"Bedrohungen des Sports mit aller Macht bekämpfen"

26.02.2007 | Stand 03.12.2020, 7:00 Uhr

Birmingham/Kelheim (DK) Die Leichtathletik-Hallen-EM startet am kommenden Freitag im englischen Birmingham. Über die Medaillenchancen der deutschen Athleten, die WM 2009 in Berlin sowie Gewalt und Doping im Leistungssport unterhielt sich unser Redakteur Marc G. Schlotfeldt mit dem Kelheimer Amtsgerichtsdirektor Clemens Prokop, dem Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und der Berlin Organising Committee 2009 GmbH.

Polizistenmord in Italien, Fan-Randale in Leipzig und Dresden. Schutzsperren für Sportler und Wettkampfausschlüsse für Dopingsünder. Herr Prokop: Lesen Sie Nachrichten aus der Welt des Sports noch gern?

Clemens Prokop: Man muss natürlich sehen, dass die positiven Schlagzeilen des Sports, die von spannenden Wettkämpfen, von unglaublichen Höchstleistungen und auch von den Erlebnissen der Zuschauer berichten, nach wie vor das Bestimmende im Sport sind. Doch tatsächlich muss sich der Sport, insbesondere der Leistungssport, momentan mit Phänomenen auseinander setzen, die seine Existenz ernsthaft bedrohen.

 

Sie sprechen von Gewalt und Doping?

Prokop: Das beginnt damit, dass die Ideale des Sports in Frage gestellt werden; insbesondere durch Doping und damit eine besonders perfide Art des Betruges. Aber auch durch das Verhalten von Fans, die durch ihre Gewaltbereitschaft auf der anderen Seite des Spielfeldes die Ideale des Sports mit Füßen treten und damit ihrerseits die Existenz des Sports bedrohen. Beide Formen der Bedrohung gilt es mit aller Macht zu bekämpfen.

Spiegeln diese Auswüchse den heutigen Stellenwert des Sports in der Gesellschaft wider?

Prokop: Das sind Probleme, mit denen der Sport traditionell zu kämpfen hat. Das Symp?tom des Dopings beispielsweise ist im Leistungssport systemimmanent. Da Sport immer auf die Steigerung der Leistung ausgerichtet ist, kommt man in einen Bereich, an dem der Grenznutzen des Trainings immer geringer wird. Damit wird natürlich auch die Versuchung größer, Hilfsmittel zu benutzen, um die Leistung zu steigern. Dieser Prozess wurde in den vergangenen Jahren noch verstärkt, weil die kommerziellen Anreize gewachsen sind, die dem Sportler die wirtschaftliche Existenz sichern können. Die sind jedoch nur den Sportlern vorbehalten, die ganz oben stehen. Und der dritte Punkt ist natürlich auch in gewisser Weise die Heuchelei des Sportpublikums, das im Zweitplatzierten meist bereits den ersten Verlierer sieht. Selbst Spitzenleistungen sind meist nur eine Fußnote in der öffentlichen Wahrnehmung, wenn nicht der ertste bis dritte Platz erreicht wurde .

 

Sie haben als Präsident des DLV sicherlich öfter mit diesem Thema zu tun, als Ihnen lieb sein dürfte.

Prokop: Natürlich. Jeder Dopingfall ist ein Ärgernis, für sich gesehen ein Skandal und ein schwerer Schaden für den Sport. Es kann aber keine Alternative dazu geben, mit diesem Problem völlig transparent umzugehen und die Dinge beim Namen zu nennen. Nur so kann man dieses Problem wirksam bekämpfen und als Sportverband seine Glaubwürdigkeit bewahren.

 

Die Sportler im DLV bekennen sich zum "sauberen Sport" mit der Aktion "true athletes", ehrliche Athleten. Wie viele Armbänder hat Ihr Verband denn bislang unter die Leute gebracht?

Prokop: Ich habe sie nicht gezählt, aber es sind sehr viele. Die Kampagne hat sich als echter Verkaufsschlager entwickelt. Die, die es tragen, bringen damit ihr Bekenntnis zu einem fairen Wettkampf und gegen unerlaubte Mittel im Sport zum Ausdruck.

 

In den Vereinen klagen manche Sparten über sinkende Mitgliedszahlen. Der DLV hingegen hat bei seiner jüngsten Bestandsaufnahme 2006 erstmals mehr als 900 000 Mitglieder gezählt. Was macht die Leichtathletik so attraktiv?

Prokop: Wir haben uns das Projekt "eine Million" zum Ziel gesetzt. Wir sind einer der wenigen Sportverbände, die kontinuierlich wachsende Mitgliederzahlen aufweisen. In der Altersgruppe von sechs bis 14 Jahren haben wir eine Steigerungsrate von fast 30 Prozent. Offensichtlich ist es vielen Eltern wichtig, dass ihre Kinder eine Grundfähigkeit im motorischen Bereich Laufen, Springen und Werfen qualifiziert vermittelt bekommen. Die zweite große Steigerungsrate haben wir im Seniorenbereich im Alter ab 35 Jahren. Gleichwohl hat der DLV aber darunter zu leiden, dass viele Breitensportler, etwa 17 Millionen Läufer und etwa 6,5 Millionen Nordic Walker, ihren Sport ausüben, ohne in einen Verein einzutreten. Der DLV will daher eine Art virtuellen Verein schaffen, der praktisch als Dienstleister allen interessierten Breitensportlern Angebote und Hilfe gibt, zum Beispiel bei Trainings- oder Ernährungsplänen oder auch der Gesundheitsberatung. Auch die Informationen mittels des Laufkalenders sollen noch erhöht werden .

 

Erst kürzlich haben wir ein "Sommermärchen" und ein "Wintermärchen" erlebt. Selbst an Sport Uninteressierte haben sich an der Fußball- und Handball-WM begeistert. Auch der DLV will sein Märchen schreiben, bei der 12. Leichtathletik-WM im August 2009 in Berlin. Wie viele Kapitel sind denn schon geschrieben?

Prokop: Wir sind noch ein wenig entfernt davon. Der entscheidende Kick zur allgemeinen Begeisterung wird natürlich durch die Veranstaltung selbst ausgelöst. Doch schon im Vorfeld der WM wird es zahlreiche Veranstaltungen geben, denn wir wollen eine Art Bewegungsgefühl in Deutschland entwickeln. Wir wollen – anders als beim Fußball – nicht nur, dass die Menschen den Sport gemeinsam am Bildschirm erleben, sondern dass sie selbst etwas tun, sich bewegen und sich fit halten. So wollen wir ganz Deutschland in einen Laufrausch versetzen.

 

Am kommenden Wochenende werden in Birmingham die Hallen-Europameisterschaften ausgetragen. Was erwarten Sie von der deutschen Mannschaft, wie viele Medaillen wird es für den DLV geben?

Prokop: Die Frage nach Medaillen hängt von zwei Faktoren ab: Wie gut ist unser Athlet, und wie stark sind die anderen Athleten? Beides ist nicht immer kalkulierbar. Wir fahren mit einer sehr jungen Mannschaft nach Birmingham, da sich eine Reihe unserer Topathleten dazu entschieden hat, sich dieses Jahr gezielt auf die WM im August in Osaka zu konzentrieren. Wir werden dennoch in einigen Disziplinen sicherlich sehr stark vertreten sein. Zum Beispiel im Stabhochsprung der Männer, bei dem unsere Athleten in der Weltjahresbestenliste die vier besten Plätze belegen. Ansonsten hoffe ich natürlich, dass sich unsere Athleten so teuer wie möglich verkaufen werden.