bei den FITA-Schützen festgelegt und das Treffen derselben daher für die Pohls keine echte Herausforderung. "Wir Jagdschützen sind in der freien Natur unterwegs. Über Stock und Stein, durch Wasser und Wälder immer der Sonne entgegen", schwärmt der bei Audi beschäftigte Industriemechaniker von der großen Leidenschaft seiner Familie: "Jagdschützen schießen bei jedem Wetter und in allen Lebenslagen." Die Herausforderung des Jagdschießens bestehe darin, dass neben den verschiedensten Witterungsbedingungen und den unterschiedlichsten Schießstellungen die Entfernungen zum jeweiligen Ziel nicht genau vorgegeben sind. "Jeder Schütze muss selbst im Kopf ausrechnen, wie weit das Ziel entfernt ist", erklärt Pohl. "Wir müssen uns Orientierungspunkte im Gelände suchen und die Distanz zum Ziel so genau wie möglich selbst abschätzen." Attraktiver sei das Jagdschießen zudem, "weil bei uns alles sehr viel lockerer zugeht als bei den FITA-Schützen", so Pohl: "Bei denen herrscht immer Ruhe hoch drei, und bei uns koannst ratschn, wennst moagst."

Zwar gehören für die Bogenschützen nahezu sämtliche Vertreter der Wildtierfamilie – von Bären und Rehen über Wildschweine und Füchse bis hin zu Schlangen und Elefanten – zur Zielgruppe, doch niemand wird dabei verletzt: Die so genannten 3D-Tiere sind Attrappen. Sie werden aus dem Verpackungsschaumstoff Ethafoam hergestellt und sehen ihren lebenden Originalen aus der Ferne betrachtet zum Verwechseln ähnlich. "Es kommt schon mal vor, dass jemand die Polizei ruft, weil er uns für Wilderer hält", erzählt Ulrich Pohl. Doch auch wenn sie sich Jagdschützen nennen: Es gibt auch ein Tabu, wie der Vereinsvorsitzende der Bavarian Bowmen ausdrücklich betont: "Wir schießen niemals auf lebende Ziele."

Die Mama und der Papa

Gerne hätten Annemarie und Ulrich Pohl mehr Zeit, ihrer Leidenschaft zu frönen, doch etwa vier Stunden Schießtraining pro Woche stehen zwischen 20 und 25 Stunden ehrenamtliche Arbeit für den Verein gegenüber. Sie sind nicht nur Vorsitzender und Kassier, Annemarie und Ulrich Pohl sind praktisch "Mama und Papa des Vereins". Alle organisatorischen Aufgaben werden von den Eheleuten übernommen – sei es die Anschaffung oder der Selbstbau von 3D-Tieren oder die Errichtung eines neuen Vereinsheims am städtischen Wertstoffhof in Dietfurt, dessen Einweihung noch für dieses Jahr geplant ist: Die Pohls sind der ruhende Pol, die Seele des Vereins, der im Juli 1988 in Langenkreith bei Hemau gegründet wurde und mit dem 1993 zum Vorsitzenden gewählten Ulrich Pohl im Jahr 2000 nach Dietfurt umgezogen ist.

In diesen Tagen haben die Pohls manchmal mehr Arbeit, als ihnen lieb ist, denn am Samstag und Sonntag steigt in der Schwedenleite die 19. Auflage des beliebten Töginger Jagdturniers (siehe Kasten). Am Turnier-Wochenende sind die 38 Mitglieder der Bavarian Bowmen allein für das Wohl ihrer Gäste da, "da sind wir froh, wenn wir nachts das Bett sehen", wissen die Pohls, die mit ihrem Verein in den Jahren 1990, 1998 und 2002 bereits drei Mal als Ausrichter von Deutschen Meisterschaften der Jagdschützen glänzten.

Jagdturnier als Höhepunkt

Das eigene Jagdturnier ist für den Verein natürlich der Höhepunkt des gesamten Jahres. Die Vorfreude bei den Gastgebern wächst von Tag zu Tag, ebenso wie die Freude darauf, dass das Event am Sonntag wieder vorbei ist. Erst dann nämlich haben die Pohls mit ihren Töginger Vereinskollegen wieder mehr Zeit für das Training, um bei dem ein oder anderen Turnier abermals ganz oben auf dem Stockerl zu landen.