Ingolstadt
Anpassung ist der wahre Tod

Premiere im Möbelhaus: Das Stadttheater Ingolstadt zeigt das Projekt "Ich Taugenichts" nach Motiven von Eichendorff

16.03.2014 | Stand 02.12.2020, 22:56 Uhr

„Weit draußen auf dem blauen Meer erklingt ein Lied von Wiederkehr“: Lukas Umlauft und Jennifer Kornprobst gedenken des Taugenichts’ Alexander Supertramp, der vor einer trostlosen Zukunft floh. - Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Joseph von Eichendorffs „Taugenichts“ zieht fröhlich singend in die Welt und wird dabei verfolgt – vom Glück. Er trifft auf seiner Wanderung feine Damen und berühmte Maler, bekommt volle Geldbeutel geschenkt und behagliches Logis, erfreut sich jeder Menge märchenhafter Abenteuer und kriegt zuletzt natürlich auch noch seine Angebetete.

Ein (Lebens)Künstler, dieser faule Müllerssohn, den bis zum Happy End mitunter nur der Liebeskummer etwas zwickte!

Und Alexander Supertramp? Fährt knapp 200 Jahre später im Zug durch kalte Landschaft auf und davon, spricht einsam in Auen und Wäldern in die Videokamera und dann – ist er verschwunden. Eher Verweigerer als Lebenskünstler scheint der unwillige Lagerist, den stets die vorbestimmte Zukunft quälte. Was ist also ein Taugenichts? Frei? Oder Versager? Optimistisch auf der Lebensreise oder pessimistisch auf der Flucht?

Solche Fragen stellt das Projekt „Ich Taugenichts“ des Jungen Theaters Ingolstadt, das am Samstag „downtown“, nämlich im Möbelhaus Scheitza, als lebendiges Jugendstück umjubelte Premiere feierte. Selbst entwickelt haben Regisseur Markolf Naujoks, Schauspieler des Stadttheaters, Jugendliche aus dem Umfeld der Boomtown Raps und eine Musikercrew um Matthias Neuburger die einstündige Produktion, die mit atmosphärischen Videoeinspielungen (Stefano Di Buduo), wilder, melancholischer, zirzenischer Musik zwischen Rap, Volkslied und Chanson, surrealen Bildern und herrlichen Spielszenen aufwartet. Und natürlich mit dem riesigen ehemaligen Teppichverkaufsraum des Möbelhauses, den Ausstatterin Marina Stefan zu einer von keinem Podest begrenzten Gesamtbühne machte. Was für ein Raum: Standuhr und Kommode, Esstisch, Sitzgruppe, Sofa – mit lockerer Hand hat Stefan die Ingredienzien altbackener Wohnanständigkeit über die wohl mehrere hundert Quadratmeter große rote Teppichfläche gewürfelt. Und dabei auch ein einsehbares Kabinett für die famosen Musiker (die Blechbläser Quirin Birzer, Xaver Brems, Josef Finger, Hans Janouschek und Markus Wiesnet, Schlagzeuger Matthias Hetzer und Schauspielerin Jennifer Kornprobst am Akkordeon) nicht vergessen.

Hier, in diesem spießigen Ambiente also beginnt sie: Die Gedenkfeier (!) für Alexander Supertramp. Freunde und Geschwister sind zusammengekommen, um sich des Verschollenen (Selbstmörders) zu erinnern, der zwischendrin noch quicklebendig aus seinen Videobotschaften blickt (der bemerkenswert aufspielende Erik Lutz ist tatsächlich nur auf der Leinwand zu sehen).

Das freilich geschieht nicht unbedingt linear. Da singt ein Mädchen hinten im Raum, und ein Mann mit Eselskopf taucht auf, jemand legt unablässig Puzzles, ein Stück Eichendorffscher „Taugenichts“ wird vorgelesen, pausenlos fährt der Zug auf Video, und schon vorher schälte jemand aus mehreren Plastiktüten pantomimisch eine Pistole. Es dauert in der Tat ein wenig, bis die Sache Richtung bekommt, dann aber geht es dicht auf dicht.

Das große Thema: „Ich will nicht so werden wie meine Eltern“. Für die steht im Spiel Jennifer Kornprobst, die als Alexander-Schwester die Freunde zwar zunächst ständig mit Fragen wie „Was ist denn so schlimm daran, einen Job zu haben“ löchert, sich aber quasi als Antwort immer hemmungsloser der Wodkaflasche widmet, was bei ihr zu radikaler Wahrheitssucht und im Stück zu ungeheuer komischen Momenten führt. Perfekt getimed sind die Gemeinschaftsszenen, etwa das scharadenhafte Berufseignungsraten am großen Esstisch, das eine weitere Qualität der Inszenierung zeigt: Überraschend mithalten mit den Profis Kornprobst, Lukas Umlauft und Péter Valcz können die „Laien“ Michaela Groß, Silke Kabitzky und Matthias Ernst, der einen wunderbaren Rap hinlegt. Den gänsehäutigsten Moment in dieser packenden Produktion über junge Menschen und ihr Zukunftsbild aber schaffen doch zwei Schauspieler: Umlauft und Kornprobst zu Bläserklang mit ihrer so wilden Version von Peer Rabens „Die großen weißen Vögel“ – es ist ein Abschiedlied für einen Toten.