Ingolstadt
Befreit vom öden TV-Einerlei

20.05.2011 | Stand 03.12.2020, 2:48 Uhr

Freak-Show mit Vision: Rainer (Baris Tangobay) und Technik-Genie Philipp (Markus Jordan, beide im Vordergrund) machen die Fernsehquote einfach selbst. Die Produktion des Spielclubs wurde von Gabriela Gillert inszeniert. - Foto: Sigl

Ingolstadt (DK) Fernsehen, diese geistlose, sinnlos aufgeblähte Geißel unserer Zeit – Fernsehen schauen ja glücklicherweise nur die anderen: Wir gehen ins Theater, lesen Zeitungen und endlich mal wieder ein gutes Buch oder blicken des Abends versonnen ins Kaminfeuer.

Nur seltsam, dass Schrottserien mit Dreigroschen-Handlungen und öde Shows zu abstrusen Themen trotzdem konstant gute Zuschauerquoten verbuchen können. Immerhin weiß man, wer die Schuld daran trägt: Die Gfk (Gesellschaft für Konsumforschung), ein aktiennotiertes Unternehmen mit Sitz in Nürnberg, das nicht nur das Konsumklima in Deutschland erforscht und für seine Kunden Marketingstrategien entwickelt, sondern auch die Fernsehquote berechnet – oder womöglich sogar mitbestimmt. Dieser Gedankengang inspirierte den Österreicher Hans Weingartner 2007 für seinen erfolgreichen Film "Free Rainer – Dein Fernseher lügt", der alle Erwartungen an den Regisseur von "Die fetten Jahre sind vorbei" erfüllte und Moritz Bleibtreu einen schauspielerischen Adelsschlag verpasste.

Der Spielclub des Theaters Ingolstadt erarbeitete nun im Kleinen Haus aus dem Filmscript ein Theaterstück unter Regie der Theaterpädagogin Gabriela Gillert. Gezeigt wird der Wandel des erfolgsbesessenen TV-Produzenten Rainer Kittner (Baris Tangobay) zum Niveau-Missionar für ganz Deutschland. Moralisch nicht ganz einwandfrei will er das Fernsehprogramm auch gegen den Willen der Zuschauer vom Trash befreit wissen und dreht dazu mittels einer chaotischen Crew von Hilfsarbeitern an den Quotenaufzeichnungen der GfK. Von revolutionärem Geist befeuert werden schon die "befreiten Haushalte" ausgezählt, als der fiese österreichische Programmchef Maiwald (Christian Stippel) dem geheimen Treiben auf die Schliche kommt.

Auf der Bühne fallen viele Szenen des Films aus Gründen der Praktikabilität weg – so das sinnlose Massaker des zugekoksten Produzenten an seinem Sportwagen oder Szenen am Badesee. Die Handlung wird passend gemacht für die Ingolstädter Bühne in ihrer womöglich zu minimalistischen Ausstattung (Bastian Grau), was auch gelegentlich technische Unzulänglichkeiten ausweist. Statt eines Anschlages per Automobil ist es hier eine Messer-Attacke von Pegah (Lydia Wasner), die den Medienmann läutert. Das Ganze gerät vielleicht ein wenig lang und manchmal auch etwas unübersichtlich, aber die Hobbyschauspieler sind mit Eifer und Originalität dabei und wurden am Premierenabend ausgiebig beklatscht.

Vor allem die Technik-Crew, die Rainer, Pegah und der Computerspezialist Philipp (Markus Jordan) unter Arbeitslosen rekrutieren, versammelt genussvoll ein Panoptikum der Originale (Gisela Bewig, Brigitte Renner, Ursula Kirchner, Barbara Winterholler, Ute Krug, Gabriele Bauer, Willy Pittroff, Thomas Amberger). Sie allerdings in Rollstühle zu zwingen, war weder szenisch notwendig noch sonderlich geschmackvoll.

Gut gelangen die Persiflagen auf die Fernsehshow, bei welchen das Premierenpublikum begeistert mitmachte und von den Darstellern – neben der szenisch ambitionierten Titelfigur ist hier vor allem der warm-up-boy (Simon Kühl) zu nennen – souverän einbezogen wurden.

Der Live-Effekt der Theaterbühne ist halt einfach unübertrefflich. Schaltet die Fernseher aus! Befreit Eure Haushalte!

Weitere Vorstellungen am 24. und 27. Mai sowie 7., 8. , 9. Juni.