Kipfenberg
Antike Welt auf Küchenrolle

Vortrag von Michael Rathmann zur Tabula Peutingeriana: Eine Art Navi der Römer?

18.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:03 Uhr
Anne Müller
  −Foto: Müller, Rathmann

Kipfenberg (EK) Man kann nur staunen über dieses Kartenwerk, das der Althistoriker Professor Michael Rathmann bei seinem Vortrag im Römer- und Bajuwarenmuseum auf Burg Kipfenberg präsentierte.

Sie ist uralt und buchstäblich verschoben: die Tabula Peutingeriana, die einzige Weltkarte der Antike im XXL-Format. Den gesamten damals bekannten Erdenkreis hat ein geschickter römischer Kartograph auf einem fast sieben Meter langen und 33 Meter breiten Pergamentstreifen, also im Format einer Küchenrolle, zurechtgestaucht. Wie ein riesiges Krokodil mit Warzen kommt dieses Gebilde für den Laien daher. Deshalb zeigt Michael Rathmann seinen Hörern zunächst, wie die Karte zu lesen ist: Das Band im Süden ist Nordafrika, links lugt ein Zipfel Spaniens raus und darüber, der "Stummelschwanz des Hasen", das ist das, was von den Britischen Inseln noch übrig ist. Denn der Anfang dieser einst aus zwölf Pergamentbögen - vulgo: Kuhhäuten - zusammengeklebten Rollkarte ist leider verloren.

Die sich anschließenden Kerngebiete des Römerreichs hat der Kartograph wie auf einem Gummiband aufgespannt. Von Augsburg aus könnte man fast in den Comer See springen, so ist Mitteleuropa gestreckt und gezogen. Das fremde germanische Land nördlich des Limes hat den Kartenmaler nicht groß gejuckt. Den Osten hingegen fand er spannend. Kleinasien, Persien und Indien samt Himalaja hat er eingemalt und, man reibt sich die Augen, sogar das "Land der Seidenleute", nämlich China, hat er gekannt. Mehr als 3600 Orte, Berge, Flüsse und Seen sind mit zum Teil hübschen Miniaturen und lateinischer Schrift auf der Tabula verzeichnet. Darunter einige Hotspots der antiken Geschichte, wie Rom, Konstantinopel oder Antiochien. Und das rote Adernetz? Das sind die römischen Straßen. Ein Faszinosum, diese alte Karte, die zugleich so viele Rätsel birgt. Das fängt bei der Entstehungszeit an. Zu gern wüsste man, wer dieses Meisterwerk geschaffen hat - und warum. Das Original selbst ist heute verloren. Mönche des 12. Jahrhunderts haben das Werk sorgsam abkopiert. 300 Jahre hüteten die Mönche ihren Schatz. Dann kam die Reformation und die Rolle fiel als Diebesgut in die Hände des Augsburger Humanisten Konrad Peutinger. Von diesem Hobbyhistoriker hat die Tabula ihren Namen. Später landete die Karte bei Kaiser Karl VI. Der verleibte sie seiner Wiener Hofbibliothek ein, wo das gute Stück, in elf Einzelteile zerlegt, seither liegt und 2007 zum "UNESCO-Welterbe" geadelt wurde.

Michael Rathmann ist überzeugt, dass die Tabula verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen hat, bis sie zu dem wurde, was sie ist. Und er glaubt ganz fest, dass die Mutter bzw. Ur-Großmutter der Tabula sogar aus frühhellenistischer Zeit stammen muss. Damit wäre die Ur-Karte noch einmal rund 800 Jahre älter als das spätrömische Endprodukt, das die Mönche als Blaupause nutzten. Die Griechen haben die Ur-Version wohl nicht auf Pergament, sondern auf Papyrus gezeichnet, vermutet Rathmann. Weil Papyrus schnell bröselt, musste die Karte etwa alle 50 Jahre neu abgepinselt werden. Somit konnten Generationen kreativer Kopisten an der Tabula herumdoktern. Ihren allerletzten redaktionellen Schliff scheint die alte Griechenkarte im Jahre 435 n. Chr. erhalten zu haben.

Damit lenkt Rathmann den Blick auf Süddeutschland und unsere Gegend des Limes. Und er wartet mit einem weiteren Knalleffekt auf: Denn auch den hiesigen Raum hat irgendein Kartograph, der eigentlich nur kopieren sollte, kreativ umgestrickt. Den Limes hat er aus der Karte fein säuberlich ausgelöscht. Offenbar hatte er gehört, dass die Römer diese Verteidigungslinie seit dem späten 3. Jahrhundert faktisch aufgegeben hatten. Die nahe des Limes verlaufende Limesstrasse hat er aber eingemalt, samt der hiesigen Kastelle Weißenburg (Biriciana), Pfünz (Vetoniana) und Eining (Abusina). Das Frappante: dieser Kopist hat offenbar nicht verstanden, dass die Limesstraße in Wirklichkeit nördlich der Donau - also mittlerweile tief im germanischen Feindesland - lag. Daher hat er diese Straße, samt anliegender Kastelle, kurzerhand auf die damals für die Römer noch sichere Südseite der Donau zurückgeklappt. Ein "wunderschöner, hässlicher Fehler", freut sich Rathmann, der nicht nur zeigt, wie Kartenzeichner den geographischen Raum ihrer eigenen Sicht entsprechend zurechtgestutzt haben. Sondern der auch dazu führt, dass Pfünz und Weißenburg auf der Tabula nun voralpin sind.

Anne Müller