Ingolstadt
Bei den Ungeheuern der Geschichte

Ausdrucksstarke Kunst zwischen Krieg und Frieden: André Butzer stellt im Neuen Schloss aus

11.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:56 Uhr

Schreckensbild eines Kriegsverbrechers: André Butzer (l.) schuf "Heinrich Himmler" vor zehn Jahren. Das Werk eröffnet die Ausstellung im Neuen Schloss. Es ist zum ersten Mal in Deutschland zu sehen. Rechts Ansgar Reiß, der Leiter des Armeemuseums. - Fotos: Hammer

Ingolstadt (DK) Am Samstag ist im Neuen Schloss die Ausstellung ". . . und sah den Frieden des Himmels" eröffnet worden. Der Künstler André Butzer hat dafür eigene Werke kontrastreich mit Exponaten aus dem Museumsdepot kombiniert. Abgründe der Geschichte ziehen ihn an, ebenso das Titelmotiv "Frieden".

Im Entree grüßt Heinrich Himmler. Fast acht Quadratmeter groß und von monumentaler Grässlichkeit. Der Reichsführer SS trägt einen Gespensterkopf voller grotesker Ausbuchtungen. Seine roten Augen verschießen Strahlen. Sie töten. Ein Kabelgewirr dringt aus seinem Leib. Wie Gedärme. Es ist, als schlüpften tote Kinder aus dem Mantel dieser Kreatur des Bösen, irren um sie herum. Faustgroße Farbbrocken kleben in dem Bild. Die Sonne schaut so seltsam aus. Abschreckend. Gleißendes Licht eines Scheinwerfers. Überall bizarre Formen, zerstörte Flächen und kaputte Strukturen. Was für ein Bild des Grauens!

Sie geht gleich gut los, André Butzers Ausstellung mit dem sanften Titel ". . . und sah den Frieden des Himmels" (ein Satz aus Friedrich Hölderlins 1797 erschienenem Roman "Hyperion"). Das Halbdunkel im Vorsaal des Neuen Schlosses lässt das 2006 geschaffene Werk noch bedrohlicher wirken. Die Düsternis der deutschen Geschichte in einer alten bayerischen Herzogsresidenz. Die Besucher der Vernissage verharren vor dem Bild. Schweigend. Viele ziehen nachdenklichen Blicks weiter. Den lichteren Werken des Künstlers entgegen.

Verstörung als Exposition - sie ist kalkuliert. "Ich habe mir gedacht, setze das größte Problem gleich dorthin, wo es die Besucher direkt vor den Kopf stößt. Das müssen die dann erst mal schlucken und verarbeiten", erzählt André Butzer. Der 43-jährige Stuttgarter, der mit seiner Familie nahe Berlin lebt, schätzt die erhaben-düstere Atmosphäre in den spärlich beleuchteten einstigen Wohnsälen des Herzogs. "Es gibt keinen besseren Ort für diese Ausstellung! Eine Galerie ist eher steril, aber hier lädt die gelebte Geschichte die Kunst zusätzlich auf." Das Neue Schloss zu Ingolstadt kennt er seit seiner Kindheit. Butzer war oft bei seiner Oma in Weichering zu Besuch und ist gerne in das Bayerische Armeemuseum gegangen, erzählt er. Den Weg zur kreativen Zusammenarbeit mit dem Haus ebnete der Ingolstädter Künstler Tom Biber.

Butzer weiß auch von der Verbindung der Himmlers zu Ingolstadt: Gebhard Himmler, der Vater des späteren Kriegsverbrechers, war dort von 1919 bis 1922 Direktor des Humanistischen Gymnasiums (dem heutigen Reuchlin). Heinrich, der ein Studium der Landwirtschaft anstrebte, absolvierte 1919 mit kümmerlichem Erfolg ein Praktikum auf Franz Wittmanns Gutshof in Oberhauná †stadt. Trägt die Himmler-Kreatur auf Butzers Bild deshalb klobige Holzschuhe, die an die eines Bauern erinnern? "Ich arbeite nicht mit bewussten Anspielungen, sondern gehe immer ganz instinktiv vor", sagt der Künstler. "Und dann lasse ich mich von den nachträglichen Deutungen überraschen."

Historische Abgründe ziehen ihn an. "Butzers Bilder führen hinab in den Gedächtnisraum der Geschichte, der viele Ungeheuer birgt, die hier in Erscheinung treten", sagt Ansgar Reiß, der Leiter des Armeemuseums, in seiner Eröffnungsrede. Auch er ist mit dem Künstler tief in die Geschichte eingetaucht. Dazu stiegen die beiden hinauf ins Depot unter dem Dach des Neuen Schlosses. Dort forschte Butzer nach Exponaten, mit denen er starke Kontraste schaffen kann. So förderte er etwa die Porzellanskulptur einer nackten Frau zutage, das Werk "Liegender Akt" eines unbekannten Künstlers aus den 1930er-Jahren. "Ich war auf der Suche nach etwas Weiblichem, nachdem ein Armeemuseum ja sehr männlich geprägt ist."

Die Akt-Skulptur strahlt ganz in Weiß im früheren Schlafgemach des Ingolstädter Herzogs, umgeben von Bildern Butzers, in sanft-expressivem Stil. An dieser Stelle hat der Besucher den Himmler dann wohl hinter sich. Hier füllt Hölderlins fromme Friedenshoffnung den Saal, die der Ausstellung den Titel gibt. Nebenan hat Butzer einen Gegensatz zu der makellos weißen Frau arrangiert: Dort liegt die schwarze Totenmaske Erich Ludendorffs, jenes verhängnisvoll mächtigen Generalissimus im Ersten Weltkrieg, später ein Wegbereiter Hitlers. Ein nie gezeigtes Exponat, wie bestellt für Butzers konzeptionellen Hang zu Apokalyptik und Abgründen von historischer Tiefe.

In einem Museumsdepot, mit dessen Inventar sich locker ein kleiner Angriffskrieg führen ließe, ist ein Künstler, der sein Schaffen dem Frieden widmet, aber harte Kontraste schätzt, genau richtig. In diesem Sinne stellt Schlossherr Reiß fest: "Es ist nicht so, dass das Museum Butzer ausstellt, sondern Butzer stellt das Museum aus."

André Butzer: ". . . und sah den Frieden des Himmels". Bayerisches Armeemuseum im Neuen Schloss, bis 26. März, Di bis Fr 9 bis 17.30 Uhr, Sa/So 10 bis 17.30 Uhr.