Ingolstadt
Auch ohne Schlüssel zum Erfolg

Prozess gegen mutmaßlichen Autoknacker aus Polen wirft Licht auf modernste Diebstahlsmethoden

03.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:32 Uhr
Ohne den klassischen Autoschlüssel können beim Keyless Entry System Fahrzeugtüren geöffnet werden. Spezialisierte Ganoven machen sich das mit elektronischer Trickserei zunutze. −Foto: Richter

Ingolstadt (DK) Die Ermittler gehen von einer polnischen Diebesbande mit einem runden Dutzend oder sogar mehr Mitgliedern aus, die über mehrere Jahre hinweg in Deutschland auf Beutezug war oder sogar noch ist. Objekte der Begierde waren und sind stets hochwertige Pkw, meistens Audis. Einer der mutmaßlichen Autoknacker muss sich jetzt vor dem Ingolstädter Landgericht verantworten, weil sich einige der Diebstähle und Diebstahlsversuche in Ingolstadt, Gaimersheim und Kösching zugetragen haben.

Der 28-jährige Angeklagte, der zuletzt im polnischen Lubin gemeldet war, sitzt seit April vorigen Jahres in München in Untersuchungshaft. Die Polizei war nach längerer akribischer Ermittlungsarbeit auch anhand von DNA-Spuren auf seine Fährte geraten. Der Mann will sich vor der 1. Strafkammer nach Angaben seines eigens aus Berlin angereisten Rechtsanwalts erst einmal nicht zu den Vorwürfen äußern, die auf neunfachen schweren bandenmäßigen Diebstahl lauten. In zwei weiteren Fällen, darunter einer im November 2016 in Ingolstadt, soll es beim Diebstahlsversuch geblieben sein.

Polizei und Staatsanwaltschaft gehen davon aus, dass die gut organisierte Truppe aus dem Nachbarland stets arbeitsteilig vorging. Wie auch schon in ähnlich gelagerten früheren Fällen, die von der hiesigen Justiz verfolgt worden sind, soll es Auftraggeber, Techniker, die eigentlichen Autoknacker, Fahrer und Verwerter gegeben haben (und wohl noch geben). Letztere zerlegen die gestohlenen Autos in polnischen Hinterhofwerkstätten in teuer weiterverkaufte Einzelteile oder frisieren die Fahrzeuge um.

Eine Besonderheit bei einigen der jetzt verhandelten Fälle war der Einsatz elektronischer Programme ("Tools") durch die Täter, mit denen der Schließmechanismus und die Wegfahrsperre der höherwertigen Fahrzeuge überwunden werden konnten.

Der DK hat verschiedentlich über diese Methode berichtet, bei der die Codes für die Entsperrung dieses sogenannten Keyless Entry Systems (schlüsselloser Zugang zum Fahrzeug) vor den Diebstählen bei den Fahrzeugeignern mit elektronischen Hilfsmitteln ausgekundschaftet und "abgefischt" werden konnten.

Das gelang allerdings nicht immer: In der Nacht zum 2.November 2016 soll der Angeklagte gemeinsam mit Komplizen mit genau jener Methode versucht haben, an der Paul-Ehrlich-Straße in Ingolstadt einen Audi RS6 Avant im Wert von rund 100000 Euro zu stehlen. Doch hier wurden die Ganoven gestört, und die fette Beute blieb aus. Bereits im April 2016 hatten die Täter in Gaimersheim und in Kösching mehr Glück gehabt. Hier waren einmal ein Q7 im Zeitwert von rund 40000 Euro und einmal ein A7 im Wert von 66000 Euro verschwunden.

Alle Diebstähle dürften auf Bestellung von Hintermännern erfolgt sein, die bei den eigentlichen Aktionen tunlichst nicht in Erscheinung treten. Wenn dann und wann mal Bandenmitglieder erwischt werden, so handelt es sich in aller Regel um "kleinere Fische", die die nächtlichen Diebestouren durchführen oder als Überführungsfahrer fungieren. Einer dieser Kuriere war der Polizei bereits im Januar 2016 in Dresden ins Netz gegangen. Er und ein weiteres ertapptes Bandenmitglied sind inzwischen vor deutschen Gerichten verurteilt worden.

Der Prozess gegen den 28-jährigen Polen ist vorerst auf sechs Verhandlungstage angesetzt worden, könnte aber abgekürzt werden, wenn sich die Beteiligten auf eine gesetzlich mögliche sogenannte Verständigung über das Strafmaß (im Gegenzug für ein umfassendes Geständnis) einlassen sollten. Die Staatsanwaltschaft hat sich nach Angaben von Landgerichtsvizepräsident Jochen Bösl, der im Prozess den Vorsitz hat, bereits eine Gesamtstrafe von drei bis dreieinhalb Jahren Haft für den Angeklagten vorstellen können.

Die Kammer nutzte gestern eine Unterbrechung der Verhandlung, um mit Verteidiger und Staatsanwältin die Chancen für einen solchen "Deal" auszuloten. Wie Jochen Bösl anschließend erklärte, könnte sich das Gericht ebenfalls ein Strafmaß von maximal dreieinhalb Jahren bei einem umfänglichen Geständnis vorstellen. Doch der Angeklagte mochte sich erst einmal nicht darauf einlassen und zog es vor, weiter zu schweigen. Das macht nun doch erst mal eine eingehendere Beweisaufnahme notwendig.

Die Schauplätze der Diebstähle, die dem Mann zur Last gelegt werden, waren übrigens durchaus weiter über die Republik verteilt. In die Anklageschrift fanden unter anderem auch Fälle aus dem hessischen Marburg, aus Jena, Erfurt und München Eingang. Die Schadenssumme aller neun gelungenen Aktionen liegt der Anklageschrift zufolge bei rund 670000 Euro. Das teuerste Beutestück war demnach ebenfalls im April 2016 aus einer Münchner Tiefgarage entwendet worden - ausnahmsweise mal kein Audi, sondern ein Bentley Continental GT Speed im Zeitwert von 210000 Euro.
 

Bernd Heimerl