Ingolstadt
Auf Tuchfühlung mit seiner Heiligkeit

Drei Päpste in 25 Jahren: Vatikan-Korrespondent Andreas Englisch berichtet über seine Zeit in Rom

10.05.2013 | Stand 03.12.2020, 0:09 Uhr

Nach der Lesung nahm sich Andreas Englisch die Zeit, um sein neues Buch über Papst Franziskus für die Zuhörer zu signieren - Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) So frei von der Leber weg plaudert wohl kaum ein Zweiter aus dem direkten Umfeld des Papstes: Der Vatikankorrespondent Andreas Englisch sprach im Kolpinghaus über seine berufliche Zeit an der Seite von drei Päpsten.

Ganz nebenbei schilderte Englisch kenntnisreich die Hintergründe der vergangenen Papstwahl und die jüngste Verschiebung der Machtverhältnisse im Vatikan. Dabei war er in jungen Jahren alles andere als ein Verfechter des Glaubens und der Kirche. Er sei ein „lebensfeindlicher, bitterer, alter Mann“, schrieb er etwa einst über Johannes Paul II.

Die Zuhörer im nahezu voll besetzten Spiegelsaal hatten ihre helle Freude, lachten und litten mit, wenn Englisch aus höchsten kirchlichen Würdenträgern Personen mit angeschlagener Seele (Benedikt bei seinem Abschied) und menschlichen Zügen werden ließ. So tummeln sich in seinen Schilderungen im Garten von Joseph Ratzinger – seinerzeit Chef der Glaubenskongregation – Moritz und Diana, zwei von vielen auf den Straßen Roms angefahrenen Katzen, die der spätere Papst aus Bayern in seinem grünen Refugium gesund pflegte. Einmal bittet Ratzingers Optiker Englisch um Rat, ob er ihm nicht helfen könne, die Notiz auf einem Zettel zu übersetzen, den er aus dem Sekretariat des späteren Heiligen Vaters erhalten habe. Englisch liest „Kassengestell“ – ein Wort, das es im Italienischen nicht gibt – und klärt den Mann auf: „Er will nicht so eine teure Brille.“

Englisch entzaubert das Zentrum der kirchlichen Macht vor allem durch seine volksnahe, manchmal wohl absichtlich recht lapidare Wortwahl („Der Alte ist total verrückt“). Allzu dunkle Kapitel in der jüngeren Geschichte des Vatikans, wie den Missbrauchs- und den Bankenskandal, spart er dabei lieber aus oder streift sie nur. Wie in einem guten Abenteuerroman spinnt der Journalist und Buchautor (aktuelles Werk: „Franziskus – Zeichen der Hoffnung“) während seines Vortrags Handlungsfäden um sich und seine Protagonisten, lässt diese geschickt auseinanderlaufen, um sie später wieder zu verknüpfen. Beispielsweise, als er von der Kuba-Reise Karol Wojtylas im Jahr 1998 erzählt, auf der Papst Johannes Paul II. erstmals Jorge Mario Bergoglio, den jetzigen Papst Franziskus, kennenlernte. Niemand im Gefolge des Papstes habe sich vorstellen können, was den polnischen Pontifex seinerzeit auf die kommunistisch regierte Insel trieb, berichtet Englisch. „Ich gehe nach Kuba und verlange das Ende des Embargos der USA“, bekamen sie schließlich von Johannes Paul zu hören. Gleichzeitig wolle er durchsetzen, dass im Reich von Fidel Castro das Verbot, Weihnachten zu feiern, aufgehoben wird. Nicht nur Kirchenoberhaupt, sondern auch politischer Stratege war dieser Papst, befindet Englisch. Ganz im Gegensatz zu seinem Nachfolger Benedikt XVI., was Englisch mehrfach in Episoden untermauert.

Auch vom neuen Papst weiß Englisch Interessantes zu berichten: „Etwas Schlimmeres hätte er der Kurie nicht antun können“, bescheinigt er dem aktuellen katholischen Kirchenoberhaupt im Hinblick auf die Wahl seines Namens, der im Vatikan längst Programm geworden ist – „kein Koch, kein Kammerdiener, geht zum Essen in die Kantine“, so der Insider.

Allerdings sei auch Johannes Paul II. Visionär gegen alle Widerreden aus der Kurie gewesen. Etwa, als er die jungen Gläubigen 1995 – entgegen der Warnung seines Beraterstabes – zum Abschlussgottesdienst des Weltjugendtages in Manila zusammenrief. Zwei Millionen Menschen seien damals erwartet worden, eine nicht zu bewältigende Masse. Schließlich kamen sogar über fünf Millionen, der Hubschrauber des Papstes fand keinen Landeplatz. „Wojtyla war das egal“, berichtet Englisch. Ein Minihelikopter für Unkrautvernichtungsmittel habe seine Heiligkeit und schließlich nach und nach alle Beteiligten an der Messe an den Altar gebracht.

Englisch entschwand nach gut zwei Stunden stilecht im Boliden mit römischem Kennzeichen – ein zufriedenes Publikum zurücklassend, das sich über ein Wiedersehen sicher freuen würde.