Ingolstadt
Paganini modisch herausgeputzt

20.05.2011 | Stand 03.12.2020, 2:48 Uhr

Schwierigkeiten, die er nicht bewältigen kann, sind wahrscheinlich noch nicht erfunden: Benjamin Schmid im Festsaal. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Fritz Kreisler ist zweifellos einer der bedeutendsten Geiger des 20. Jahrhunderts. Als Komponist allerdings ist er eher eine zwielichtige Figur. Sicher: Einige seiner Werke sind (oft als originelle Zugabestücke) im Repertoire fast aller wichtigen Geiger. Aber gerade diese virtuosen Paradestückchen hat Kreisler meist nicht unter seinem eigenen Namen veröffentlicht, sondern sie längst vergessenen Meistern des Barocks untergeschoben: eins der berühmtesten Plagiate der Kulturgeschichte.

Die anderen Werke, die der Österreicher als Eigenkompositionen herausbrachte, werden dagegen in der Regel kaum noch aufgeführt. Aus gutem Grund wie jetzt beim Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchester im Ingolstädter Festsaal sinnfällig wurde. Der Geiger Benjamin Schmid (43) hatte sich des "Concertos in one movement after Paganini" angenommen, letztlich eine eigenwillige Bearbeitung des Paganini-Violinkonzerts in D-Dur. Fritz Kreislers Ziel war es offensichtlich, das frühromantische Konzert kompositorisch zu veredeln – tatsächlich allerdings wirkt das einsätzige Werk nun unnötig aufgepeppt zu einer falschen Violinsinfonie. Kreisler hat den Orchestersatz ausgeweitet, die Solopassagen der Geige mit polyfonen Bläserpassagen angereichert, die Harmonik erweitert, modernere Instrumente wie die Harfe hinzugenommen usw. Das eigentlich witzig-schlanke Paganini-Konzert steht nun da wie ein Nachkomme aus der Ehe von Hollywood-Blendwerk und Wiener Kaffeehaus-Kitsch. Das Konzert kulminiert in einer Kadenz, deren ungeheure Schwierigkeiten die meisten Geiger überfordern dürfte.

Nicht allerdings den Österreicher Benjamin Schmid. Hier erst kommt er wirklich in Form. Er lockert schnell noch einmal seine linke Hand, knöpft das Jackett auf – und produziert schwindelerregende Terzläufe, teuflische Sprünge über Saiten hinweg, Flageoletts, und am Ende formt er das Hauptthema des Konzerts aus einem Strudel wilder Begleittöne heraus.

So sehr man Schmid verübeln könnte, ausgerechnet diese musikalische Fehlgeburt anstelle des echten Paganinis aufs Programm gesetzt zu haben – sein Geigenspiel ist so grandios, dass man über dieses Manko völlig hinwegsieht. Benjamin Schmid ist selbst bei den kniffligsten Stellen völlig souverän. In den romantischen Passagen dagegen entwickelt er eine einzigartige samtige, vibrierende Schönheit des Tones. Benjamin Schmid ist zweifellos einer der hinreißendsten Geiger unserer Zeit. Aber auch ein Geiger, bei dem die technischen Möglichkeiten manchmal fast schon zum Selbstzweck werden. Das war leider bei der Zugabe zu spüren, dem Schlusssatz des A-Dur-Konzerts von Wolfgang Amadeus Mozart. Gerade die enormen Möglichkeiten der Differenzierung des Klanges werden hier zur leeren Demonstration, fast schon zum Geck. Benjamin Schmid kann alles auf der Geige – nicht allerdings einen schlichten, kantablen Mozart-Ton entwickeln.

Für Fritz Kreisler wollte die Ehrenrettung nicht so ganz gelingen. Um so überzeugender war sie für den Mozart-Zeitgenossen Joseph Martin Kraus. Dessen cis-Moll-Sinfonie ist ein Werk aus dem Geist der Sturm-und-Drang-Epoche. Wenn sich im langsamen Vorspiel zum ersten Satz die Melodielinien dissonant brechen, dann ist hier noch der Einfluss des Barock spürbar. Später bestimmen wilde Tremoli, grandioses Streichergewitter, aufgekratzte Violinbewegungen die Sinfonie. Das Georgische Kammerorchester unter der Leitung von Ariel Zuckermann spielt das hinreißend emotional.

Aber das ist noch nicht der Höhepunkt des Abends. Gelöster, humorvoller noch spielen die Georgier Maurice Ravels Suite "Le Tombeau de Couperin". Zuckermann legt das Stück weniger kühl-französisch als deutsch-romantisch an. Vor allem aber setzt er auf die Macht des Rhythmus. Die Melodien tänzeln durch den Saal, entfachen ein Feuer, dass die Musiker mitzuwippen beginnen und das Publikum den Atem anhält. Sicher, die Suite ist vorwiegend ein Stück für die Bläser, und die sind an diesem Abend nicht alle von gleicher Qualität. Dennoch gelingt ein beschwingter Spaß.

Noch besser allerdings gerät das Schlussstück des Abends, die 39. Sinfonie von Haydn. Jahrelang hat Ariel Zuckermann immer wieder Haydn-Sinfonien ins Programm genommen. Die Mühe scheint sich jetzt, kurz bevor Zuckermann das Orchester als Chefdirigent verlässt, auszuzahlen. Die Stilistik, der Tonfall dieser Musik ist den Georgiern zur zweiten Natur geworden. Mit Anmut, Perfektion, mit Geschmack und Temperament gehen sie diese Musik an, als wäre sie für genau dieses Orchester geschrieben worden. Ein Hochgenuss. Die rundeste und einleuchtendste Interpretation dieses Abends.