Ingolstadt
Autodiebstahl per Knopfdruck

Ein Prozess vor dem Amtsgericht hat eine neue Masche ausländischer Ganoven beleuchtet

04.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:11 Uhr

Im Visier versierter Autoknacker: In der Region wurden laut Polizei bereits 19 Eigentümer teurer Oberklassefahrzeuge durch die Keyless-Masche organisierter osteuropäischer Banden ihre Pkw los. In einem Fall war allerdings der Diebstahl eines Audi RS 6 - hier ein Archivbild eines solchen Boliden - durch die Aufmerksamkeit einer Nachbarin verhindert worden. - Foto: Audi AG

Ingolstadt (DK) Immer aufwendigere Elektronik macht teure Autos offenbar keineswegs sicherer. Spezialisierte Ganoven haben in der Region seit März 2016 mit einer besonderen Masche 20 Oberklassefahrzeuge entwendet. Ein Prozess vor dem Amtsgericht hat die Szenerie jetzt etwas ausgeleuchtet.

Den Zündschlüssel für ein Auto nur noch als Funksignalgeber in der Tasche zu tragen und den Wagen nach dessen elektronischer Freischaltung einfach per Knopfdruck zu zünden, ist in der automobilen High Society inzwischen durchaus verbreitet. Dieses sogenannte Keyless-System mag von Fahrern als sehr bequem empfunden werden - es birgt aber auch neue Diebstahlsgefahren.

Allein im Großraum Ingolstadt haben nach den Erkenntnissen der hiesigen Kripo in den vergangenen 14 Monaten 20 Besitzer hochwertiger Pkw feststellen müssen, dass ihre daheim aufbewahrten Autoschlüssel mit technischen Hilfsmitteln von Kriminellen als Türöffner und Starter genutzt wurden. Die Autos verschwanden über Nacht und überwiegend spurlos. Schaden: rund 1,2 Millionen Euro.

Auf der Anklagebank des Schöffengerichts saß jetzt über zwei Verhandlungstage hinweg ein 32-jähriger Pole, der Anfang November vorigen Jahres Nahe der deutsch-tschechischen Grenze bei Vohenstrauß (Landkreis Neustadt an der Waldnaab) von einer Polizeistreife als Fahrer eines just zuvor in Etting entwendeten Geländewagens aus dem Verkehr gezogen worden war. Die Beamten waren stutzig geworden, weil der Mann weder einen Autoschlüssel bei sich hatte noch den Namen der im Fahrzeugschein ausgewiesenen Autohalterin nennen konnte. Flugs war er festgenommen und der Ingolstädter Kripo überstellt worden. Die Ettinger Autobesitzerin bekam ihr Fahrzeug zurück - sie ist aber auch bislang die Einzige unter den in der Region geschädigten Keyless-Startern, der dieses Glück beschieden war.

Der Pole wurde gestern wegen Beihilfe zu einem besonders schweren Diebstahl (und wegen einiger Vorstrafen in seinem Heimatland) zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt, die allerdings noch nicht rechtskräftig ist. Die Staatsanwaltschaft hatte ihn ursprünglich wegen schweren bandenmäßigen Diebstahls angeklagt, was wohl eine noch höhere Strafe nach sich gezogen hätte. Doch obwohl das Gericht unter Vorsitz von Christian Veh ebenfalls den Verdacht hegte, dass der Mann in einen gut organisierten Ring von Autodieben integriert ist, ließ sich das im Verfahren nicht zweifelsfrei nachweisen.

Der 32-Jährige gilt Ermittlern und Justiz indes nur als kleines Rädchen im Getriebe. Sein Rechtsanwalt Martin Bernhard sah ihn gestern in seinem Plädoyer, in dem er vergeblich eine Bewährungsstrafe von nur einem Jahr angeregt hatte, gar nur als "Handlanger". Tatsächlich ist der Mann, der offenbar ein Drogenproblem hat und der sich angeblich mit der Autoüberführung nach Tschechien nur schnell 1000 Zloty (etwa 230 Euro) hatte verdienen wollen, wohl nur ein Helfershelfer der eigentlichen Drahtzieher.

Nach den Erkenntnissen der Polizei liest stets ein Täter mit einem speziellen Funkempfänger vor der Haustür der Opfer den Sicherheitscode des vom Autobesitzer nachts daheim aufbewahrten Fahrzeugschlüssels aus. Er gibt diesen Code dann wohl über Funk an einen zweiten Täter weiter, der mit dem so gewonnenen richtigen Impuls das begehrte Auto problemlos öffnen kann.

Der für die Überführung zuständige Fahrer braucht den Wagen dann nur noch per Knopfdruck zu starten und wegzufahren. Er darf allerdings den Motor so lange nicht mehr abstellen, bis das Auto in spezialisierten Hinterhofwerkstätten im osteuropäischen Ausland gelandet und die Elektronik dort "umfrisiert" worden ist. Oft genug schon ist den Tätern das gelungen.