Nürnberg
Beflügelnde Konkurrenz

Das Germanische Nationalmuseum erzählt die wechselvolle Geschichte der Malerei und Fotografie im 19. Jahrhundert

11.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:12 Uhr
  −Foto: Fotos: Germanisches Nationalmuseum, Pelke

Nürnberg (DK) Ein großer Wettstreit hat die Kunst im 19. Jahrhundert in Atem gehalten.

In der aktuellen Sonderschau "Licht und Leinwand" zeigt das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, welche grandiosen Früchte das künstlerische Wettrennen zwischen Fotografie und Malerei hervorgebracht hat.

Pinsel gegen Linse: Leonie Beiersdorf will bei dieser epochalen Auseinandersetzung nicht den Schiedsrichter spielen. Stattdessen zeigt die Kuratorin diesen spannenden Kulturkampf von seinem wilden Beginn im Jahr 1839 bis zu seinem versöhnlichen Ende um 1910. In rund 250 Exponaten wird die wachsende Rivalität und beflügelnde Konkurrenz vorgestellt. Um die Folgen dieses Aufeinandertreffens zwischen der neuen mit der alten Kunstgattung hervorzuheben, führt die Ausstellung klugerweise die direkte Konfrontation anhand einzelner Sujets und Topoi vor. Die Themenfelder reichen dabei von A wie Akt über L wie Landschaft bis zu R wie Reise. Das Museum nutzt die Schau dazu, viele bedeutende Gemälde aus dem späten 19. Jahrhundert erstmals nach dem Krieg zu zeigen. Darunter befinden sich viele große Namen wie beispielsweise Lovis Corinth, von dem ein stehender Mädchenakt mit dem Titel "Modellpause" nach aufwendiger Restaurierung der Kriegsschäden nun erstmals ausgestellt werden kann.

Gleich im ersten Raum führt die Schau die Dramatik der Medienrevolution vor Augen, die durch die Geburtsstunde der Fotografie im Jahr 1839 ausgelöst worden ist. Porträtbilder aus Malerhand und Porträtfotos aus dem Fotostudio werden direkt gegenübergestellt. Beim vergleichenden Betrachten der mondänen Ölbildnisse, die Friedrich von Amerling von einem steinreichen Ehepaar im Jahr 1832 in Wien in mühevoller Pinselarbeit angefertigt hat, und der frühen Fotografien, die Herman Biow in Berlin im Jahr 1947 von Alexander von Humboldt oder König Friedrich Wilhelm IV. im Daguerreotypie-Verfahren aufgenommen hat, stellt sich der Betrachter unwillkürlich die berechtigte Frage: Wer wird noch Bilder malen, wenn Fotos die Wirklichkeit viel schneller und schärfer wiedergeben können.

Viele zeitgenössische Maler sahen ihre Felle durch die neue Technik davonschwimmen und wechselten von der Leinwand zum Auslöser. Die Themen änderten sich nicht. Nur deren Sichtweise verschob sich durch den Wettstreit der konkurrierenden Künste, wie die Ausstellung in den nächsten Räumen zeigt. Durch das Kameraauge wurde nicht nur der Blick auf den weiblichen Akt direkter. Manche würden sagen pornografischer. In jedem Fall führte die neue Technik die Realität mit der Überzeugungskraft des Authentischen neu vor Augen. Das konnte die Maler nicht unberührt lassen. Sie reagierten darauf mit Malstrategien, die den speziellen Wert ihres Mediums unterstreichen sollten.

Landschaften werden beispielsweise fortan bei dramatischen Wetter- und Lichtverhältnissen gemalt, um den Fotografen mit ihren ellenlangen Belichtungszeiten eine lange Nase zu drehen. So hielt Lovis Corinth sein Modell in dem bereits erwähnten Aktbild in einem Moment der Pause mit dem Pinsel fest. Damit habe Corinth gegen die aufkommende Praxis protestieren wollen, Aktfotografien als Vorlage für die Aktmalerei zu verwenden, erklärt Kuratorin Leonie Beiersdorf. Die frühen Fotografen suchten ihrerseits die Flucht in die Vorteile ihres Mediums. Mancher nahm dies wörtlich und schleppte die technischen Gerätschaften zum Belichten der Wirklichkeit bis in ferne Wüsten. Andere nahmen durch das Fernrohr gleich den Mond als spektakuläres Fotomotiv ins Visier.

Die klügsten Köpfe erkannten in dem neuen Medium das allererste Instrument zur Darstellung der bildlichen Wirklichkeit. Mit Reihenfotografien haben Techniker wie Eadweard Muybridge hinter der Kamera gezeigt, dass das menschliche Auge dem fotografischen hoffnungslos unterlegen ist. Während Pferde im Galopp über die Leinwand schweben, zeigten sich die Rennpferde nur auf den Fotos, mit stets einer Hufe am Boden, in ihrer wahren Natur.

Von ihrer besten Seite zeigen wollten sich im 19. Jahrhundert plötzlich alle. Allen voran die Maler und Fotografen, wie das Germanische Nationalmuseum mit zahlreichen Selbstporträts zum Ende der hervorragenden Ausstellung beweist. Die einen zelebrieren den Künstlerkult wie der schmucke Franz von Stuck ganz klassisch in Öl. Die anderen bringen wie Frédéric Boissonnas genauso selbstbewusst die Kamera mit ins Bild. Ganz gewitzte wie Joseph Byron richten die Kamera mit ausgestreckten Armen einfach auf sich selbst und schießen damit 1909 wohl das erste Selfie der Welt. Nach dem langen Wettstreit zeigen sich die Künste versöhnlich. Die Originalität eines Kunstwerks hat eben nichts mit seiner Herstellung zu tun. Auch wenn uns genau dies jedes neue Medium immer versucht glauben zu machen.

Der Besucher kann jedenfalls zum Abschluss in einer Fotobox ganz entspannt selbst für ein Porträtfoto posieren, ohne Partei für die eine oder die andere Kunst ergreifen zu müssen. Dafür muss er allerdings wie in alten Zeiten gute 15 Sekunden still sitzen. Dann darf er ein scharfes Ergebnis als Erinnerung an diese famose Ausstellung mit nach Hause nehmen.

Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, bis 9. September, geöffnet Di bis So, 10 bis 18 Uhr, Mi bis 21 Uhr. Informationen unter www. gnm. de.
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Nikolas Pelke