Pfaffenhofen
Auf Haushaltswaren-Zeitreise

21.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:45 Uhr
Der Inhalt muss raus, der Eindruck soll bleiben: Thomas Schmuttermayr möchte die alten Fenster nach Schließung des Haushaltswarenladens seiner Eltern unbedingt erhalten. Den antiken Werbeaufkleber der „Aktion gegen langweilige Badezimmer“ darf der neue Mieter aber sicher von der Türscheibe kratzen. −Foto: Bendisch

Pfaffenhofen (PK) Unberührt von Trends und Moden hat Gerhilde und Franz Schmuttermayrs Laden – und dessen kultige Schaufensterauslage – den Jahrzehnten getrotzt. Nach dem Räumungsverkauf ab Dienstag wird das Geschäft an der Ingolstädter Straße nun aber geschlossen.

Es habe Denkmalschutz-Charakter, darüber waren sich Sepp Hobmeier, Hans Prechter und Thomas Herker unlängst bei einem Drei-Bürgermeister-Plauderstündchen auf der Gartenschau einig. Ein Zuhörer am Rande legte noch ein Brikett nach und ließ den Begriff „Unesco-Weltkulturerbe“ fallen: Alle Leser müssen jetzt ganz tapfer sein, denn an der Ingolstädter Straße ist das Schmuttermayr-Schaufenster in seiner ganzen Pracht bald Geschichte.

Die Spenglerei, die seit dem späten 19. Jahrhundert besteht, wird in gewohnter Weise durch Thomas Schmuttermayr weitergeführt – „Zwei Mann und eine lange Leiter, Schmutti hilft dir immer weiter“ – aber das Haushaltswarengeschäft schließt nach rund 80 Jahren endgültig seine Tür. Der Vater starb im April im Alter von 79 Jahren; nun ist der Betrieb im Umbruch und es ist Zeit für frischen Wind in ganz alten Räumen. Gegen Witzeleien über sein Schaufenster war Franz Schmuttermayr, beliebter und verdienter Pfaffenhofener Langzeit-Kommunalpolitiker, absolut immun: „Ja mei...“ Während andere Geschäftsleute dem Zeitgeist folgten, nach und nach ihre Waren gezielt wie Schmankerl präsentierten und durch raffinierte Beleuchtung unterstrichen, änderte sich bei Schmutti – nichts. So gaben sich Bodenvasen, die man garantiert sonst nirgendwo anders mehr fand, Universalhacker, Luftbefeuchter, Eierschneider und Eigelbtrenner, Schirmständer, Dampfdrucktöpfe, Messer und Messing, Tortenplatten, Sandwichpiekser und Knoblauchpressen in Schmuttis Auslage ein erstaunliches Stelldichein ohne einen verbindenden roten Faden. Ein Multikulti der Haushaltswarenszene sozusagen und gleichzeitig eine Zeitreise durch etliche Jahrzehnte. Deko? „Wird überbewertet,“ mag sich Schmutti gedacht haben: Etwas Stoff als Unterlage, Seidenblumen der Saison in der größten Vase und zur Weihnachtszeit „a bissl wos“, ebenfalls schon reichlich angejahrt. Hans Prechter, Nachbar, Freund und politischer Weggefährte, machte sich gern einen Spaß daraus, wenn er Franz Schmuttermayr – was ganz selten vorkam – bei einem Termin entschuldigte: „Der Schmutti kann nicht kommen, er dekoriert gerade seine Schaufenster...“
 
„Schau Clara, wir stehen jetzt in einem Denkmal“, meint Thomas Schmuttermayr schmunzelnd, als er mit der kleinen Tochter in die Auslagen steigt. Oben im Regal findet sich noch ein grottiger Pierrot, aber Clara möchte nicht mit dem komischen Kaschperl spielen und zieht ihren Schmuseteddy vor. In der kleinen Wohnstube gleich neben dem Laden fällt etwas sofort ins Auge: Schmuttis Hut liegt auf der Sofalehne. „Und da bleibt er auch“, sagt seine Frau Gerhilde. Wie lange hat er den getragen? „So ungefähr 99 Jahre“, meint sie lachend. Schmaler ist sie nach dem Tod ihres Mannes geworden – „Wir haben wunderbar harmoniert“ – hat sich aber gefangen, wie man so sagt, und ist gut drauf. Das Laufen fällt ihr halt schwer.

Wie Sohn Thomas ist sie der Meinung, dass neues Leben in die Geschäftsräume gehört. Interessenten meldeten sich bereits; nun wird man in Ruhe überlegen. Eine Bedingung gibt es dabei, wie der junge Spenglermeister erklärt: „Der Eingang und die Schaufenster mit den hölzernen Schiebetüren sollen erhalten bleiben, denn das macht die Identität des Hauses aus. Da passen keine modernen Alurahmen.“ Von Dienstag, 25. Juli, bis einschließlich Freitag heißt es in der kommenden Woche: „Alles muss raus!“ Die beste Gelegenheit für alle, die noch etwas Kultiges für ihre Küche suchen. Hier findet so mancher verwaiste Topf seinen Deckel. Das „F. Schmuttermayr“ über dem Laden, schön als Relief in den Putz geschrieben, steht übrigens nicht für Franz, sondern für Fanny: Schmuttis Mutter gründete das Haushaltswarengeschäft, ihr Mann Anton war Spenglermeister und „staatlich geprüfter Blitzableitersetzer“. Den Schriftzug brachte damals ein Teenager für seine früh verwitwete Mutter an: Domkapitular und Prälat Georg Schmuttermayr, der vom emeritierten Papst Benedikt XVI. übrigens auch „Schmutti“ genannt wurde.
 
„Nein, ich weine nicht“, sagt Gerhilde Schmuttermayr im Laden, flankiert von Rum- und Heringstopf und dem Gerät „Fire & Ice für stilvolles Kochen und Feiern“. Das Stöbern in Erinnerungen und fast vergessenen Haushaltsutensilien bereitet ihr sichtlich Vergnügen. Da war der Kunde, der ein Schälmesser kaufen wollte (Marke „Michelangelo superscharf“), mit dem Daumen lässig prüfend über die Klinge fuhr und dabei fragte, ob das Ding auch wirklich scharf sei. „Da hatte er sich schon geschnitten – aber wie! Was meinen’s, wie der tropft hat; ich glaub, wir haben sogar den Sanka gerufen...“

Am Dienstag, sprich Markttag, war für den Spenglereibetrieb damals bis Mittag Baustellenpause: „Dann musste man in der Werkstatt sein, denn die Bauern brachten ihre kaputten Kochtöpfe zum Löten vorbei. Nach dem Markt holten sie sie dann gleich wieder ab.“ Hallertau, Mäuseland? Kein Artikel lief bei Schmuttermayr je so gut wie Mausefallen. „Die haben wir in großen Eimern bestellt und auch buchstäblich kübelweise verkauft, echt unglaublich“, erinnert sich Thomas Schmuttermayr. Eine Entdeckung ganz unten im Regal: „Wühlmausfallen hätten wir noch.“ Klar auf Platz zwei lagen Backformen für Osterlämmchen, die ebenfalls palettenweise weggingen; hier scheuten sich Kunden in Not auch nicht, am Karsamstagabend privat anzurufen. Ähnlich lief es zu Weihnachten mit Fonduegabeln. Auch Schwiegertochter Daniela musste die Erfahrung machen: „Der Anruf kam, als ich gerade Teig in meine eigene Lämmchenform füllte.“

Überall in den Regalen liegen Auslöser für Aha-Momente. Eine Servierplatte lässt den Buffet-Knaller von damals plötzlich vor dem geistigen Auge erscheinen: hartgekochte Eier im Petersilienbett, halbe Tomaten als Schirme drauf, mit Mayonnaisetupfen garnieren, fertig waren die essbaren Fliegenpilze. Sollte man eigentlich mal wieder machen. „Ja, so war das“, sagt Gerhilde Schmuttermayr. Manche Sachen im Laden waren bestimmt schon zweimal out und wieder in, einige tragen in Form und Farbe deutlich den Stempel der Siebziger Jahre, andere noch das Zeichen „Made in Western Germany“. Und auf vielen klebt noch der alte Preis in D-Mark. Die Puddingform – „Versuchsküchengeprüft“ – und der verstellbare Schüsselhalter – „Vom Herd gleich auf den Tisch“ – sind keine Ladenhüter: Heute nennt man so etwas „vintage“.

Sanseverien, Alpenveilchen und Deckelurnen aus Porzellan, die Gardinen mit Plastiknadeln „pfeilgrad“ gemacht: So sah früher das repräsentative Senioren-Wohnzimmerfenster aus. Und wie herrlich hätte die Blumenwaage aus Messing da hineingepasst! Aber wer weiß, kommt ja alles wieder. Und da liegt sie, und nicht nur eine, gleich neben dem Modell für Briketts! Gehämmert, glänzend, ganz unbeleckt von Kohlenstaub – und eine Erinnerung an die Zeit, als Kinder noch schleppen durften/mussten, und zwar vom Keller in die dritte Etage. Laut Internetlexikon ist die Kohlenschütte „ein archaischer Behälter zum Einfüllen von Kohlen in den Ofen“. Ich sehe sie schon als Schirmständer im Gang.