Ingolstadt
"Atompilze" aus dem Wald

Schwammerlexperte Wolfgang Teschner weckt auch Erinnerungen an Tschernobyl

24.09.2014 | Stand 02.12.2020, 22:12 Uhr

Schwammerlglück: Wolfgang Teschner erklärt Mathilde Spreng, worauf sie beim Sammeln von Champignons achten muss - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Wolfgang Teschner bietet seit dieser Woche wieder jeden Montag im Statteiltreff Konradviertel am Oberen Taubentalweg 65 eine kostenlose Pilzberatung an. Im Gespräch mit Schwammerlsuchern wurden auch wieder Erinnerungen an das Reaktorunglück in Tschernobyl 1986 wach.

Einen so erfahrenen Schwammerlsucher wie Willi Ott bei einer Pilzberatung anzutreffen, damit würde wohl keiner rechnen. Der pensionierte Gymnasiallehrer ist leidenschaftlicher Pilzsucher, der von sich selbst behauptet, sich ganz gut auszukennen: „Vor mehr als 25 Jahren habe ich eine Pilzausstellung am Reuchlin-Gymnasium organisiert, allerdings habe ich nach Tschernobyl erst einmal Pause mit dem Sammeln gemacht. Nachdem es heißt, dass dieses Jahr das Pilzjahr schlechthin ist, bin ich wieder losgezogen und heute hier, um meine Kenntnisse wieder aufzufrischen.“

Mithilfe eines Bestimmungsbuches, das mit handschriftlichen Notizen wie „Achtung sehr giftig!“ gespickt ist, nimmt Wolfgang Teschner, ein Apotheker im Ruhestand, jeden Pilz unter die Lupe und erklärt nicht nur, ob es sich um ein genießbares oder giftiges Exemplar handelt, sondern gibt auch nette Anekdoten zum Besten. Kann er mal auf Anhieb nicht weiterhelfen, sieht man das aufkeimende Interesse in seinen Augen. „Zu Hause kann ich das rauskriegen. Da schneide ich ein Stück ab, das kommt dann auf einen Plastikdeckel in eine Schale und das liegt dann ein paar Stunden in einer Flüssigkeit, dann kann ich anhand der Sporen erkennen, ob es sich um den giftigen Champignon handelt. Wenn ich das weiß, rufe ich Sie an“, versichert der Pilzexperte den Schwammerlsucherinnen Anita Schwarzer und Mathilde Spreng, während er einen Champignon in der Hand hält und von jeder Seite genau betrachtet.

Teschner ist es ein großes Anliegen, jedem Ratsuchenden zu helfen. Auf dem Tisch stehen zwei Weidenkörbe, gut gefüllt mit den unterschiedlichsten Pilzen. Die Sammler blicken gespannt zu dem Berater. Der hält einen Maronenröhrling zwischen den Fingern: „Davon sollte man nicht zu viel essen, wegen der Verstrahlung. Nur einmal im Jahr, im Sommer vielleicht, aber wirklich nicht zu oft.“ Natürlich komme es auf den Fundort an, erklärt er weiter, dennoch sei es nicht empfehlenswert, Maronenröhrlinge regelmäßig zu essen. 28 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl sei die Belastung nicht zu unterschätzen. Radioaktives Cäsium hat eine Halbwertszeit von etwas mehr als 30 Jahren. „Nach dem radioaktiven Regen im Mai 1986 hat man in der Nähe von Neuburg 20 000 Becquerel bei einem Pilz gemessen. Heute wären das dann ungefähr 10 000 Becquerel“, erzählt Teschner.

Es sind nicht nur die Gefahren, die der Pharmazeut den Ingolstädtern zu den einzelnen Pilzen erläutert. Eine Schwammerlsucherin präsentiert ihren Korbinhalt: Totentrichterlinge. Darauf zieht Teschner ein Pilzkochbuch aus seiner braunen Ledertasche. „Die eignen sich zum Trocknen und Mahlen, zum Verfeinern von Soßen“, liest er vor und lacht. „Sie sind ja ein Glückspilz, da haben Sie einen ganz tollen Platz entdeckt!“ Wo sie die Pilze gefunden hat, möchte die glückliche Sammlerin aber nicht verraten.

„Da hab’ ich noch was Komisches“, sagt Willi Ott, als er seinen letzten Pilz aus dem Korb zieht. Teschners Antwort kommt sofort: „Der ist ungenießbar, der ist richtig, richtig scharf!“ Zufrieden nimmt Ott seinen Korb und zieht sein persönliches Fazit: „Meine Kenntnisse sind aufgemöbelt worden. Jetzt kenne ich mich besser aus. Das war wichtig. Von den Pilzen, die ich nicht kenne, werde ich künftig mehr im Wald stehen lassen, weil eh nichts Vernünftiges dabei ist.“

Wolfgang Teschner berät jeden Montag kostenlos von 10.30 Uhr bis 12.30 Uhr im Stadtteiltreff Konradviertel, Oberer Taubentalweg 65.