Riedenburg
Beethoven am Marktplatz

Franz Hummel und Max Krieger erinnern an Riedenburgs ersten Sinfonischen Sommer vor 20 Jahren

20.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:37 Uhr
Der Sinfonische Sommer fand vier Jahre lang zwischen 1997 und 2000 auf dem Riedenburger Marktplatz statt. Das Moskauer Sinfonieorchester spielte hier alle Beethoven-Symphonien und sogar 25 Uraufführungen von modernen Werken der Klassik. Zuhörer und Kritiker waren damals ausnahmslos begeistert. −Foto: Sammlung Krieger (3), Rast

Riedenburg (rat) Ein Mekka neuer klassischer Musik ist Riedenburg zwischen 1997 und 2000 gewesen. An 24 Abenden verwandelte sich der Marktplatz in eine Konzertarena. Vor genau 20 Jahren fand der erste Sinfonische Sommer statt. Am Freitagabend trafen sich die Organisatoren von damals.

Etwa 30 ehemalige Helfer kamen, um Erinnerungen auszutauschen. Max Krieger, unermüdlicher Organisator der vier Sinfonischen Sommer, hatte aus seinem Fundus von mehreren 1000 Bildern eine Diaschau mit etwa 200 Fotos zusammengestellt. Zudem lagen die alten Programmhefte aus, in einem dicken Aktenordner war das damalige Presseecho gesammelt. Laut einer offiziellen Auswertung erschienen deutschlandweit 267 Berichte über den Sinfonischen Sommer. Natürlich durfte bei dem Treffen Franz Hummel nicht fehlen. Der Riedenburger Komponist fungierte damals als musikalischer Leiter.

Die bis zu 80 Helfer hätten ungeheuer viel geleistet, erinnerte sich Krieger. „Wir sind durch Höhen und Tiefen gegangen.“ Jeweils neun Tage sei das Moskauer Sinfonieorchester mit seinem Dirigenten Alexei Kornienko in der Stadt gewesen. „An den sechs Konzerttagen habe ich kaum geschlafen“, sagte Krieger. Dennoch wolle er diese Zeit seines Lebens auf keinen Fall missen.

„Das Konzept des Sinfonischen Sommers in Riedenburg hat bis heute keinen Nachahmer gefunden.“

Komponist Franz Hummel

 

 

Die Idee, in Riedenburg ein Klassikfestival aufzuziehen, kam Krieger und Hummel im Sommer 1996. Wie sich beide erinnerten, sei es ein heißer Tag gewesen, als sie sich zufällig am Marktplatz begegneten. Hummel kam gerade aus Wien zurück, wo er seinen Freund, den bekannten Dirigenten Alexei Kornienko, besucht hatte. „Der Alexei würde gerne einmal nach Riedenburg kommen“, erzählte Hummel. Darauf erwiderte Krieger: „Kann er dann nicht seine Musiker mitbringen?“ Woraufhin Hummel nur geantwortet habe: „Das schaffen wir.“

Als Nächstes stellte sich den Machern die Frage, wo in Riedenburg ein Orchester auftreten könnte. Doch da die beiden gerade auf dem Marktplatz standen, war rasch eine Antwort gefunden. Um die Arbeit zu bewältigen, wurde die Riedenburger Gewerbevereinigung eingebunden. „Es war ein Wahnsinnsaufwand“, sagte Krieger. Man habe eine Bühne errichten, rund 1200 Stühle besorgen und aufstellen, Karten drucken, eine Beleuchtung installieren und die Musiker unterbringen müssen. Um die 96000 Watt starke Lichtanlage mit Strom versorgen zu können, musste eigens ein Kabel von der Trafostation in die Innenstadt gelegt werden. Doch gemeinsam sei es gelungen, den Marktplatz in einen Konzertsaal zu verwandeln.

Flugs hatte Hummel auch ein Konzept für das Festival zur Hand. Es sollte unter dem Motto „Beethoven und das 20. Jahrhundert“ stehen. „Der Gedanke war, den inzwischen längst vom Bürgertum vereinnahmten Altrevolutionär Beethoven mit den Komponisten des 20. Jahrhunderts zu konfrontieren.“ Hummel wollte jungen Komponisten die Möglichkeit verschaffen, ihre Werke erstmals mit einem großen Orchester aufzuführen. Die Musikauswahl übernahm er selbst, die Partituren wurden dann nach Moskau geschickt, damit die sie Musiker studieren und üben konnten. Natürlich seien die Beethoven-Werke der Appetitanreger gewesen. „Aber dann kamen die Besucher wegen der neuen Musik. Die hat unser Festival bekannt gemacht.“ Sein Konzept sei genau das richtige gewesen, betont Hummel noch heute.

Wie Krieger weiter erzählte, hatte man sogar erwogen, den Marktplatz zu überdachen. Das sei aber gescheitert, weil es bei auf das Dach prasselndem Regen zu laut geworden wäre. Dennoch hatte man für schlechtes Wetter vorgesorgt. Spiegelbildlich hatte man die 1200 Stühle in der neuen Sporthalle aufgebaut. Doch glücklicherweise regnete es an den 24 Tagen nur einmal. Ansonsten war es manchmal bei den Proben, die tagsüber auf dem Marktplatz erfolgten, so heiß, dass die Musiker mit Strohhüten und nacktem Oberkörper an ihren Instrumenten saßen.

Doch sobald der Dirigent am Abend an sein Pult schritt, waren alle Mühen vergessen. Weltstars wie der brillante Klarinettist Giora Feidman, die argentinische Pianistin Carmen Piazzini oder die Geigerin Liana Issakadze waren hautnah zu erleben. Nach dem Konzert spielten die russischen Musiker in kleinen Gruppen noch in den Riedenburger Gasthäusern. „Das hätten die Mitglieder eines deutschen Orchesters nie gemacht“, meinte Hummel. Es war gelebte Völkerverständigung und Werbung für den Tourismus. Der Komponist begeistert sich noch heute für die hervorragende Akustik des Marktplatzes. Auch Nebengeräusche habe es kaum gegeben. Für den Sinfonischen Sommer habe sogar der Pfarrer die Glocken ausgeschaltet. „Die Orchestermusiker und die Solisten waren begeistert, sonst wären sie nicht alle Jahre wieder gekommen.“ Mit dem Sinfonischen Sommer sei es gelungen, einen klaren Kontrast zu allen anderen Klassikfestivals in Deutschland zu setzen. Bis heute habe dieses Konzept „keinen Nachahmer gefunden“. Die New York Times habe damals sogar geschrieben, dass in Riedenburg das „beste Festival Europas“ stattfinde.

Der Höhepunkt war schließlich im August 2000 die Aufführung von Beethovens Neunter Symphonie. Insgesamt standen dabei 146 Musiker und Sänger auf der Bühne. Krieger hat den Auftritt mitgeschnitten und kann es bis heute kaum fassen: „Die Leute spendeten danach 14 Minuten lang ununterbrochen Applaus.“ An den insgesamt 24 Konzerttagen hatte das Riedenburger Publikum zudem 25 Uraufführungen erlebt. Alle neun Symphonien von Beethoven wurden ebenso gespielt wie sämtliche seiner Klavierkonzerte.

„Die Leute spendeten nach Beethovens Neunter Symphonie 14 Minuten lang ununterbrochen Applaus.“

Organisator Max Krieger

 

Doch dann kam leider das Aus. Das finanzielle Risiko war auf die Dauer zu hoch für die Organisatoren, ein betuchter Sponsor wurde nicht gefunden. Eine verregnete Konzertwoche hätte einen Verlust in sechsstelliger Höhe bedeutet. Zudem hatten die beiden Organisatoren darauf gehofft, dass die Stadt Riedenburg eine Fachkraft einstellen, die einen Teil der Arbeit übernehmen würde. Doch diese Tourismusreferentin sei leider einige Jahre zu spät gekommen, bedauerte Krieger. Auch Franz Hummel befürchtete, vom Komponisten zum Konzertmanager zu mutieren: „Das wollte ich nicht.“

Krieger dankte am Freitagabend den Helfern. Man habe Hand in Hand zusammengearbeitet – der Bankdirektor Seite an Seite mit dem einfachen Arbeiter. Mit dem Sinfonischen Sommer sei bewiesen worden, was sich in Riedenburg alles auf die Beine stellen lasse. Max Krieger erinnerte zudem an die inzwischen gestorbenen Mitglieder des Teams, namentlich an Johann Bühler, Bruno Rebitzer, Rudolf Amann, den damaligen Sparkassen-Vorstandsvorsitzenden Oswald Freidl und an Ursula Scholz-Bauer. Sie alle hätten ihren Beitrag geleistet, dass es damals zum „Wunder von Riedenburg“ gekommen sei, wie eine überregionale Zeitung den Sinfonischen Sommer beschrieb.