Ingolstadt
Auf nach Neuland

Digitalpakt Schule soll Bayern 770 Millionen Euro zusätzlich bringen - In der Region sind viele Klassenzimmer schon online

27.02.2019 | Stand 23.09.2023, 6:06 Uhr
Charlotte Schmiegel
Unsere Schulen sollen digitaler werden: Dafür will der Bund den Ländern fünf Milliarden Euro zur Verfügung stellen. −Foto: Schutt/dpa

Ingolstadt (DK) Finanzspritze für die Schulen: Fünf Milliarden Euro will der Bund über die kommenden fünf Jahre beisteuern, um Schulen für die digitale Zukunft zu rüsten. Auf die nötige Grundgesetzänderung haben sich Bund und Länder dank eines Vermittlungsausschusses vergangene Woche geeinigt. Was steckt dahinter?

WLAN FÜR ALLEDie Rede ist von "breitbandiger Schulhausverkabelung, Wlan-Ausleuchtung, digitalen Interaktions- und Anzeigegeräten sowie weiteren Arbeitsgeräten für die pädagogische Nutzung". Die Bundesregierung umschreibt mit dieser sperrigen Aneinanderreihung, was deutsche Schulen ihrer Meinung nach in den kommenden fünf Jahren mit den fünf Milliarden Euro anstellen sollen. Denn ins Grundgesetz soll nun ein Passus eingeführt werden, der dem Bund die Förderung der "kommunalen Bildungsinfrastruktur" ermöglicht. Der Bundestag hatte der Grundgesetzänderung bereits Ende November zugestimmt, im März soll auch der Bundesrat seinen Segen geben.

BLOCKADE DER LÄNDERAn der Länderkammer drohte die Digitaloffensive der Regierung zu scheitern, denn die Bundesländer sperrten sich. Die Ministerpräsidenten fürchteten, dass sich der Bund zu sehr in ihr Hoheitsgebiet einmischt; denn in Deutschland herrscht Kulturhoheit der Länder. Der angerufene Vermittlungsausschuss hat nun die Wogen geglättet, die Grundgesetzänderung zu Gunsten des Digitalpakts scheint auch im Bundesrat eine Mehrheit zu erhalten - der Finanzhilfe fürs digitale Lernen steht also nichts mehr im Weg.

500 EURO PRO SCHÜLERBei den unterschiedlichen Zuständigkeiten kann man allerdings schnell den Überblick verlieren. Der Bund bezuschusst zwar, doch die Schulen erhalten das Geld von den Kommunen (im Amtsdeutsch sind das die "Sachaufwandsträger") - die wiederum bekommen das Geld aus Berlin aus der Landeskasse. Das alles regelt ein sogenanntes Verwaltungsabkommen - eine Abmachung zwischen Bund und Ländern. Die Länder müssen auf Anfrage aus Berlin Auskunft darüber geben, wie sie die Mittel eingesetzt haben. Finanziert wird der Digitalpakt aus dem Digitalinfrastrukturfonds. Die Bundesregierung hat die Errichtung dieses Sondervermögens bereits verabschiedet.

Bei jeder der 43000 Schulen in Deutschland würden von den fünf Milliarden Euro durchschnittlich knapp 137000 Euro ankommen. Das wären etwa 500 Euro pro Schüler, wie das Bildungsministerium vorrechnet. Laut dem bayerischen Lehrerverband BLLV sind das etwa 770 Millionen Euro für Bayern. Mit Hilfe dieser Finanzspritze sollen die Schulen für das Lernen in der digitalen Welt ausgerüstet werden. Unabhängig vom Digitalpakt investiert Bayern zwischen 2018 und 2020 bereits etwa 212 Millionen in Whiteboards und Tablets - im "Masterplan Bayern Digital II".
DIGITAL IST TEUERDie Rede ist von großen Summen, häufig kursieren Schlagworte. Doch wie sieht es in der Realität aus? "Die Schulen in Ingolstadt sind da schon sehr weit", sagt der stellvertretende Schulamtleiter der Stadt Ingolstadt, Franz Wagner. Viele Schulen würden schon jetzt über eine solide Grundausstattung verfügen. Die Klassenzimmer sind großteils schon online, allerdings noch mit Kabel- statt Wlan-Verbindung. "Natürlich ist Wlan wichtig", sagt Wagner. "Aber das entscheidende ist, dass die Fortbildungen der Lehrer greifen." Und das ist entscheidend beim Aufbruch ins Neuland: Cloud statt Kreide, schön und gut. Doch sind unsere Schulen für den digitalen Unterricht gerüstet?

Reinhard Bachmaier ist Direktor der Grund- und Mittelschule in Pfaffenhofen. Seine Schule ist auf dem neuesten technischen Stand. Der Neubau hat etwa 29 Millionen Euro gekostet, jedes der 45 Klassenzimmer verfügt über eine Dokumentenkamera, eine digitale Tafel und einen Beamer. Bachmaier schätzt die Kosten für die Ausstattung in den Klassenräumen allein auf 400000 Euro - hinzu kommen die Computer-Räume, die Verkabelung und vieles mehr. "Es ist damit nicht abgetan, den Schulen einmalig eine Summe bereitzustellen", sagt er. Auch wenn er die zu erwartende Finanzspritze aus Berlin gutheißt: "Wer hält das System am Laufen?" Für die 150 PCs seiner Schule kann der Systemadministrator - eine Lehrkraft - gerade einmal zwei Wochenstunden anrechnen.

Damit Fördergelder von Kommunen, Land oder Bund nicht im Digitalstrudel versickern, wünscht er sich eine zentrale Handreichung vom Kultusministerium. Jede Schule müsse derzeit ihre eigene Lösung finden. Viele sind auf sich selbst gestellt, etwa wenn es um den Aufbau eines Netzwerksystems geht. "Manche Schulen sind da überfordert." Der Anfang sei gemacht, doch: "Das wichtigste ist, dass man die Lehrkräfte schult." Dafür fordert Bachmaier mehr Geduld.

NICHT TIEF VERANKERTSimone Fleischmann vertritt die Lehrer in Bayern. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) fordert: "Wir brauchen passgenaue und nachhaltige Lösungen für die Schule vor Ort. Dazu gehören hochwertige Fortbildungsangebote, professionelle Systembetreuung und eine gute Ausstattung." Bislang sieht sie die digitale Bildung nicht tief in den Schulen in Bayern verankert. Damit Lehrer die digitalen Hilfsmittel einzusetzen wissen, wünscht auch sie sich genug Zeit für für Fortbildungen für die Lehrer.

LEHRER LERNEN ONLINELaut Bundesministerium für Bildung verpflichten sich die Länder, also auch Bayern, digitale Bildung durch "pädagogische Konzepte, Anpassung von Lehrplänen und Umgestaltung der Lehreraus- und -weiterbildung umzusetzen". Für bayerische Lehrer bietet das Kultusministerium beispielsweise fünf Online-Module an, sogenannte Selbstlernkurse. 2018 hat das Ministerium laut eigener Aussage darüber hinaus etwa 2400 analoge Fortbildungen für bayerische Lehrer organisiert - dadurch erhofft sich die Behörde "ein gemeinsames Grundverständnis zu den verschiedenen Facetten des Themas digitale Bildung". Was die Wartung und Pflege der Tablets und Whiteboards betrifft, verweist ein Ministeriumssprecher auf den Koalitionsvertrag: "Im Dialog mit den kommunalen Spitzenverbänden wollen wir Lösungsansätze für Konzepte zur Wartung und Pflege der IT-Infrastrukturen an den Schulen erarbeiten und umsetzen", heißt es dort. Ziel sei ein zentrales und landesweit verfügbares Angebot. Dieser Dialog solle schon bald zu Ergebnissen führen, heißt es aus München. Bislang sind dafür die Sachaufwandsträger, also die Kommunen, zuständig. Doch die sind mit der wachsenden IT-Ausstattung immer stärker überfordert.

ZUFRIEDENE SCHÜLER?Es ist Mittagspause. Bei Sonnenschein und blauem Himmel wimmelt es in der Ingolstädter Fußgängerzone nur so von hungrigen Schülern - eine gute Gelegenheit, um mit denjenigen zu sprechen, um die es beim Digitalpakt gehen soll: "Im Unterricht nutzen wir oft Tablets. Für jedes Stockwerk gibt es einen Koffer voll damit. Auch Vokabeln lernen wir fast nur noch über das Internet", sagt der 15-jährige John. Er besucht die Wirtschaftsschule. Auch der 13-jährige Kilian ist zufrieden: "Ich habe nicht das Gefühl, dass es in meiner Schule an Technik fehlt." Das technische Know-How seiner Lehrer findet er dagegen eher mittelmäßig: "Einige können mit den Geräten umgehen, andere sind da doch eher ahnungslos." Auch die 15 Jahre alte Realschülerin Julia kritisiert ihre Lehrer: "Ich habe das Gefühl, dass viele von denen nicht recht mit der Technik umgehen können." Außerdem sei auch bei der Ausstattung mit technischen Geräten noch Luft nach oben: "Andere Schulen haben Tablets. Unsere leider gar nicht." Gemischte Gefühle auf dem Weg ins Neuland.

Julian Bird, Charlotte Schmiegel